top of page

WE CAN BE SHEROES #2

Geschichte basiert auf Fakten. Das gibt ihr den Anschein von Objektivität. Doch über Jahrtausende wurde sie geprägt - und geschrieben - von Männern. Unsere Welt ist bis in die Gegenwart männlich genormt, geformt, geframed. Das queer-feministische Theaterspektakel „Sheroes“ bricht mit dieser Einseitigkeit und wirft einen weiblichen Blick auf die Vergangenheit - mit einer spielerischen Freude an Experimenten und Provokationen.


Schriftzug "Sheroes"
Heldenhaft im Zeichen des Regenbogens: So war es ihm letzten Jahr. Und in diesem? (Bild: Stephan Walzl)

Unser Leben bewegt sich in geregelten Bahnen. Das ist nicht vollkommen ungesund, Struktur bietet Orientierung und schützt uns vor Überforderung. Keep calm and carry on. Es gibt aber auch Nachteile an diesen Leitplanken: Sie limitieren uns. Wir folgen Pfaden, die wir selbst - oder andere vor uns - ausgetrampelt haben. Sie geben uns zwar das gute Gefühl von Sicherheit und Vernunft. Sie verhindern aber Experimente, Abenteuer und Entdeckungen. Zudem bleiben etliche Fragen offen: Wer hat diese Leitplanken eigentlich gesetzt? Sind sie richtig, dort wo sie stehen? Führen sie zum richtigen Ziel? Und was befindet sich eigentlich jenseits von ihnen?



Freiheiten statt Gewohnheiten


Kunst und Kultur haben es schon immer als ihre Aufgabe verstanden, unsere gesellschaftlichen Konstrukte und Strukturen kritisch zu beleuchten. Manches davon wird als Provokation empfunden. Aber ist es das überhaupt, wenn lediglich die aktuellen Gegebenheiten in Frage gestellt werden? Das haben schließlich auch Kopernikus und Galilei getan - und sie hatten Recht. Was, wenn unsere Gesellschaft gar kein unveränderlicher Klotz ist? Was, wenn wir sie als form- und veränderbar begreifen? Das nähme uns einige Gewohnheiten. Vor allem aber würde es uns Freiheiten und Möglichkeiten eröffnen. Insbesondere jenen, die vom bisherigen System nicht profitiert haben.


 


SHEROES #2 - MOBILES QUEER-FEMINISTISCHES THEATERSPEKTAKEL

UMSONST & DRAUSSEN


SAMSTAG, 3. JUNI, 16 UHR VORPLATZ DER EXERZIERHALLE SONNTAG, 4. JUNI, 16 UHR OLDENBURGER HAFEN


DIENSTAG, 6. JUNI 2022, 13 UHR JADE HOCHSCHULE


 

Eine Minderheit namens Männer


Das mobile quere-feministische Theaterspektakel „Sheroes“ der Sparte 7 des Oldenburgischen Staatstheaters schreibt jetzt zum zweiten Mal unsere Geschichte um - und stellt damit wieder unsere Gesellschaft infrage, die sich in ihrem Verlauf entwickelt hat. Dabei geht es zum einen um die Frage, welche Folgen es hat, dass vor allem weiße Männer unsere Welt gestaltet haben - und dass vor allem weiße Männer darüber berichtet haben. Die Fehler, Gefahren und Ungerechtigkeiten, die bis heute daraus resultieren, sind uns vielfach noch nicht ausreichend bewusst. Für viele männliche Besucher dürften Aha-Momente vorprogrammiert sein.



„Sheroes“ blickt aber auch in die andere Richtung. Das Team möchte gemeinsam mit den Besucher:innen in spannende Frauen-Biografien eintauchen, Wissen spielerisch erweitern und unbekannte Sheroes entdecken. Dabei rückt eine konstruktive, gestalterische Ebene in den Mittelpunkt, die alte Gewiss- und Gewohnheiten hinterfragt und vielleicht sogar ersetzt. Wie sich das anfühlt? Bemühen wir einfach mal einen Vergleich: Stellt euch vor, ihr seid kurzsichtig, ohne es zu wissen. Die Unschärfe gehört zu eurem Alltag und ihr habt kein Problem damit. Erst als ihr eines Tages beim Optiker seid und einen Test macht, merkt ihr, dass ihr zuvor längst nicht alles gesehen habt...


Hört sich interessant an, aber queer-feministisch klingt dir zu kämpferisch? Keine Sorge: die „Sheroes“ kommen in Frieden. Das gesamte Programm wird spielerisch angelegt sein - und zwar ganz bewusst, wie Gesine Geppert uns in einem kurzen Gespräch verrät.


 

Gesine, ihr wollt mit "Sheroes" die Geschichte umschreiben. Was stimmt mit der aktuellen Version der Vergangenheit nicht?


Die aktuelle Version ist natürlich nicht völlig falsch! Sie beleuchtet aber - wie es Geschichte immer tut - nur eine Perspektiv auf unsere Vergangenheit. Und das ist leider bislang eine fast ausschließlich eurozentristische, weiße und männliche Perspektive. Auf diese Weise will unsere diverser werdende Gesellschaft natürlich nicht mehr auf die eigene Vergangenheit schauen.


Wo finden sich weibliche, diverse, migrantische oder klassistische Perspektiven? Danach haben wir gesucht und haben spannende Frauenbiografien und Ereignisse gefunden, die der Anfang sind, um Leerstellen zu füllen.


Das Team hinter dem Theaterspektakel Sheroes
Fly the Flag: Die Sheroes sind zurück! (Bild: Stephan Walzl)

Was erwartet uns konkret bei den drei Vorstellungen? Was werden wir sehen? Und: Hören wir bei euch die Wahrheit über die Welt?


Na, die eine Wahrheit gibt es in der Betrachtung auf die Vergangenheit eh nie. Aber wir bieten vielleicht ein paar neue Blickwinkel und Perspektiven.


Uns war es wichtig, nicht den Zeigefinger auszupacken und anstrengend-belehrend die eine neue Wahrheit zu proklamieren. Deshalb erwartet unsere Besucher:innen eine Art kleiner Jahrmarkt, mit verschiedenen Stationen, in denen spielerisch Dinge vermittelt werden, an denen sich alle, die Lust haben beteiligen können, ohne Ablaufplan oder Zwang. Alle Besucher:innen bewegen sich frei herum – können Filmbeiträge ansehen, Mitarbeiter:in in unserem Sheroesbüro werden, ein Getränk oder Bücher von unserer Partner:innen-Buchhandlung Isensee am Kiosk kaufen, sexistische Dinge in unserer Müllsammelstation abgeben, Musik lauschen, sich die Zukunft vorhersagen lassen und und und…


Ich drücke es mal zurückhaltend aus: Das klingt nach sehr viel!


Ja, es gibt pro Vorstellungstermin drei Stunden lang viel zu erleben. Und damit jede:r auch physisch etwas mitnehmen kann, kann man sich an all den Stationen Coins erspielen, die man am Kiosk gegen die Biografie einer „unbekannten“ Frau eintauschen kann.


Von einem "queer-feministischen Spektakel" fühlen sich aber vielleicht nicht alle angesprochen. Warum sollten auch - oder vor allem - diejenigen kommen, die zunächst denken: 'Das ist nix für mich'?


Weil es für jede:n etwas zu Erleben und mitzunehmen gibt. Wir sind uns bewusst, dass dieses Thema manchmal ungemütlich oder anstrengend ist. Das ist es für uns auch manchmal gewesen und genau deshalb haben wir dieses Projekt entwickelt. Weil es Spaß machen kann und soll, mal die Perspektive zu wechseln und auf ein- und dieselben Ereignisse von einem neuen Standpunkt zu blicken. Wir möchten gemeinsam mit und von unseren Besucher:innen lernen und die Diversität unserer Gesellschaft feiern. Und genau dazu sind alle gemeinsam eingeladen und willkommen!


 

WAS IST EIGENTLICH DIE SPARTE 7?


„Kunst und Kultur haben es schon immer als ihre Aufgabe verstanden, unsere gesellschaftlichen Konstrukte und Strukturen kritisch zu hinterfragen“ - so steht es in einem Absatz weiter oben. Für dieses Prinzip steht kaum jemand so sehr wie die Sparte 7 des Oldenburgischen Staatstheaters.


Was nach einem ganzen Ensemble klingt, ist in Wahrheit nur eine einzige Person: Gesine Geppert, agiles Multitalent und kreatives Tausendsassa. Programmgestaltung und Dramaturgie, Bühnenbau und Kostüm, Grafik und Fotografie, Siebdruck und Catering? Alles kein Problem. Und das ist noch nicht alles, Gesine ist nämlich auch eine begnadete Netzwerkerin. Deshalb agiert sie nie allein, sondern realisiert ihre Projekte in ständig neuen Allianzen, Konstellationen und Kollaborationen.


Das Besondere an der Sparte 7: Auch wenn der inhaltliche Anspruch stets hoch ist (siehe oben), verliert sie sich nicht in abstrakten Schwurbeleien, sondern bleibt immer zugänglich und interessant: manchmal erklärend und informativ, manchmal mitreißend und spektakulär, und manchmal ganz einfach nur glitzernd und bunt.


Das Staatstheater wird häufig als eine Art Supertanker der Kultur wahrgenommen: Üppig dimensioniert und ausgestattet, aber tendenziell schwerfällig. Damit liegt man schon beim regulären Programm nicht richtig, ganz und gar nicht aber bei der Sparte 7. Sie ist eine agile, dynamische Kreativzelle, die eine diebische Freude daran hat, zu probieren, zu experimentieren, zu provozieren - und manchmal auch einfach nur Vielfalt und Kultur zu feiern.


Wir legen euch alle - ja, wirklich alle! - Veranstaltungen der Sparte 7 ans Herz. Denn eines ist immer garantiert: Dass etwas passiert in eurem Kopf. Entweder findet ihr Denkanstöße und gedankliche Reibungsflächen oder aber ihr erlebt ein emotionales Spektakel, in das man sich voll und ganz reinfallen lassen kann. Wie sich das anfühlt? Könnt ihr bei "Sheroes" ausprobieren, denn dort gibt erst eine Mischung aus beidem!



Die Normalität: fragil statt stabil


„Sheroes“ ist eine spannende Demonstration all dessen, wozu moderne, experimentelle Theaterformate in der Lage sind.

Mehr geht nicht: Sheroes #1 war unterhaltsam, interessant und lehrreich, aber trotzdem total entspannt. (Bild: Walzl)

Die weiblichen Heldinnen hinterfragen fast alles, was unsere Gesellschaft aktuell als „Normalität“ definiert hat, und sie lassen uns dabei spüren, wie fragil diese Einordnung ist. Dabei liefert „Sheroes“ - im Gegensatz zur männlichen Geschichtsschreibung - keine vorgefertigten Interpretationsmuster. Im Gegenteil, die Heldinnen laden dazu ein, vermeintliches Feststehendes neu zu denken und die uns bekannte Welt neu zu vermessen. Unser Tipp: Überwindet die Leitplanken und verlasst die geregelten Bahnen. Wagt Abenteuer, Experimente und Entdeckungen. Riskiert Freiheiten statt Gewohnheiten. Schaut euch die „Sheroes“ an. Vielleicht spürt ihr, dass nicht alles so fest steht, wir wir immer glauben. Und in eurem Kopf singt dazu David Bowie: „We can be Sheroes. For more than one day.“

Comments


bottom of page