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ARTGERECHTE BUCHHALTUNG

Von der Frankfurter Buchmesse hat vermutlich jeder schon mal etwas gehört. Jedes Jahr präsentieren dort tausende Verlage ihre neuesten Veröffentlichungen, hunderttausende Besucher:innen strömen in die Hallen. Kein Zweifel: Die Buchmesse ist das Drehkreuz der deutschen Literatur. Aber wie fühlt sich das eigentlich an? Wie sieht es dort aus? Und was hat das alles mit Oldenburg zu tun? Darüber haben wir uns mit Sina Lührs vom Literaturhaus unterhalten.


Das Literaturhaus Oldenburg besucht die Frankfurter Buchmesse
Kunterbunt: Die Buchmesse bietet viel Literatur und noch mehr Leben (Bild: Frankfurter Buchmesse)

Vom 19. bis zum 23. Oktober war es wieder soweit: Für alle, die in Deutschland irgendetwas mit Büchern am Hut hatten, wurde in Frankfurt nicht nur der Flughafen zum Sehnsuchtsort, sondern auch das Messegelände. Denn dort traf sich die deutsche - und zum Teil auch: internationale - Literaturszene und feierte sich für fünf Tage als „Welthauptstadt der Ideen“.


Bei ihrer 74. Auflage gab sich die altehrwürdige Buchmesse zeitgemäß und modern. Mit ihrem Mix aus Nostalgie und Fortschrittlichkeit beantwortete sie die Frage, ob das Buch denn eine Zukunft habe, gleich selbst. Und wer durch die Hallen flanierte oder sich bei den vielen Preisverleihungen, Talks und Diskussionen online dazuschaltete, konnte sich nur anschließen: „Ja!“

DIE FRANKFURTER BUCHMESSE


Seit 1949 richtet die Frankfurter Buchmesse GmbH die Frankfurter Buchmesse aus. 205 deutsche Aussteller kamen vom 18. bis 23. September in der Frankfurter Paulskirche zur ersten Buchmesse der Nachkriegszeit zusammen. Die Geschichte der Frankfurter Buchmesse reicht jedoch viel weiter zurück – bis ins 15. Jahrhundert. Damals erfand Johannes Gutenberg nur wenige Kilometer von Frankfurt entfernt den Buchdruck.


Besucherströme auf der Frankfurter Buchmesse
Fußmarsch: Wer alles sehen will, braucht gute Kondition (Bild: Frankfurter Buchmesse)

Heute ist die Frankfurter Buchmesse die größte Buchmesse der Welt, ein internationales Markenzeichen und Vorbild für Kulturveranstaltungen. Das Unternehmen ist über die Messetage hinaus das ganze Jahr über mit seinen Angeboten für das internationale Publishing aktiv.


Neben dem fachlichen Teil überzeugte die Buchmesse einmal mehr auch als Debattenort. Was an diesen Tagen auf diversen Podien besprochen wurde, war mehr als selbst in das üppigste Feuilleton passen würde. Dabei wurde deutlich: Literatur ist immer auch Gesellschafts- und Zeitgeschichte. Als Reflektions-Ebene zum Tagesgeschehen ist sie ein unverzichtbarer Seismograph für Strömungen, Verschiebungen und Erschütterungen in der Bevölkerung.


Nicht zuletzt deshalb gehört die Frankfurter Buchmesse auch für das Literaturhaus Oldenburg zu den absoluten Pflichttermin des Jahres. Zumal dort Kontakte geknüpft, Programm gesichtet, Vereinbarungen getroffen werden. Für Sina Lührs war die #fbm22 eine Premiere, sie sah also alles mit dem unverstellten Blick einer Außenstehenden. Wir haben uns mit ihr über ihre Eindrücke unterhalten.



 


Sina, als Laie denkt man bei einer Buchmesse an unzählige Stände voller Bücher und an viele interessierte Menschen, die sich angeregt über Literatur unterhalten. Ist das so? Oder ist es ganz anders?

Unzählige Ständer voller Bücher und viele literaturbegeisterte Menschen trifft es schon ganz gut. Das fand ich auch so cool, dass dort so viele Menschen mit dem gleichen Interesse zusammenkommen. Man trifft auf ein sehr geschäftiges Treiben, dennoch wirkten die Menschen, auf die ich traf, durchweg entspannt und gut gelaunt. Ich war übrigens an den Fachbesuchertagen da, an den Publikumstagen ist sicher noch wesentlich mehr los. Und ich habe mich hauptsächlich in der Halle deutschsprachiger Literatur aufgehalten, die zum Beispiel einen etwas anderen Vibe hatte als die für internationale Literatur.


Fast ein Festival: Die Buchmesse zieht Massen an (Bild: Frankfurter Buchmesse)

Die Buchmesse ist wirklich sehr vielfältig. Zwischen den kleinen und großen Bücherständen begegnen einem auch immer wieder Stände etwas anderer Art. Da wird man dann am Stand eines Bundesamtes mal unerwartet zum Glücksraddrehen aufgefordert und gewinnt ein Brillenputztuch, weil man wusste, wo Schleswig-Holstein liegt. Zwischen und an den Ständen finden zudem zahlreiche Veranstaltungen statt, seien es Lesungen, Diskussionsrunden, Preisverleihungen oder Workshops.



Wie fühlt sich das an? Ist man neugierig und würde man am liebsten alles mal anlesen? Oder ist die Menge einfach erschlagend?


Beides. Man kennt das ja schon, wenn man nur mal zum Stöbern in eine Buchhandlung geht: Wie wahnsinnig viel Auswahl man hat, wie viele Bücher interessant wirken, wie viel ansprechend platziert ist – aber man kann nur einen Bruchteil davon in die Hand nehmen und sich genauer ansehen. Bei der Buchmesse war es ähnlich - bloß, dass die Buchmesse noch viel größer als jede große Buchhandlung ist.


Das war definitiv etwas erschlagend, aber ich fand es schön zu sehen, wie viel Raum Literatur auch buchstäblich einnehmen kann. Natürlich war ich da neugierig, als ich mir Stände und ausgestellte Bücher genauer angeschaut habe.



Du warst aber ja nicht zum Bummeln und Stöbern da, sondern beruflich. Wieso muss das Literaturhaus Oldenburg auf der Frankfurter Buchmesse vertreten sein?


Kurz gesagt: Weil das Literaturhaus den guten Kontakt zu anderen Akteuren des Literaturbetriebs braucht und weil wir up to date bleiben möchten. Den Großteil unserer Arbeit verbringen wir in unserem Büro vor dem PC, dort sind wir per Mail ständig auch in Kontakt zu Verlagen, die die Lesungen für ihre Schriftsteller:innen mit uns vereinbaren. Wir brauchen die Verlage und Autor:innen – die Verlage und ihre Schriftsteller:innen brauchen Veranstalter wie uns, die Einladungen zu Lesungen aussprechen.


Es ist für beide Seiten enorm wichtig, sich zu kennen und präsent zu sein, sich bei der seltenen Gelegenheit auch mal persönlich auszutauschen – was viel schöner ist.

Damit einher geht, dass wir über Entwicklungen des Buchmarkts und die kommenden Neuerscheinungen informiert sein sollten, damit wir das in unserer Programmplanung berücksichtigen können.


DAS LITERATURHAUS OLDENBURG


Du möchtest mehr über das Literaturhaus Oldenburg erfahren? Gar kein Problem. Im Frühjahr 2022 haben wir uns mit Monika und Sina ausführlich über ihre Arbeit unterhalten. Was genau sie gesagt haben, hörst du hier:




Was ist deine konkrete Rolle? Wie sahen deine Tage in Frankfurt aus?


Ich war hauptsächlich mit den Terminen beschäftigt, die ich zuvor mit Verlagsmitarbeiter:innen vereinbart hatte. In den Gesprächen habe ich mir die jeweiligen Vorab-Vorschauen des Frühjahrsprogramms 2023 vorstellen lassen – es ging darum, welche Titel für das Programm des Oldenburger Literaturhauses spannend sein könnten. Die Zeit zwischen den Terminen habe ich genutzt, um die Buchmesse, bzw. einen Teil davon, zu erkunden. Die Abende habe ich bei der Veranstaltung „Literatur im Römer“ und bei einer Verlagsparty verbracht. Und zack waren 1,5 Tage Messe vorbei.


Meine Tage in Frankfurt waren voll, spannend, informationsreich, und sie sind nur so verflogen.

Menschen, Bücher, Stände: Mit diesen Kernzutaten entsteht eine besondere Magie (Bild: Frankfurter Buchmesse)

Wie muss man sich das vorstellen? Fährst du mit einem Wunschzettel mit Autor:innen hin und hakst den ab? Oder entwickelt sich das erst vor Ort, in den Gesprächen mit den Verlagen?


Das entwickelt sich erst vor Ort und mehr noch danach, würde ich sagen, wenn man alles etwas sacken lassen hat, sich die Vorschauen in Ruhe ein weiteres Mal anschaut, vielleicht in Texte reinliest und ein Bild des nächsten Programms entsteht, für das man aus der Menge cooler Texte eine kleine Auswahl treffen muss. In den meisten Fällen habe ich die Vorschau des Frühjahrsprogramms auch erst zu den Gesprächsterminen erhalten, musste mich also sowieso überraschen lassen.



Ist Oldenburg da eigentlich ein Begriff? Oder muss du erstmal erklären, wo du herkommst?


Man könnte vielleicht meinen, dass Oldenburg nicht so bekannt ist, aber das Literaturhaus lädt ja schon seit vielen Jahren Schriftsteller:innen zu sich ein, ist fest im Literaturbetrieb verankert und steht in kontinuierlichem Kontakt zu seinen Akteuren. In den Gesprächsterminen musste ich also nicht erst erklären, wo ich herkomme, es ging dann eher darum zu klären, welche Art von Texten für unser Programm interessant ist. Auch in Gesprächen außerhalb der Termine kam die Frage nicht auf – ein gutes Zeichen für Oldenburg, denke ich.



Das diesjährige Gastland war Spanien. Das Literaturhaus konzentriert sich aber – naturgemäß - auf deutschsprachige Autor:innen. Bleibt es dabei, oder sind spanische Lesungen gebucht?

Spanische Lesungen sind erstmal nicht geplant, auch wenn Spanien viel zu bieten hat. So wie wahrscheinlich jedes Land dieser Erde – und das ist ja das (Luxus-) Problem: Es gibt so viele Möglichkeiten.


Wir bleiben hauptsächlich bei Lesungen mit deutschsprachigen Schriftsteller:innen, die auch dadurch bestechen, dass die Autor:innen in den direkten Austausch mit dem Publikum treten können – ohne Übersetzung.

Großer Andrang: Ganz am Ende des Raumes sieht man Bergsteiger-Legende Reinhold Messner, der sein neuestes Buch vorstellte (Bild: Frankfurter Buchmesse)

Wie ist dein Fazit? Bist du zufrieden mit dem Ergebnis deiner ersten Buchmesse?


Ja! Ich habe in der kurzen Zeit viel für die Arbeit des Literaturhauses mitgenommen und bin mit einigen schönen, aufregenden und lehrreichen neuen Erfahrungen nach Hause gereist – die ich dann hoffentlich auch für’s nächste Mal nutzen kann



Letzte Frage: Auf der Bahnfahrt zurück – hast du gelesen oder konntest du keine Bücher mehr sehen?


Zum Glück hat die Messe nicht dazu geführt, dass ich keine Bücher mehr sehen kann! Das wäre ja ganz schön kontraproduktiv. Auf der Rückfahrt habe ich noch ein bisschen gelesen – allerdings in wissenschaftlichen Aufsätzen – und ich hab die Eindrücke sacken lassen, bin etwas runtergekommen und hab festgestellt, dass ich zufrieden, aber doch etwas k.o. war.



 

Die Frankfurter Buchmesse ist also auch für das Literaturhaus Oldenburg ein absoluter Pflichttermin. Aber nicht nur für sie. Wer sich für Bücher begeistert, kann es sich natürlich weiterhin in seinen Lesesessel gemütlich machen und dieser verrückten Welt für Stunden Adieu sagen. (Mindestens) Einmal im Jahr lohnt sich aber der Weg nach Frankfurt, in die temporäre Kathedrale der Literatur bzw. die Welthauptstadt der Ideen. Dort bekommen Bücher den Raum und den Stellenwert, den sie auch im Zeitalter der Digitalität weiterhin haben. Literatur auf dem Podium? Das ist artgerechte Buchhaltung!


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