DER DURCHBRUCH
- kulturschnack
- 24. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 11 Stunden
Der Oldenburger Künstler Lars Unger zeigt im prächtigen Elisabeth-Anna-Palais, besser bekannt als das Sozialgericht Oldenburg, einen bunten Mix aus ganz frischen Werken sowie einer Auswahl aus den letzten Jahren - allesamt ein Parcours durch Strukturen, Schichtungen und innere Räume, die aus der Welt der Kunst rein in unseren Alltag greifen oder uns in ihre hineinziehen.

DURCHBROCHENES LARS UNGER SOZIALGERICHT OLDENBURG ELISABETH-ANNA-PALAIS SCHLOßWALL 16 NOCH BIS 24. SEPTEMBER 2025 EINTRITT FREI
Normalerweise, in einer klassischen Ausstellung, ist es doch so: es gibt die betrachtende Person, das Werk selbst und die Luft zwischen beidem. Zwei scheinbar klar getrennte Welten, nur verbunden durch den reinen Blick auf eine künstlerisch gestaltete, zweidimensionale Oberfläche. Doch schließen wir für einen kurzen Moment die Augen und stellen uns vor, es wäre eben nicht so. Stellen wir uns vor, die Welt der Kunst würde sich ihren Weg hinaus aus der Leinwand, hinein in unsere Realität bahnen oder auch andersrum uns einladen in sie einzutreten. Das mögen zwar auf den ersten Blick recht surreale Vorstellungen sein, doch es sind genau die Gedanken mit denen man sich unweigerlich konfrontiert sieht, wenn man die Ausstellung "Durchbrochenes" aus der Reihe "Kunst trifft Recht" der Oldenburgischen Landschaft vom Künstler Lars Unger im Sozialgericht Oldenburg besucht.
Keine der hier gezeigten Arbeiten begnügt sich sich mit der bloßen Oberfläche. Ungers Arbeiten ragen buchstäblich aus dem Bildraum heraus, zeigen Eingänge in das Innere des Werkes, ohne dass man sich wirklich erschließen könnte, was sich darin letztlich verbirgt. Die noch eben beschriebene, vermeintlich klare Grenze zwischen Kunst und Wirklichkeit scheint sich vor den eigenen Augen aufzulösen. Die Erklärung hierfür findet sich in Ungers beruflicher Vergangenheit, wie er selbst erklärt.
"Das Räumliche kommt noch von meinen Anfängen als Bühnenbildner. Räume entwerfen und entwickeln. Sich Raum nehmen, raumgreifend denken. Übertragen aufs traditionell eher flache Bild an den Wand bedeutet das, dass man das Flache des herkömmlichen Bildes durchbricht."
Der Reiz der eigenen Vorstellungskraft
Ganz wie im Theater, ist es das Spiel mit unserer Vorstellungskraft, das einen besonders an den Arbeiten fasziniert. Denn wir sehen nur ein Fragment einer Welt, so weit das Bühnenbild eben reicht. Was sich dahinter verbirgt ist stets auch eine Frage unserer eigenen, ganz persönlichen Einschätzung und es liegt ein unheimlicher Reiz darin, näher und immer noch näher an das jeweilige Bild herauszuschreiten, ganz in der Hoffnung doch noch einen Blick in eine Welt erspähen zu können, die man hofft dort vielleicht tatsächlich erblicken zu können.

Doch wo das Bühnenbild sonst nur Mittel zum Zweck ist und das Setting für das eigentliche Theaterstück bietet, ist es nun das Objekt, die Konstruktion selbst, die im Mittelpunkt steht. Statt der Erfahrung von aktiver Unterhaltung, die wir tendenziell eher passiv konsumieren, sind wir selbst aufgefordert uns mit dem Werk auseinanderzusetzen. Und so wird das, was wir am Ende zu sehen glauben, zu etwas das zu gleichen Teilen dem Werk als auch unserer eigenen Vorstellung entspringt. Die klangliche Nähe des Ausstellungstitels "Durchbrochenes" zum eher unappetitlichen "Erbrochenes" ist wider Erwarten tatsächlich ganz bewusst gewählt und für den Künstler eine willkommene Assoziation. Denn Unger erlebe seine Arbeiten oftmals, in einem Prozess der immer wieder auch neue Gestalt annimmt, als kreative "Auswürfe". Zwar ein unerwartetes Bild, doch eines, welches zum einen im metaphorischen Sinne die Entstehung von Kunst zu einer körperlichen Notwendigkeit werden lässt, zum anderen aber auch für einen intuitiven Prozess steht, der dem eigenen Schaffen keine vorschnellen Grenzen setzt, sondern Dinge gezielt geschehen lässt.
Kunst ist frei, sie muss gar nichts
Die zweiteilige Reihe "Auf den Barrikaden" sticht innerhalb der Ausstellung besonders heraus, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass eine der beiden Arbeiten als Titelbild der Ausstellung dient. Denn wo der Durchbruch in unsere Realität sonst meist eher als eine zaghafte, neutrale Andeutung wahrgenommen wird, fühlen sich diese beiden Arbeiten, ganz ihrem Titel entsprechend, an wie eine eindeutige, rebellische Botschaft und eine Androhung, jeden Moment aus den Fängen der Zweidimensionalität auszubrechen, im Kampf für die Kunst. Wie der Künstler, der auch Teil des deutsch-niederländischen Duos BOSMOS ist, selbst erklärt, begleite ihn die Reihe schon eine lange Zeit. Sie funktioniert dabei auf unterschiedlichen Zeitebenen, involviert mehrere seiner Arbeiten und ist letztlich eine Mischung unterschiedlicher Medienformen.

Denn "Auf den Barrikaden" zeige Menschen, die existierende, ältere Bilder in den Händen halten, als wären sie Protestbanner. Sie entstammen dem Jahr 2018 und seien in der Tat als eine Reaktion auf die zu der damaligen Zeit stattfindenden zahlreichen Demostrationen, von allen möglichen Seiten zu verstehen gewesen. "Ich wollte dem damals eine künstlerische Perspektive entgegenstellen. Eine Haltung „pro Kunst“. Für die Gestaltung. Etwas Produktives, etwas, was den Wunsch versprüht, gestalten zu wollen anstatt sich immer nur über alles mögliche zu empören oder sich gegen alles mögliche zu stellen. Später hatte ich dann Lust, diese Arbeiten fotografisch zu inszenieren. Dazu habe ich mit Freunden und Bekannten aus der Oldenburger Kulturszene zusammengearbeitet."
Für Lars Unger steht dabei zwar außer Frage, dass Kunst sich natürlich gesellschaftlich positionieren und Verantwortung übernehmen könne, aber nur, wenn sie möchte. Denn "die Kunst ist frei, sie muss gar nichts. [...] Die Kunst kann sich auch von tagespolitischem Geschehen nicht permanent die Inhalte vorgeben lassen. Das wäre ja furchtbar."
Wagt also unbedingt den Schritt "vor Gericht". Denn wie auch die Ausstellung selbst, durchbrecht ihr damit die eigentliche Welt des Gerichts und der Justiz und lasst durch euren Besuch die Räumlichkeiten zur waschechten Galerie und einem besonderen Ort für Kunsterlebnisse werden.
Weitere Informationen zur Arbeit von Lars Unger findet ihr auf seiner Homepage: https://larsunger.com/