Wie reden Männer eigentlich miteinander, wenn keine Frau in Hörweite ist und der Wokeness-Level noch Luft nah oben hat? Darauf gibt es zwei Antworten: Erstens eine Geschönte - und zweitens die Wahrheit. Das Oldenburgische Staatstheater wirft jetzt ein Blick auf solche Gespräche - und zwar dort, wo sie stattfinden, wie etwa an der Theke im Ama. Dass diese Nahaufnahme auf Platt stattfindet? Macht sie noch besser!
Niederdeutsches Theater hat es nicht immer leicht beim postironischen Publikum deutscher Universitätsstädte. Das Klischee besagt, dass die Handlungen der entsprechenden Stücke allzu häufig nur auf die nächste Pointe abzielen und weniger mit Ebenen spielen als etwa hochgeistiges Diskurstheater. Zwar gibt es kaum ein Klischee ohne Grund, es ist also etwas Wahres dran. Jedoch greift diese Geringschätzung zu kurz.
Das zeigen immer wieder kluge, emotionale Stücke aus diesem Bereich oder die Adaption zurecht erfolgreicher Stoffe wie etwa Soul Kitchen. Die Niederdeutsche Bühne am Staatstheater versucht jedenfalls, eine gute Mischung zu finden - und dazu trägt jetzt „Schluck's runner“ bei. Das intime Drei-Personen-Stück behandelt gesellschaftlich hochrelevante Themen wie geschlechtsspezifische Rollenmuster und toxische Männlichkeit - auf Platt, aber nicht platt!
OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER
SCHLUCK'S RUNNER
NIEDERDEUTSCHES SCHAUSPIEL UNTERWEGS
DO 30.11. 19.30 UHR (AUSVERKAUFT)
DO 07.12. 19.30 UHR (TICKETS)
FR 08.12. 19.30 UHR (TICKETS)
SO 10.12. 19.30 UHR (TICKETS)
DI 12.12. 19.30 UHR (TICKETS)
AMADEUS TANZSPEICHER
26122 OLDENBURG
Eine Schnapsidee!?
Auch wenn hin und wieder Menschen ins Ama gehen, die Plattdeutsch noch beherrschen, hört man es dort eher selten. Um nicht zu sagen: Gar nicht. Und doch hat sich das Team hinter dem Stück „Schluck's runner“ ausgerechnet diese Location ausgesucht. Aus gutem Grund, wie Kiyan Naderi berichtet, der zusammen mit Hannah Koopermann das Stück geschrieben und die Regie übernommen hat: „Die Handlung spielt komplett an einer Theke. Im Theater hätten wir das mühsam konstruieren müssen. Da kam schnell der Gedanke: Warum nicht direkt in die Kneipen gehen?“
Dieser nonchalante Pragmatismus passt zum Stück und zu dessen Entstehung. Es wurzelt nämlich in einem nächtlichen Gespräch - natürlich an einem Tresen - zwischen den drei Schauspielern Florian Pelzer, Patrick Schönemann, Pascal Oetjegerdes und Hannah, die am Staatstheater als Regieassistentin arbeitet. Schnell merkten sie dabei, dass die großen Themen dieser Nacht zu deutlich mehr taugten als nur einem Gespräch im kleinen Kreis - und dass sie vielleicht mal auf Platt verhandelt werden sollten, schließlich waren die drei beim Niederdeutschen Schauspiel aktiv. Schnell holten sie mit Kiyan einen weiteren Autor und Regisseur sowie mit Clara Kaiser eine Bühnen- und Kostümbildnerin an Bord - und legten los.
Ungefilterte Männerwelt
Tatsächlich könnten die Inhalte des Stücks relevanter kaum sein. Die drei männlichen Protagonisten reden an der Theke „über Frauen, Arbeit, Geld und Fußball. Über was auch sonst? Und nach dem einen oder anderen Schnaps stellt sich heraus, dass die drei sich nicht zufällig dort getroffen haben.“ So steht es in der Ankündigung - und diese lakonische Beschreibung trifft es gut, denn das Gespräch bietet ungefilterte Eindrücke aus einer Welt, die für Frauen in der Regel unerschlossen bleibt - die aber auch Männer nur selten hinterfragen.
Es geht dabei nicht etwa nur um Mansplaining, Manterruption, Hepeating, also wie Männer sich gegenüber Frauen verhalten. Ebenso wichtig ist der Blick darauf, wie sie untereinander agieren, also auf Rollenbilder, Verhaltensmuster, Revierkämpfe.
„So ist auch der Titel zu verstehen“. erläutert Hannah. Zum einen gehe es natürlich um den Alkohol. „Zum anderen aber auch um die Gefühle, die man eben nicht zeigen darf und durch die man 'durch' muss, ohne darüber zu reden.“ Zudem haben Florian, Patrick und Pascal auch eigene Erfahrungen eingebracht, das Stück trägt also biographische Züge - und bewegt sich deshalb auf der Höhe der Zeit. Denn was könnte aktueller sein als das echte Leben?
MÄNNLICHKEIT ALS PROBLEM WENN ES TOXISCH WIRD Unter dem Begriff „toxische Männlichkeit“ versteht man vereinfacht gesagt das Festhalten an traditionell männlichen Denk- und Verhaltensweisen, mit denen Männer und männlich gelesene Personen anderen Menschen schaden können - aber auch sich selbst. Das Ausüben dieser Denk- und Verhaltensweisen ist meist der persönlichen Sozialisierung geschuldet: Durch das - mal mehr, mal weniger bewusste - Aufrechterhalten überholter Rollenbilder ist der Begriff „Männlichkeit“ nach wie vor mit bestimmten Eigenschaften verknüpft. So heißt es etwa, Männer dürfen keine Gefühle oder Schwäche zeigen, sondern müssen stattdessen hart sein und Dinge mit sich selbst ausmachen. Toxische Männlichkeit bedeutet also nicht, dass Männer an sich schädlich sind; es ist ein Verhalten, das auf einer gesellschaftlichen bzw. kulturellen Vorstellung beruht, wie Männer sein sollen. Das Aufwachsen mit diesen Rollenbildern kann dazu führen, dass man keine wirkliche Verbindung zu sich selbst, seinem Körper oder seinen Emotionen aufbaut – und somit auch die Grenzen anderer Menschen nicht einschätzen kann. Infolgedessen kann es unter anderem zu aggressivem Verhalten, emotionaler Distanzierung, Selbstvernachlässigung und daraus resultierenden gesundheitlichen Schäden kommen. Als Basis für diese Definition diente ein Artikel aus dem AOK Gesundheitsmagazin. Ihre Landingpage zur toxischen Männlichkeit empfehlen wir an dieser Stelle als guten Kompromiss aus Zugänglichkeit und Tiefe. Wer lieber Videos mag, klickt einfach hier.
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Nur keine Angst!
Bei der Umsetzung so zeitgemäßer, hochaktueller Theaterstoffe gehen die Gedanken vieler Menschen nicht intuitiv zum plattdeutschen Theater. Hier ging es den Beteiligten anders - und es erwies sich als goldrichtig. Dass Inhalt, Umsetzung und Ort sich deutlich vom regulären Programm des Niederdeutschen Schauspiels unterscheiden, stieß dort nicht etwa auf Skepsis, sondern bekam Support: „Unsere Schauspieler sind alle noch jung, so um die 30. In diesem Bereich genießen sie deswegen sowieso schon eine Sonderrolle“, erklärt Kiyan. „Die ungewöhnliche Idee passte da mehr oder weniger ins Bild“. Letztlich gehe es dem Niederdeutschen Theater aber auch nicht anders als vielen anderen Bühnen auch: um das junge Publikum muss man sich bemühen. Und dafür geht's eben auch mal ins Ama.
Nun ist die Zahl derer, die noch fließend Platt sprechen, nicht mehr ganz so hoch wie sie früher einmal war. Gibt es gar keine Befürchtungen, dass die Sprache eine Schwierigkeit darstellen könnte, dem Stück zu folgen - oder eine Grund, gar nicht erst zu kommen? „Wir sind uns dessen natürlich bewusst“, gibt Clara Entwarnung. „Zum einen ist es aber so, dass nicht durchgängig platt gesprochen wird - zum anderen kann man den Inhalt auch dann verstehen, wenn man selbst kein Platt beherrscht.“ Nicht zuletzt ist sogar der Autor des Stücks ein guter Gradmesser: Kiyan spricht nämlich gar kein Platt! „Die entsprechenden Passagen wurden nachträglich übersetzt", berichtet der mit einem Schmunzeln.
Das echte Leben
Die Theatererfahrung im Ama dürfte sowieso eher cool als klassisch werden: „Es gibt keine Sitzreihen und keine Platznummern“, berichtet Clara. „Wir nehmen das, was sowieso da ist: Barhocker und Stehtische, im Ama gibt's zudem die kleine Tribüne.“ Es werde ein sehr lockerer Theaterabend - ohne all die Regeln, die es in den traditionellen Häusern vielleicht noch geben mag. Die Idee, dass man auch als Gast beim Barkeeper des Stücks seine Drinks bestellen kann - und selber Teil des Geschehens wird - musste aufgrund der Komplexität zwar verworfen werden. Aber: „Man kann zwischendurch auch aufstehen und rumlaufen - und sich an der oberen Bar auch Drinks holen.“ Genau wie im echten Leben.
Ebenfalls wie im echten Leben gibt es auch nicht ständig Actionsequenzen oder dramatische Zuspitzungen - dafür aber eine große Portion Authentizität und Realismus. Der Fokus auf Dialoge bedeutet für die Regie aber nicht etwa Entlastung: „Wahrscheinlich ist es sogar anspruchsvoller, weil man sich viel mehr auf die innere Motivation der Charaktere konzentrieren muss“, erklärt Regisseur Kiyan. Gleichzeitig müsse man das Stück spannend gestalten und auch visuell etwas bieten. „Je kleiner so ein Stück ist, desto mehr müssen die Figuren auch über andere Ebenen erzählen, zum Beispiel über ihre Herkunft oder Kleidung. Ich würde tatsächlich sagen, dass es noch ein bisschen anspruchsvoller ist als ein Stück, in dem viel passiert.“
Sprachmelodie statt Postironie
Dieser Gedanke lässt sich auch den Gesamtkontext übertragen. „Schlucks runner“ ist ein kleines, familiäres Stück. Es besitzt deswegen aber nicht etwa eine geringe Bedeutung, denn es bietet einen ungeschönten Blick hinter die männlichen Fassaden des Alltags. Das lohnt sich für alle, unabhängig vom Geschlecht - schließlich machen wir uns viel zu selten bewusst, welche Mechanismen wir im Alltag fortlaufend zementieren und was wir bei anderen mit ihnen auslösen.
Dieser Theaterabend ist deshalb ein Kristallisationspunkt. Sein Charme liegt nicht zuletzt im einfachen Setup und der Reduktion auf eine Szene, ein Gespräch. Und genau darin liegt vielleicht auch sein langfristiges Potenzial: Zum einen kann das Stück durch die Bars der Stadtteile wandern - zum anderen könnte es aber auch in Dorfkneipen stattfinden; also dort, wo tatsächlich platt gesprochen wird und Wokeness vielleicht weniger präsent ist.
Warum das Plattdeutsch dabei ein Pluspunkt ist? Während sich in vielen Diskussionen Fronten verhärten, weicht es sie hier auf: „Die Sprachmelodie und wie sich die Sprache anfühlt - das unterscheidet sich schon“, schildert Kiyan seine Eindrücke. Im Hochdeutschen klängen viele Sätze härter, manchmal sogar aggressiver. „Der gleiche Inhalt wird auf Platt beinahe niedlich.“ Manchmal hilft eben nicht der Duktus des postironischen Großstadtpublikums oder des hochgeistigen Diskurstheaters weiter, sondern eine zugänglichere Sprache. Und das ist Platt - aber nicht platt!
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