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KOLUMNE: ZUVIEL IST GERADE RICHTIG

Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die Spielzeitung des Staatstheaters. Digital findet ihr sie unter www.staatstheater.de. Oder: hier.

Szene mit einem Mann in einem Tomatenkostüm im Oldenburgischen Staatstheater
Eine Killertomate? Das Staatstheater bietet mehr Überraschungen als man denkt (Bild: Stephan Walzl)

Entspannt den Überblick verlieren


Mir ist etwas aufgefallen. Wenn ich versuche, mich an Dinge zurückzuerinnern, die länger als zwei Tage her sind, dann fällt mir das zunehmend schwerer. Früher konnte ich auf Fragen nach dem Wer, Was, Wann und Wo in Sekundenschnelle antworten. Und heute? Dauert es länger – und bleibt manchmal ergebnislos. Ist es nur das Alter? Oder steckt etwas anderes dahinter? Vielleicht: eine latente Überbeanspruchung des Gehirns? Weil einfach zu viel los ist, sich zu viel verändert, zu viel zu bedenken ist, es zu viel zu tun gibt?


Aufmerksame Leser:innen werden die beiden Schlüsselwörter in dieser Aufzählung erkannt haben: zu viel. Ich habe einige Sympathie für diese Erklärung. Nicht nur, weil ich damit vorzeitige Senilität vorerst ausschließen kann. Sondern auch, weil sie meinen Eindrücken entspricht. Da strömt eine Menger auf uns ein. Aber bevor sich ein negativer Vibe in diese Erzählung einschleicht: das muss gar nicht schlecht sein.


Denn auch, wenn die Überlastung viel mit der ungeheuren Verdichtung unseres Alltags zu tun hat, gibt es einen großen Vorteil: Es ist immer was los. Auch das, was uns gefällt.


Zu viel, um wahr zu sein


Aus den oben genannten Gründen ist es Ihnen vielleicht nicht mehr präsent, um was es an dieser Stelle im letzten Monat ging. Corona? Frühling? Nein, ich helfe Ihnen: es ging um den Kulturschnack. Die neue Online-Plattform des Kulturbüros ist seit dem 15. März online und bietet viele Hintergrund-Infos rund um die Oldenburger Kultur in Text und Ton, Film und Bild. Das Motto: Wir setzen die Szene in Szene. Und wir bieten dabei Perspektiven und Hintergründe, die man nicht schon zu genüge kennt.


Was das mit der erwähnten nach Überlastung zu tun hat? So einiges. Nein, wir fühlen uns nach sechs Wochen noch nicht reif für eine Auszeit. Ganz im Gegenteil wir haben eine riesige Freude daran, Geschichten über die Oldenburger Kultur zu erzählen. Aber: Wir durften sehr schnell feststellen, dass unsere Szene so enorm viel zu bieten haben, dass wir es kaum schaffen können, alles Interessante abzubilden. Ach, wissen Sie was? Streichen Sie das „kaum“, ersetzten Sie es durch ein „nicht“. Es ist völlig unmöglich, auch wenn wir unser Bestes tun.


Das könnte man jetzt natürlich als Manko deuten. Ich empfinde aber das Gegenteil: es ist ganz großartig, dass Oldenburg so viel Kultur bietet, dass man sie nicht vollends abbilden kann. Es gibt in unserer Stadt so viele Personen, Institutionen, Projekte, Formate und Gäste, dass es eigentlich nie ein Problem ist, etwas zu entdecken, dass spannend klingt und das man gern sehe würde.


Natürlich birgt diese Fülle die Gefahr, auch mal etwas zu übersehen und zu verpassen. Aber ist das nicht ein kleiner Preis – wenn man im Gegenzug den Luxus der freien Auswahl hat?

Jetzt, Anfang Mai, kommt noch etwas hinzu. Zusätzlich zum sowieso schon vielfältigen Programm, beginnt langsam die Open Air-Saison. Sie ging früher viel später los und war oft auf den Kultursommer beschränkt. Aber eine positive Folgewirkung der Pandemie ist ja, dass „Draußen“ viel konsequenter mitgedacht wird. Formate wie die Theaterinsel, der Kulturplatz oder Einfach Kultur gab es 2019 allesamt noch nicht, sie sind jetzt aber schon fest etabliert. Und jetzt lehne ich mich mal ganz weit aus dem Fenster: Das Wetter spielt dieses Jahr auch mit! Da es im März und April neben Schnee und Regen schon lange schöne Phasen gab, gehe ich von einem gigantischen Sommer aus, der uns viele wunderbare Kulturerlebnisse und -erinnerungen bieten wird. Gewagt? Ich weiß. Aber ich habe Spaß am Hoffen. Machen Sie ruhig mit, das fühlt sich gut an!


Immer gut: Drüber schnacken


Ob drinnen oder draußen, etabliert oder experimentell: Unser Ziel wird sein, es auf dem Kulturschnack vorzustellen. Mal ganz ausführlich, mal kurz und knapp als kleiner Snack. Aber immer: mit einem eigenen Blick auf die Dinge, so einfach wie möglich, so fachlich wie nötig. In unserem neuen Podcast sprechen wir übrigens mit Monika Eden und Sina Lührs vom Literaturhaus Oldenburg. Wie man Anspruch und Unterhaltung kombiniert, das Beliebte fortsetzt und gleichzeitig Neues wagt – das können Sie dort erfahren.


Was auch immer Sie bei uns lesen oder hören: wir hoffen, dass Sie es lange in Erinnerung behalten. Länger jedenfalls als ich die Dinge, die länger als zwei Tage her sind. Und sollte es anders sein, dann ist bestimmt die riesige Menge an Kulturangeboten schuld, die auf uns einströmt. Auch das ist in manchen Momenten ein „zu viel“. Aber nach den letzten beiden Jahren stelle ich fest, dass zu viel gerade richtig ist. Und wenn Sie den Überblick trotzdem nicht verlieren mögen, gibt es ja eine Abhilfe: den Kulturschnack.

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