Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die Spielzeitung des Staatstheaters. Digital findet ihr sie unter www.staatstheater.de. Oder: hier.
Endlich ein neues Jahr. Wird jetzt alles gut?
Eine Glaskugel. Die stand ganz weit oben auf meiner Weihnachtswunschliste. Was Besseres könnte man sich gerade ja gar nicht wünschen. Ein kurzer Blick – und man wüsste, wer wann und welchen Umständen öffnen darf, wer was unter welchen Vorkehrungen besuchen kann und wie lange diese flüchtigen Aggregatzustände anhalten werden. Das im Voraus zu wissen? Ein Traum! Fast so schön wie ein Leben ganz ohne diese Dinge. Aber daran wagt man ja gar nicht zu denken.
Es wird Sie nicht überraschen, dass jene Glaskugel leider nicht unter dem Christbaum lag. Aber so gerne ich auch etwas mehr Präzision hätte, was die Prognosen zur Pandemie angeht, bin ich insgeheim ganz froh, dass ich eben nicht in die Zukunft schauen kann. Sicher würde das einiges erleichtern. Vor allem für die Kulturinstitutionen würde so eine Fähigkeit mehr Planungssicherheit bedeuten.
Aber ganz ehrlich: ich habe meinen törichten Optimismus auch ein bisschen liebgewonnen. Ich will gar nicht immer richtig liegen. Ich will stattdessen den Glauben an das Gute nicht verlieren. Auch wenn ich allzu oft eines Besseren belehrt werde.
Malade Situation
Ich weiß nicht, ob irgendwer inzwischen ein Gespür für diese ganze malade Situation entwickelt hat. Aber zu meiner eigenen Überraschung lag ich im Dezember halbwegs richtig. Viele von uns haben es sicher aus dem Blick verloren und ich verstehe das gut. Schließlich sollte man seine Kontakte reduzieren.
Aber: in den Wochen vor Weihnachten gab es durchaus Kultur zu entdecken. Manche Angebote funktionierten sogar bestens, die Theater zum Beispiel waren gut ausgelastet. Andere litten allerdings unter deutlichen Einbußen. Das galt insbesondere für Neues wie z.B. dem Oldenburger Plakatherbst. Ihm wären bei einer zweiten Auflage bessere Bedingungen zu wünschen. Das galt aber auch für die Kinos, die stets als erstes durch Chips, Couch und Binge „ersetzt“ werden.
Was ebenfalls fehlte: die Spontanität. Mit der Einführung von 2G+ sank die Flexibilität (und die Freude daran) deutlich ab. Das spürten vor allem die „kleineren“ Angebote. Deshalb ist völlig klar, dass die Stadt die Szene weiterhin unterstützt, z.B. durch eine weitere Strukturbrücke im Frühjahr. Der schwache Trost für den Moment: es gab bisher keinen erneuten Lockdown.
Man konnte, wenn man wollte. Allerdings musste man auch wirklich wollen, denn der Einlassvierkampf mit aktuellem Testnachweis, Impfzertifikat, Personalausweis und Luca-Check-In grenzte an kognitiven Leistungssport.
This is the new year
Und jetzt: Das neue Jahr. Zwanzigzweiundzwanzig. Normalerweise: Ein Moment der Reflektion, der Orientierung und der… Klarheit? Zumindest hofft man darauf. Aber: dieses Gefühl will sich auch dieses Jahr nicht einstellen.
Immer wieder erinnere ich mich an einen alten Song von Death Cab For Cutie. Er beginnt mit den Worten: „So this is the new year. And I don't feel any different”. Trotzdem wirkt der Jahreswechsel auf mich besser als der letzte. Klar gibt es Omikron. Klar gibt’s irgendwann auch Kappa, Sigma oder was das griechische Alphabet sonst noch so hergibt. Klar habe ich ein mulmiges Gefühl, was die gesellschaftliche Spaltung angeht. Aber wie gesagt: meinen törichten Optimismus bewahre ich mir.
„So this is the new year. And I have no resolutions”, singen Death Cab in der zweiten Strophe. Ich lege mich lieber auch nicht fest. Ich hoffe einfach nur: Alles wird gut! Zum Glück habe ich keine Glaskugel.
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