PAVEL MÖLLER-LÜCK: DER PUPPENSPIELER
- kulturschnack
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Aktualisiert: vor 4 Tagen
Die Kleine Straße macht ihrem Namen alle Ehre. Nur eine Handvoll Häuser steht hier. Und doch gehört sie zu den bekanntesten Adressen Oldenburgs. Genauer gesagt: die Hausnummer 8. Hier – in der 1869 erbauten ehemaligen Turnhalle des Oldenburger Turnerbundes – residiert eines der bedeutendsten Figurentheater Deutschlands: das Theater Laboratorium von Barbara Schmitz-Lenders und Pavel Möller-Lück.

Es ist ein ungemütlicher Vormittag in Oldenburg, nass und kalt. Betritt man dann jedoch das Gebäude, lässt man mehr als nur das Wetter hinter sich. Wir finden uns wieder in einem opulenten Café, das sehr viel erhabener wirkt, als man es vom Vorraum eines Theatersaals erwarten dürfte. Die detailverliebte Einrichtung gleicht einem „Best Of“ europäischer Kaffeehauskultur. Man spürt sofort: Das Theatererlebnis beginnt hier nicht mit dem Heben des Vorhangs – es beginnt mit Überschreiten der Türschwelle.
An einem der Tische sitzt der Spiritus Rector dieses Kleinods im Oldenburger Ziegelhofviertel: Pavel Möller-Lück. Geboren 1959 in Eutin, romantischer Abenteurer, verträumter Anarchist und begnadeter Erzähler. Anders ausgedrückt: Theatermacher mit Leib und Seele. Mit dem Laboratorium hat er – gemeinsam mit seiner Frau Barbara Schmitz-Lenders – einen „Seelenort“ geschaffen, dessen Ruf weit über die Grenzen der Region hinausreicht. Rund 60.000 Gäste verzeichnet das Haus pro Jahr, beinahe alle Vorstellungen sind ausverkauft. Wer eine davon besucht hat, weiß sofort warum – kann es aber meist nicht in Worte fassen. Die Stücke sind fantasievoll, poetisch, emotional, atmosphärisch, nachdenklich, krachend komisch. Doch kein Attribut scheint ausreichend zu beschreiben, was das Besondere ist. Alle treffen zu; aber selbst ihre Summe wird dem Erlebnis kaum gerecht.
Seelenort: Der Theaterabend beginnt im Laboratorium nicht mit dem Heben des Vorhangs, sondern mit dem Überschreiten der Türschwelle. (Bild: Theater Loboratorium)
Gedankliche Dehnübungen
Wie lernt man, so etwas zu kreieren? Seit 1983 gibt es in Stuttgart einen Studiengang für Figurentheater. Doch Pavel hat ihn nicht etwa besucht. „Ich habe ihn mit aufgebaut“, erklärt er schmunzelnd. Wie bitte? Zu dieser Zeit müsste er vierundzwanzig Jahre alt gewesen sein. „Ja, genau. Und erst wollte ich auch nicht. Mir war das nämlich nicht genug, um dafür nach Stuttgart gehen. Ich wollte auch die Leitung des Figurentheaters.“ Reichlich selbstbewusst für jemanden, der als junger Puppenspieler zwar eine gewisse Bekanntheit erlangt hatte, auf dem Papier aber nur ein Schauspielschüler war. Doch Pavel bekam, was er wollte und konnte Studium und Praxis perfekt miteinander verzahnen. Gleichzeitig stellte er sich gegen die Traditionalist:innen und definierte das Figurentheater neu: als ernstzunehmende Sparte für jedes Alter. „Nötige Dehnübungen“ nennt er das heute.
Diese Episode verrät viel über den Menschen und Macher Pavel Möller-Lück. Über sein Selbstbewusstsein, über seine Anspruchshaltung und über seine Vorstellungskraft. Eingerahmt von kreisrunden Brillengläsern funkeln seine Augen, wenn er davon erzählt. Das tun sie eigentlich durchgehend, als wäre er ständig aufs Neue inspiriert. Immer wieder rutscht er auf dem Stuhl nach vorn, stützt die Arme auf den Tisch und erzählt eindringlich. Kein Zweifel: Hier hat jemand Freude an dem, was er tut.

Das Argument für Oldenburg
Nach Oldenburg wollte Pavel eigentlich nicht. Zumindest nicht ursprünglich. „Aber dann war ich mal hier. Und ich wurde gefragt, ob ich nicht bleiben wollte.“ Das entscheidende Lockmittel war die erste Spielstätte, eine ehemalige Isolierbaracke hinter dem Kulturzentrum PFL. „Für die Stadt war das ein Abrissobjekt, für uns ein Traum“, erinnert er sich. Und so wurde der Vagabund nach unzähligen Theatertouren durch Europa schließlich sesshaft. So sehr, dass nach dreizehn Jahren der Umzug in die Kleine Straße erfolgte – und später sogar die Erweiterung um die benachbarte Limonadenfabrik.
Bereut hat er die Entscheidung nie. Und das, obwohl er mit seinem Theater – nach Ansicht von Expert:innen – in jeder Metropole der Welt bestehen könnte? „Mag sein. Aber die Menschen hier haben einen großen Vorsprung gegenüber allen anderen. Sie haben uns vom ersten Tag an die Bude eingerannt. Das vergesse ich nie.“ Und nach einem kurzen Moment ergänzt er:
„Ich liebe Frankreich, ich liebe Schweden – und Oldenburg liegt doch in vieler Hinsicht genau dazwischen.“

Mittlerweile ist er länger hier als an irgendeinem anderen Ort: über ein Vierteljahrhundert. Das liegt auch daran, dass sich Oldenburg in dieser Zeit verändert hat. „Man erkennt immer mehr, wie wichtig die sogenannten ‚weichen Faktoren‘ sind. Städte müssen leben. Und dafür braucht es Kultur.“ Pavel ist nicht so vermessen, einen Anteil daran auf sich zurückzuführen. Abstreiten würde er es aber auch nicht. Der Wettbewerb um Fachkräfte und Zukunftsfähigkeit entscheidet sich eben nicht nur in Büros, sondern auch auf Bühnen. Da schadet es nicht, wenn man ein Laboratorium zu bieten hat.
Freier Lauf für die Fantasie
Für Pavel geht es aber um mehr. Die Menschen, die das Laboratorium besuchen, sollen nicht nur in eine andere Welt eintauchen. Sie sollen von dort auch etwas mitnehmen. „Wir wollen verstehen lernen – und ein Stück heiler werden in dieser Welt“, beschreibt er den Effekt. Aber wie erreicht man das? Wie entstehen die Geschichten? „Immer im Team“, erzählt er. „Wir sind etwa zehn Leute, setzen uns gemeinsam an einen großen Tisch und dann geht’s los!“ Man spürt selbst bei dieser schlichten Beschreibung, wie viel Spaß ihm das macht – und dass er diese Runde am liebsten augenblicklich wieder einberufen würde. Die Mitglieder des Teams haben ihre Expertise beim Film, in der Fotografie oder im Schauspiel. Jeder hat eine andere Perspektive auf den Stoff. Durch das gemeinsame „Laborieren“ bekommt das Stück seine Konturen. Pavel nennt einen entscheidenden Vorteil:
„Im Figuren- und Objekttheater haben wir den großen Vorteil, dass wir unserer Fantasie freien Lauf lassen können. Wir schaffen eine Form des fantastischen Realismus.“
DAS ALLES UND NOCH VIEL MEHR PAVEL MÖLLER-LÜCK UND BARBARA SCHMITZ-LENDERS IM PODCAST Das Theater Laboratorium genießt in Oldenburg - und darüber hinaus - Legendenstatus. Es gibt kaum jemanden, der sich der Magie des „Seelenortes“ entziehen kann. Doch wie ist es iegentlich dazu gekommen? Und wie sieht der Alltag eines Figurentheaters aus? Darüber haben wir uns ausführlich mit Pavel Möller-Lück und Barbara Schmitz-Lenders unterhalten. Die beiden erzählen in unserem Podcast von Anfängen, Entwicklungen und Glücksfällen, von Entscheidungen, Irrtümern und Überraschungen. Vor allem aber berichten sie, wie sich das Leben mit einem erfolgreichen Figirentheater anfühlt, wie all die wunderbaren Geschichten entstehen und wie man sie auf die Bühne bringt. Dabei zeigt sich: Die Leitung eines solchen Theaters ist kein Job, sie ist eine Lebensaufgabe - und für Pavel und Barbara ist es genau die richtige.
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Es scheint diese Offenheit zu sein, die es ermöglicht, auch sensible Themen wie Krankheit und Sterblichkeit gefühlvoll zu thematisieren – wie zum Beispiel in „Die Bremer Stadtmusikanten“, mit insgesamt 180.000 Gästen das erfolgreichste Stück. Wie kommt es zum Entschluss, diese Stoffe aufzugreifen? „Das liegt oft an persönlicher Betroffenheit. Manchmal denke ich: Die Themen suchen uns, nicht wir sie.“ Das ist auch einer der Gründe, warum die schwierige Gratwanderung zwischen Emotionalität und Leichtigkeit so gut gelingt. „Man darf Angst zulassen, aber sich ihr nicht ergeben. Wir spielen mit ihr.“ Für Pavel sind Melancholie und Humor Geschwister, immer nah beisammen.
„Nach der Vorstellung sind die Gäste oft in guter Stimmung, sie haben viel gelacht. Aber wir geben ihnen die Nachdenklichkeit trotzdem mit; wie eine große Tüte, in die noch was reingepackt wird. Zum Mitnehmen. Melancholie to go.“
Theater, das sich einmischt
Pavel Möller-Lück versteht das Theater aber nicht nur als emotionalen, sondern auch als politischen Ort. „Figurentheater hatte immer eine politische DNA“, erklärt er. „Der Kasper zum Beispiel war ein Kabarettist. Er konnte sagen, was andere nicht sagen durften. Er war das geduldete Enfant Terrible.“ Pavel sieht sich in dieser Tradition. „Ich spiele niemals das gleiche Stück. Wenn tagespolitisch was passiert ist, wenn die Leute sich über was aufregen – dann gehört das mit rein. Dann will ich das mit ihnen besprechen.“ Dabei hält er seine eigene Meinung nicht zurück. „Theater muss sich einmischen“, ist er überzeugt.

Wenn man Pavel Möller-Lück so hört, wünscht man sich beinahe, etwas von seiner Strahlungswärme würde abfärben und man dürfte sie mitnehmen nach Hause. Aber letztlich ist es genau das, was im Theater Laboratorium passiert. Pavel und sein Team haben eine Sprache gefunden, die ihre vielen Gäste berührt; von der sie sich gern berühren lassen; und die widerhallt in ihren Köpfen, wenn sie das Theater längst verlassen haben.
Ein Blick durch die großen Fenster verrät: Immer noch prasseln Regentropfen nieder. Bevor es wieder hinausgeht in die Kälte, drängt sich noch eine Frage auf: Wie geht’s weiter? Mit Anfang sechzig zählen manche schon die Tage bis zur Rente. „Ich sicher nicht! Ich habe noch genug Energie“, wehrt Pavel ab. Dennoch schwebt ihm eine Art Altersteilzeit vor: „Jedes Jahr drei Monate Frankreich, drei Monate Schweden – und dazwischen Oldenburg. Das fände ich gut!“ Der Puppenspieler bleibt der Stadt also erhalten – und mit ihm eines der bedeutendsten Figurentheater Deutschlands.