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LAUTER FEIERTAGE!?

Den Mai muss man lieben, denn so viele Feiertage wie in diesem Monat gibt es nicht einmal zu Weihnachten. Wir meinen an dieser Stelle allerdings nicht etwa den Tag der Arbeit, Christi Himmelfahrt oder Pfingsten - sondern die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. An sie kann man am 8. oder 9. Mai erinnern - aber auch am 10. Mai, wie nun das Projekt „Wider-Worte“ von Studierenden der Carl von Ossietzky Universität zeigt.


Ein brennendes Buch
Ambivalente Ästhetik: Diese Flammen verschlingen nicht nur Papier, sondern auch Freiheit und Offenheit. (Bild: Shutterstock)

Sie ist noch nicht lange her: Die letzte Diskussion darüber, was wir Deutschen feiern sollten und was nicht. Vor der Einführung des Reformationstags als Niedersächsischer Feiertag im Jahr 2018 befanden sich viele Vorschläge in der Lostrommel. Ob mit der protestantischen Erinnerung an das Jahr 1517 das richtige Datum gefunden wurde, darf man mit Blick auf die Zahl der Kirchenaustritte zumindest infrage stellen. Würde es im Mai nicht schon so viele Feiertage geben, hätte etwas anderes sehr viel näher gelegen.


Man braucht nur ins benachbarte Ausland zu schauen: Dort werden der 5. Mai (Niederlande) oder der 8. Mai (Frankreich, Tschechien) als ein Tag der Befreiung gefeiert, übrigens auch in der DDR. In Russland fällt das Fest auf den 9. Mai, weil die Ratifizierung der bedingungslosen Kapitulation um 23.01 Uhr erfolgte und es wegen der zweistündigen Zeitverschiebung in Moskau schon nach Mitternacht war. So oder so ist diese Haltung richtig, denn eine Befreiung war dieser Tag tatsächlich. Nicht etwa von den Deutschen, sondern von den Nationalsozialisten - auch wenn diese beiden Gruppen damals weitgehend deckungsgleich waren.


Wegen dieser Feinheit ist es Deutschland aber keineswegs unmöglich, dieses Ereignis ebenfalls zu feiern. Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat diese Lesart im Jahr 1985 sozusagen offiziell gemacht. Diese Ansage hätte es aber gar nicht gebraucht, denn wer halbwegs bei Verstand ist, würde das Ende des Zweiten Weltkriegs immer in diese Richtung interpretieren, nicht etwa als Niederlage.


 

WIDER-WORTE: GEDENKEN AN DIE BÜCHERVERBRENNUNG

EIN PROJEKT VON STUDIEREN DER CARL VON OSSIETZKY UNIVERSITÄT


Mittwoch, 10. Mai, 14 Uhr

Auftaktveranstaltung

Aula der Universität, Uhlhornsweg 49-55


Mittwoch, 10. Mai, 18 Uhr

Unikino Gegenlicht: „Nelly & Nadine“


Donnerstag, 11. Mai, 12.30 Uhr

Workshop Bücherbinden

Universität Oldenburg, Gebäude V03, Raum 0-C001


Donnerstag, 11. Mai, 20 Uhr

Lichtenstein liest... Texte aus der Freiheitsbibliothek

in Zusammenarbeit mit der Sparte 7 des Staatstheaters

Buchhandlung Bültmann und Gerriets


Freitag, 12. Mai, 16 Uhr

Workshop Bücherbinden

Horst-Janssen-Museum, Atelier „Bildung und Vermittlung“


Samstag, 13. Mai, 15 Uhr

Kinderworkshop im Rahmen der Papierwerkstatt: Bücherbinden

Horst-Janssen-Museum, Atelier „Bildung und Vermittlung“


Montag, 15. Mai, 16 Uhr

Workshop: Die ‚Wider-Worte‘ von Mark Zusaks „Bücherdiebin“

Eine philosophische Begegnung

Karl-Jaspers-Haus


 

Es geht noch weiter


Trotz allem sind weder der 8. noch der 9. Mai in Deutschland bzw. Niedersachsen Gedenktage geworden. Der Reformationstag war höchstwahrscheinlich konfliktfreier und aus Perspektive der Arbeitnehmer:innen gilt vielleicht das Prinzip: Hauptsache frei. Dennoch sollten wir diese Tage - unabhängig von ihrem Status - dazu nutzen, um uns a) an die unfassbare Grausamkeit dieser Zeit zu erinnern, aber b) auch darüber freuen, dass sie vorbei ist. Hier darf man ebenfalls bei unseren Nachbar:innen abgucken, denen eben jene Balance aus angemessener Schwere und befreiender Leichtigkeit meistens gut gelingt.


Es gibt aber noch einen weiteren Tag, der für ein Gedenken infrage gekommen wäre - oder der sich besser gesagt geradezu aufdrängt: Nämlich der 10. Mai. Dieser Blick zurück würde allerdings nicht am Ende des Zweiten Weltkriegs ansetzen, sondern noch vor dessen Anfang bzw. an dessen Wurzel, nämlich am 10. Mai 1933.


Damals verbrannten die Nationalsozialisten - u.a. auf dem Bebelplatz in Berlin - Bücher von „entarteten“, jüdischen oder politisch geächteten Autor:innen und setzten damit eine intellektuelle Bereinigung in Gang, die den Niedergang der gesellschaftlichen Offenheit immens beschleunigte. Wenn Presse, Literatur und Meinungsäußerung nicht mehr frei sind, fehlt den Menschen die Luft zum atmen, denken, fühlen. Schutzlos sind sie in solchen Fällen der nationalen Propaganda-Maschinerie ausgeliefert - auch in der Gegenwart, wie das Beispiel Russland aktuell zeigt. Diesen 10. Mai muss man daher als ein Fanal werten, das alles weitere erst möglich machte.


Die Nationalsozialisten verbrennen am 10. Mai 1933 Bücher
Anfang vom Ende: Die Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz in Berlin. (Bild: Shutterstock)


Trauern? Feiern? Erinnern!


Mit dem Projekt Wider-Worte - und den damit verbundenden Veranstaltungen - erinnern nun Studierende der Carl von Ossietzky Universität an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten vor neunzig Jahren. Nicht nur in Berlin, auch in 22 weiteren deutschen Städten wurden damals tausende Bücher verbrannt, darunter auch Schriften des Namensgebers der Universität. Mit ihrem ambitionierten Projekt will die Gruppe an das historische Ereignis und seine Folgen erinnern und darüber hinaus ein Zeichen für die Kultur der Schriftlichkeit setzen. Geradezu genial ist in diesem Zusammenhang das Angebot von Buchbinder-Kursen - gewissermaßen eine Selbstermächtigung für den Ernstfall, gleichzeitig aber auch eine Ode an das Buch.


Die Bewahrung der Schriftlichkeit scheint tatsächlich wichtiger zu werden, denn mit dem fortschreitenden Rückzug der Tageszeitungen aus den privaten Haushalten - und damit bereits aus manchen Regionen - erodiert die gesellschaftliche Diskursqualität immer weiter. Das Internet kann bisher keine vergleichbaren Alternativen schaffen bzw. wirkt es bisweilen eher als Brandbeschleuniger (sic!), zumal dort die Unterscheidung zwischen wahr und falsch immer schwerer fällt. Der Kulturschnack schätzt Printprodukte sehr und unterstützt diesen Vorstoß ausdrücklich. Schließlich gilt nach wie vor, was Heine vor zweihundert Jahren aufschrieb, was aber vor neunzig Jahren sträflich in Vergessenheit geriet.


„Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ (Heinrich Heine, 1823)

Danken muss man an dieser Stelle Prof. Dr. Susanne Möbuß, Dozentin für Philosophie an der Universität, auf deren Anstoß das wichtige Projekt zurückgeht. Aber auch die vielen Kooperationspartner:innen - wie Unikino Gegenlicht, Bültmann und Gerriets, Horst-Janssen-Museum, Sparte 7 des Staatstheaters und das Karl-Jaspers-Haus - zeigen Gespür und Haltung. Nicht zuletzt waren es aber die Studierenden, die mit großem Engagement und guten Ideen aus einer guten Anregung eine attraktive Veranstaltungsreihe machten. Chapeau!



Die nächste Diskussion


Die große Bereite an Unterstützer:innen ist ein gutes Signal dafür, dass die Bedeutung von Schriftstücken eine große gesellschaftliche Einigkeit sowie eine entsprechende Sensibilisierung herrscht. Das ist die wichtigste Voraussetzung, um Fehler der Geschichte nicht zu wiederholen.


Eines fehlt aber noch: Eure Beteiligung. Zwar ist die Anmeldefrist für die Buchbinder-Kurse längst abgelaufen und viele es nicht einrichten können, die Veranstaltungstermine in ihre Tagesabläufe zu integrieren. Irgendwas ist ja immer. Aber das macht nichts - solange man dieses Angebot nutzt, um sich selbst den einen oder anderen klugen Gedanken zu machen. Begegnen, Sprechen, Erinnern - dafür bietet das Projekt Wider-Worte zwar den idealen Rahmen, der Dreiklang funktioniert aber auch auf privater Ebene.


Wichtig ist, dass wir keinen dieser Termine je vergessen: Nicht den 8. Mai, nicht den 9. Mai und auch nicht den 10. Mai. Wenn sie offizielle Gedenktage wären, würde das sicher helfen, doch die Politik hat anders entschieden. Deshalb hoffen wir einfach auf bessere Ergebnisse bei der nächsten Diskussion darüber, was wir Deutschen feiern sollten und was nicht. Auch wenn es im Mai schon lauter Feiertage gibt.

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