DAS THEMA DER STUNDE
- kulturschnack
- 18. Nov. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Nov. 2022
Fällt euch was auf? Wer in diesen Wochen das Theaterprogramm scannt, kommt kaum umhin, etwas zu bemerken: Es gibt ein absolutes Megathema. Zwar spielte rund um den 9. November auch die Erinnerungskultur eine große Rolle, etwa beim Erinnerungsgang oder bei der Premiere von „Die Reise der Verlorenen“. Noch dominierender war aber etwas anderes: Das Klima.

Ging es euch auch so? Hattet ihr auch das Gefühl, dass während der Corona-Pandemie die Klimakrise als Leitthema unterzugehen drohte? Dass es plötzlich nicht mehr so wichtig war, weil man tagtäglich über Inzidenzen zu diskutieren oder neue Regeln zu verstehen hatte und der Verstand damit bereits ausgelastet war? Die Welt retten? Ne, sorry, geht gerade nicht, ich muss noch den Drosten-Podcast hören und Klopapier kaufen.
Geballte Ladung
Wahrscheinlich war es sogar so. Denn der Virus im Nachbarn ist uns einfach näher als ein schmelzende Polkappe. Da sind wir wieder ganz Mensch und beschäftigen uns mit uns selbst, nicht mit dem vergleichsweise abstrakten Ende der Welt. Und ein wenig ging es auch der Kultur so. Sie suchte lange nach Mitteln und Wegen, mit der Krise umzugehen. Doch das scheint mit dieser Spielzeit endgültig vorbeizusehen. Die Programme der Theater sind inhaltlich kraftvoll und auf der Höhe der Zeit. Und deswegen widmen sie sich dem dringendsten Thema: Dem Klima.

Es ist wirklich auffallend: Die Bezüge zum Klima ballen sich in diesen Tagen geradezu. Die Kästchen in diesem Artikel sind nicht einmal vollständig. Nicht genannt ist hier das Klimatheaterstück „Vor mir die Sintflut“ des Oldenburger Universitäts-Theaters. Dort ist der Zyklus aus vier Vorstellungen nämlich gerade - am 9. November - abgelaufen. Und beim Staatstheater gäbe es noch zu ergänzen, dass im Foyer eine Ausstellung von World Press Photo Award-Gewinnerin Esther Horvath und Daniel Michael Kaiser zu sehen ist, die Klimaveränderungen in der Arktis fotografisch dokumentiert haben. Am 29. November folgt zudem ein Vortrag des Afred-Wegener-Insituts, der sich ebenfalls den Veränderungen rund um den Nordpol widmet. Und ab dem 6. Dezember behandelt mit „Elias“ sogar eine Oper das große Thema - das allerdings auf so innovative Weise, dass es einen eigenen Artikel verdient.
Große Gefühle
Theater übernimmt häufig die Rolle des Seismographen, der gesellschaftliche Strömungen oder auch Störungen frühzeitig aufnimmt und thematisiert. Das ist hier gar nicht nötig, denn Wissen und Bewusstsein für die Klimakrise sind längst da. Wer jetzt noch leugnet, wird es wohl für immer tun. Deshalb übernehmen die Theater hier eine andere Rolle - vielleicht ist sie am ehesten zu beschreiben mit der einer Übersetzerin. Im Gegensatz zu Skalen und Statistiken, die unser Gehirn wunderbar erreichen, appellieren die Künste an unsere Gefühle. Sie übersetzen also Abstraktes in etwas Greifbares, Fühlbares. Und wir sind überzeugt, dass wir genau das brauchen: Die Verbindung zwischen diesem riesigen Thema von existenzieller Natur - und guter Unterhaltung. Denn dadurch werden Erkenntnisse zu Emotionen.

Bei der Umsetzung denkt man natürlich zunächst an das Schauspiel. Schließlich sind dort die narrativen Möglichkeiten am größten. Aber das ist ja längst nicht alles, wie diese Seite zeigt. Den Klimawandel kann man auch beim Ballett aufgreifen, bei einem Konzert, in Vorträgen oder in Ausstellungen. Das Thema bietet viele verschiedene Ansatzpunkte, weil es uns global betrifft. Und das im doppelten Sinne: global im Sinne von weltweit - und global im Sinne von allumfassend, in sämtlichenLebensbereichen.
Kein Wunder, dass die Kilmakrise der ideale Stoff für ganz unterschiedliche künstlerische Interpretationen ist. Deshalb fühlt sich die aktuelle Ballung auch keineswegs als Überangebot an, sondern als logische Konsequenz. Ermüdungserscheinungen? Fehlanzeige. Die schauspielerischen Umsetzungen sind unterschiedlich genug, Tanz, Konzert und Oper bieten vollkommen andere Ansätze.
Und das ist doch das Spannende: Dass ein Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit ganz verschiedenen Voraussetzungen betrachtet wird. Fakten braucht es natürlich auch, dafür benötigt man weitere Quellen. Intensiver und inspirierender als in diesen Tagen ist ein Einstieg in das Thema aber kaum möglich.
Zu viel ist gerade richtig
Sowieso gab es in der Geschichte immer wieder Themen, die auf den Bühnen sehr präsent waren. Denkt nur mal an die Millionen von Love Storys oder die unzähligen Generationenkonflikte. Das Klima ist als Themenpool so groß, dass mit Bezug darauf wahrscheinlich tausende Geschichten erzählt werden könnten, ohne dass sich Inhalt und Ansatz doppeln. Natürlich könnte das irgendwann ermüdend wirken. Uns ist das zum aktuellen Zeitpunkt aber sehr lieb, denn: siehe oben.

Der Klimwandel ist viel zu weit nach hinten gerutscht in der politischen Tagesordnung. Und schaut man auf den Verlauf und die Ergebnisse von COP27 in Sharm El-Sheik oder auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine Erwärmung von 2,5 Grad sehr viel wahrscheinlicher halten als das 1,5-Grad-Ziel von Paris, dann weiß man: Es kann gar nicht genug sein.
Nach wie vor erlauben wir uns den Luxus der kognitiven Dissonanz. Was das ist? Kurz ausgedrückt: Ein Unterschied zwischen Denken und Handeln. Wir wissen zum Beispiel, dass wir CO2 einsparen müssen - und essen trotzdem Fleisch, fahren Autos, fliegen in den Urlaub. Deshalb rennen viele von uns pausenlos mit einem schlechten Gewissen herum. Das mag durch Theaterabende im Klimakontext womöglich sogar verstärkt werden. Aber wahrscheinlich braucht es genau das, diese Konfrontation, um das Handeln endlich dem Denken anzupassen.
Perfektes Timing
Das alles klang jetzt viel kämpferischer als es ursprünglich geplant war. Aber immerhin aus gutem Grund: Wir sollten diesem Thema so viel Aufmerksamkeit schenken sollten wie möglich, denn es ist ist nunmal existenziell. Und da es in den letzten Jahren eher zu wenig präsent war als zu viel, kommt das - wahrscheinlich vollkommen zufällige - Schwerpunktthema in der Oldenburger Kultur jetzt genau richtig.
Wobei es wahrscheinlich doch kein Zufall ist. Abgesprochen wurde zwar nichts, aber Theater sind eben doch Seismographen der Gesellschaft. Die Entwürfe für die aktuellen Programme haben ja schon einige Monate - oder eher: Jahre - auf dem Buckel. Man hat also schon sehr früh gespürt, dass es ein Aufmerksamkeitsdefizit auszugleichen gibt. Seien wir froh darüber und nutzen wir die Gelegenheit zur Auseinandersetzung. Schließlich ist die Klimakrise wieder: Das Thema der Stunde.


