top of page

MUT ZUR NISCHE

Als Thema für eine Ausstellung werden häufig Themen ausgewählt, die große Bilder und Erzählungen zulassen. Das Institut für Kunst und visuelle Kultur der Carl von Ossietzky Universität hat jetzt einen anderen Schwerpunkt gesetzt. Die Studierenden haben sich mit einem besonderen Ort beschäftigt, der grandios unterschätzt ist: die Nische.


Ein Gänseblümchen wächst aus einer Nische im Asphalt in Oldenburg.
Unkraut oder Naturwunder? Der Lebensumgebung in der Nische muss man gewachsen sein. (Bild: Shutterstock)

Mit der Nische ist es so eine Sache. Sie gilt bestenfalls als B-Lage des Alltags bzw. als Ort, an dem nur Minderwertiges oder Unbedeutendes passiert. Doch damit könnte man falscher gar nicht liegen. Richtig ist zwar, dass die Aufmerksamkeit dort zunächst geringer ist. Doch bietet die Nische genau deshalb den richtigen Nährboden für Wagnisse und Experimente - die dann das Gewohnte und Etablierte überstrahlen.


Es lohnt sich also, die Nische einmal genauer anzusehen. Was bietet sie? Was wächst dort? Und was braucht es, um aus der Nische herauszuwachsen? Oder ist ihre Stärke gerade, dass es gar keine Regeln gibt, man die Nische also nicht absichtlich kreieren kann? Die Studierenden des Instituts für Kunst und visuelle Kultur haben sich ähnliche Fragen gestellt - und ihre Antworten in Form von Kunstwerken gegeben, die nun in der Ausstellung „Mind the Gap“ zu sehen sind.


 

INSTITUT FÃœR KUNST UND VISUELLE KULTUR


MIND THE GAP

KÃœNSTLERISCHES SUCHEN IM DAZWISCHEN


19. OKTOBER BIS 9. NOVEMBER


DONNERSTAGS: 18 BIS 21 UHR

SAMSTAGS: 14 BIS 17 UHR


LANDESMUSEUM NATUR UND MENSCH

26135 OLDENBURG

 

Aus dem Nichts


Insgesamt 26 Studierende aus den Lehrgebieten Skulptur und Fotografie haben sich an diesem Projekt beteiligt und sich mit dem Wesen und den Eigenarten der Nische auseinandergesetzt. Dabei drängt sich eine Frage geradezu auf: Wie kann das gehen? Schließlich definieren sich Lücken und Nischen in erster Linie durch die Abwesenheit von etwas anderem. Sie entstehen quasi aus einem Nichts, bieten aber dennoch etwas ganz Entscheidendes: Raum. Und zwar einen Schutzraum ohne Erwartungen und Verpflichtungen, weil er eben nicht im Rampenlicht und unter Beobachtung steht. Einen Ort also, an dem vieles wachsen und gedeihen kann, was anderswo keine Gelegenheit dazu hätte. Doch wie stellt man so etwas dar?


Maximal unterschiedlich: Die ausgestellten Werke entstammen zwar allesamt den Bereichen Skulptur und Fotografie, ähneln einander aber kaum. (Bilder: Landesmuseum Natur und Mensch)


Der Weg zur Nische


Die Studierenden haben sechsundzwanzig sehr individuelle, durchweg intelligente Antworten auf diese Frage gegeben und dabei zweierlei gezeigt: Dass es durchaus möglich ist, Nischen und Lücken eine künstlerische Gestalt zu geben - und das die Ergebnisse für die Betrachter genauso aufregend sein können wie gegenständliche Darstellungen. „Wir denken, unsere Arbeiten präsentieren verschiedene Ansätze auf unterschiedlichste Weise“, erklärt die Gruppe. „Jede/r von uns hat sich auf seinem Weg der „Nische“ angenähert. Damit bietet allein das Wort Identifikationsmöglichkeit für alle und macht den gesamten Prozess besonders.“


Bespiele gefällig? Aber gerne: Kai Birkenfeld hat einen schmalen Teil der Wand und Bodenfläche eines Raumes im Gebäude bis auf den Grund freigelegt und den Untergrund sichtbar gemacht. Aileen Castelli hat sich auf die Suche nach kleinen, hochspezialisierten Fachgeschäften und Nischenläden begeben, und zeigt deren Inhaber:innen und Interieurs in dokumentarischen Fotografien. Anneke Fortuin beschäftigte sich mit der Küste. Sie setzt diese mit ihrer persönlichen Geschichte in Verbindung. Durch eine besondere Form der Narration, die sie mit einer Soundkollage kombiniert, hat die Arbeit eine filmische Anmutung. Timo Merten hat einen Erdhügel zentral in einem Raum platziert, sodass die Erde von allen Seiten betrachtet und beobachtet werden kann. Was verbirgt sich im Inneren und könnte es vielleicht in Erscheinung treten? Um Privatheit und Öffentlichkeit geht es in der Arbeit von Mariele Dierks. Ausgehend von der Idee des toten Winkels, quasi einer Lücke im Überwachungssystem, werden in ihrer Installation aus Überwachungskameras und Monitoren Ausstellungsbesuchende zu Akteur:innen.


Das Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg.
Altehrwürdig: Mit Kunst aus der Nische bringt man das Landesmuseum Natur und Mensch. nicht intuitiv in Verbindung. Trotzdem ist sie dort sehr gut aufgehoben. (Bild: Landesmuseum Natur und Mensch)

Das Versteckte im Vordergrund


„In unseren Kursen haben wir uns alle individuell an unser Thema rangetastet“, gewähren die Studierenden Einblick in die Entstehung, „Dafür haben wir zum Beispiel die Möglichkeit bekommen verschiedenste neue Materialien und Verfahren auszuprobieren und Gruppenübungen gemacht, bei denen wir die Nischen in unser Umgebung erkundet haben.“ An erster Stelle habe jedoch immer der Austausch über Fortschritte, Erkenntnisse und Eindrücke gestanden - sowohl untereinander als auch mit den Dozentinnen.


„Anders als in der klassischen Bildhauerei wurde die Skulptur in diesen Arbeiten vom Raum aus gedacht und die Nische, der Hohl-, Um- und Zwischenraum in den Blick genommen“, erklärt Anna Holzhauer, Dozentin für Skulptur an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Das Unsichtbare, Versteckte und Prozesshafte sei in den Vordergrund gerückt.


Ähnliches hat Franziska von den Driesch, Dozentin für Fotografie, beobachtet: „Auch die fotografischen Arbeiten nähern sich dem Begriff der Nische, der Lücke, des Zwischenraums von sehr unterschiedlichen Seiten“, berichtet sie. Die klassische dokumentarische Fotografie spiele dabei ebenso eine Rolle wie experimentelle analoge und digitale Techniken. „Die Fotografie wird hierbei nicht als ein reines Abbildungsmedium verstanden, sondern als vielschichtige Erzählform zwischen den Ebenen von Zeit und Wirklichkeit.“



/// Die Nische ist zunächst mal eine Vertiefung in der Wand. Vielleicht klein, sicher aber auf genau eine Anwendung zugeschnitten, auf einen Gegenstand angepasst. Oder aber sie verlangt besondere Anpassung, um besetzt oder benutzt zu werden. Sie ist zugleich randständig, abseitig, den Blicken entzogen, und doch auf hervorgehobene Weise präsentiert. Die Nische ist ein Ort für das Erhabene und das Profane, in ihr verfängt sich gleichsam der Blick und der Staub. Die Nische ist ein geschützter Raum. Sie bewahrt vor rauem Wind und harter Konkurrenz. Sie beschränkt das Wirkungsfeld, aber sichert doch die Existenz. Die Nische ist nicht nur ein Ort. Nicht nur dessen besondere Bedingungen. Sie beschreibt die spezifischen Eigenschaften eines jeden Lebewesens selbst. Ist die Nische ein Beziehungsgefüge? /// Franziska von den Driesch ///



Die Kunst übernimmt


Das Landesmuseum Natur und Mensch ist möglicherweise nicht der Ort, an dem man Nischenkultur - oder eine Untersuchung derselben - am ehesten erwarten würde. Dennoch ergibt die Kooperation zwischen der Carl von Ossietzky Universität und dem Museum Sinn: „Die Verbindung von Kunst mit unseren Themen hat hier im Haus einen festen Platz", erläutert Dr. Ursula Warnke, Direktorin des Landesmuseums. Sie nehme eine wichtige Funktion in der Kommunikation und Vermittlung ein. "Es ist spannend zu sehen, was mit unseren leerstehenden Räumen passiert, wenn die Kunst sie übernimmt.“


INTERNATIONALES FILMFEST

WELTSTAR DER NISCHE


Für Erfolge aus der Nische gibt es unzählige Beispiele, insbesondere in der Kultur. Ein Beispiel dafür ist eine Band aus Seattle namens Nirvana, ein anderes ein Street Art Künstler namens Banksy. Aber auch in Oldenburg gedeihen Nischengewächse.


Im letzten Jahr haben wir anlässlich unseres Podcasts mit Torsten Neumann ein ausführliches Porträt zum Internationalen Filmfest Oldenburg geschrieben. Dabei wurde einmal mehr deutlich, dass dieses Festival vor allem deshalb erfolgreich ist, weil es sich auf die Nische der Independentfilme konzentriert. Ihre Unabhängigkeit bedeutet kleine Budgets, große Freiheit und viel Improvisation - was meist zu charakterstarken Ergebnissen führt. Das Oldenburger Festival erlangte mit - und wegen - diesem Schwerpunkt internationale Bedeutung. Diese vollkommen unvorhersehbare Entwicklung machte es zu einem Weltstar der Nische.

Richtig gelesen: Die Ausstellung findet nicht etwa im Haupthaus des Landesmuseums statt, sondern stadtauswärts einige Meter weiter, im etwas weniger schmucken Gebäude am Damm 46. Dort könnt ihr eintauchen in eine Ausstellung, die ihr in dieser Form sicher noch nicht sehen habt. Die Werke der Studierenden sind nicht nur häufig ästhetisch und inhaltlich gelungen, sie machen auch Hoffnung. Hoffnung darauf, dass sich hier in Oldenburg aus den Kunst-Studiengängen eine aktive Szene entwickelt, die in Oldenburg möglichst vieler solcher Spuren hinterlässt.



Aufregung ohne Nervosität


Die Ausstellungseröffnung am 18. Oktober sei für die Gruppe zwar aufregend gewesen, jedoch nicht im Sinne von Nervosität: „Nach den langen Aufbautagen, in denen wir immer wieder unsere eigenen Fortschritte klarer sehen konnten, war es einfach total spannend zu sehen, wie viel wir am Ende geschafft haben, wie viel Arbeit hinter uns liegt und was für eine Reaktion wir hervorrufen können.“


Bei uns sind es nur positive. Und weil uns diese Ausstellung so gut gefällt, muss hier auch Zeit und Raum sein, die sechsundzwanzig Künstler:innen namentlich zu nennen. Das sind: Hanna Agena, Julia Barwig, Annika Baumann, Alina Berendt, Kai Birkenfeld, Benjamin Bogena, John Bornscheuer, Emelie Buhs, Aileen Castelli, Carina Dirks, Mariele Dirks, Talea Fehner, Svea Fieberg, Anneke Fortuin, Clara Halfar, Jochen Hühnebeck, Paula Knappe, Hanna Köhring, Timo Merten, Annina Opitz, Julia Saporoschez, Marielouise Schild, Keno Erwin Smit, Judith Springer, Merle Störmann, Klara Weever,


Das Landesmuseum Natur und Mensch am Damm in Oldenburg.
Lust auf Leerstand: Das Gebäude Damm 46 - in der Mitte ganz links - ist mehr als nur eine Nische und bietet genügend Raum für die Arbeiten der Studierenden. (Bild: Landesmuseum)

Achtung, Nische!


Bei "Mind the Gap" kommt viel zusammen: Das Thema ist ebenso spannend wie wichtig, weil die Nische einerseits den idealen Nährboden für alternative, innovative und experimentelle Formate bietet und weil sie andererseits Entwicklungen eine Chance gibt, die es woanders schwer hätten. Dass es ausgerechnet Studierende der Universität sind, die sich dem Thema gewidmet haben, macht „Mind the Gap“ sogar noch besser, als wenn etablierte Künstler:innen die Aufgabe übernommen hätten. Sie bieten schließlich - analog zum Thema der Ausstellung - noch keine elaborierte Perfektion, sondern stehen eher für den Sturm und Drang der Kunst. Diese Besetzung ist goldrichtig.


Was euch das angeht? So einiges, Schließlich lieben wir alle die kleinen Nischen in unseren Alltagen, denn auch uns geben sie einen wichtigen Freiraum zur Entfaltung. GDie Ausstellungen erinnert uns an en Reiz des Unvollkommenen, Unerwartetne oder Ungewöhnlichen. Lasst feiern uns das feiern und noch viel öfter sagen: Mut zur Nische! Denn da ist einiges los.

bottom of page