EINFACH UNBEZAHLBAR
- kulturschnack
- 9. Juni 2022
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 3. März
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Und dennoch hat er sich ein Welt konstruiert, in der manche von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden. Umso wichtiger sind Angebote, die diese Grenzen aufheben. Zu ihnen gehört seit zwei Jahren die KulturTafel Oldenburg. In Kooperation mit über vierzig Kulturinstitutionen ermöglicht sie jenen den Kulturgenuss, die ihn sich sonst nicht leisten könnten.

Das Bild der Tafel hat sich durchgesetzt. Sie steht für einen langen Tisch, an dem Platz für alle ist und zu dem alle eingeladen sind. Man kommt dort zusammen und tauscht sich aus, vor allem aber teilt man. Den Moment, das Erlebnis, aber auch die Gemeinschaft. Und vielleicht stellt man sogar fest, dass die imaginären Grenzen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen genau das sind: imaginär. Im Sinne von: gar nicht da, wenn man einmal genauer hinschaut.
Bekannt sind die Tafeln vor allem aus dem sozialen Bereich. Dort leisten sie seit Jahrzehnten unschätzbare Dienste für benachteiligte Gruppen der Bevölkerung. Sie finden dort Hilfe und Unterstützung. Die Versorgung richtet sich hier vor allem an die elementaren Bedürfnisse wie Essen und Trinken. Für den Körper ist also gesorgt. Doch was ist mit dem Geist? Braucht er nicht ebenso eine "Versorgung", damit es ihm gut geht und wir aktiv bleiben? Die Antwort ist klar: auf jeden Fall.
Selbstverständlicher Teil des Lebens
Aus dieser Feststellung heraus entstanden die Kulturtafeln. Sie haben es sich zum Ziel gemacht, eben jenen Gruppen, die auch Kund:innen der Tafeln sind, einen Zugang zur Kultur zu verschaffen. Und nicht nur ihnen, sondern noch vielen mehr: Menschen, die zwar arbeiten, aber aufstocken müssen, Selbständige und Freiberufler:innen mit niedrigem Einkommen, Rentner:innen und viele mehr. Für viele von ihnen sind Kultur-Tickets purer Luxus. Was schaut man sich an, wenn man im Gegenzug etwa auf Nahrungsmittel verzichten muss? Vermutlich: Wenig oder gar nichts - auch wenn der Wunsch noch so groß ist.

Seit dem Frühjahr 2020 gibt es so eine Kulturtafel nun auch in Oldenburg. Die Initiative kam von Dr. Hermann Klasen. Er hatte bei einem Besuch in Lübeck von der dortigen KulturTafel erfahren und war gefesselt von der Idee. Er war der festen Überzeugung, dass Kultur für Menschen mit geringem Einkommen nicht in unerreichbare Ferne rücken dürfe, sondern - ganz im Gegenteil - zu einem möglichst selbstverständlichen Teil des Lebens werden müsse. Teilhabe darf sich nicht über das Portemonnaie definieren, stand für den Mediziner im Ruhestand fest. Unermüdlich suchte er nach Unterstützer:innen. Schließlich fand er sie in Person von Isabel Hüppe und Anna-Julia Reinking von der Claus Hüppe-Stiftung. Sie ließen sich von Klasens Begeisterung anstecken und sorgten für eine finanzielle Grundausstattung der KulturTafel.
Aber wie baut man das auf? Wie findet man Angebot und Nachfrage - und wie führt man beides zusammen? „Das ist tatsächlich viel Fleißarbeit“, berichtet Mareike Urfels, Geschäftsführerin der KulturTafel Oldenburg. Sie weiß, wovon sie spricht, denn sie war von Anfang an dabei. „Wichtig sind unsere SozialPartnerschaften, z.B. mit der Oldenburger Tafel. Wir haben sozusagen den gleichen Kund:innenkreis. Wer dort seine Berechtigung nachgewiesen hat, muss das bei uns nicht erneut tun“, erklärt die Koordinatorin das pragmatische Vorgehen. Und sie nennt noch einen weiteren Vorteil solcher Kooperationen: „Wir können dort natürlich auch sehr gut auf unser Angebot hinweisen. Wir sind ja erst zwei Jahre aktiv, da müssen wir immer noch viel bekannter werden.“

Nah dran am Menschen
Und die andere Seite? Wie kommt die KulturTafel an die Tickets? „Die Karten, die wir vergeben, werden uns aus KulturPartnerschaften zur Verfügung gestellt“, erklärt Mareike das Verfahren. „Sie melden uns, welche Kontingente für welche Veranstaltung zu Verfügung stehen. Wir pflegen sie in eine Übersicht ein und machen uns an die Vermittlung.“
Und wie funktioniert die? Übernimmt das ein cleverer Algorithmus? „Nein, nein", wehrt die studierte Kunst- und Medienwissenschaftlerin lachend ab. „Wir nutzen eine andere technische Errungenschaft, das Telefon!“ Die KulturGäste haben ihre Interessen bei der Tafel hinterlegt. Sie werden von Mareike und ihrem kleinen Team aus ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen persönlich angerufen. Dabei kommen zunächst diejenigen zum Zuge, die am längsten nicht mehr profitiert haben.
„Das Verfahren ist natürlich aufwändig“, ist sich die gebürtige Lüneburgerin bewusst. „Es hat aber einen großen Vorteil: den direkten Kontakt.“ So könne man zum Mitmachen ermutigen, Fragen beantworten, aber auch mal Ängste nehmen und Hemmschwellen abbauen. Auch die andere Richtung sei wichtig. Im Gespräch erfahre man viel über das, was die Kulturgäste bewegt. Erfreulich oft sind es es auch Freude und Dankbarkeit für die Angebote der KulturTafel und begeisterte Erzählungen des letzten Kulturerlebnisses. „Man spürt, dass unsere Gäste etwas zurückgeben möchten. Das müssen sie nicht, aber wir hören das natürlich trotzdem gern“, ist Mareike froh über die Resonanz.
Alle an einem Strang
Aber wie waren eigentlich die Reaktionen der Kultureinrichtungen? Karten, die sie an die Tafel vergeben, können schließlich nicht verkauft werden. Das bedeutet Einnahmeeinbußen. War es schwer, die Theater, Museen und Bühnen davon zu überzeugen? „Ganz und gar nicht“, betont Mareike. Sie wirkt auch jetzt noch sehr erfreut über die positive Resonanz auf das Projekt. „Wir sind zu einem großen Teil offene Türen eingerannt. Viele kannten die Idee einer Kulturtafel schon oder haben sich selbst um Ansätze für kulturelle Teilhabe in ihrem Haus bemüht. Sie haben sich gefreut, dass es nun in Oldenburg eine KulturTafel gibt. Manche sind sogar direkt auf uns zugekommen.“ Im Alltag müsse man zwar hin und wieder daran erinnern, dass die KulturTafel sich nach wie vor über Kartenkontingente freue. Generell liefe die Zusammenarbeit mit den Kulturakteuren aber hervorragend, was sich auch anhand der Statistiken ablesen lässt:

Ein Eindruck drängt sich auf: Von diesem Projekt profitieren alle Beteiligten. Die KulturGäste kommen in den Genuss von Kulturveranstaltungen, die sei sonst nicht hätten besuchen können. Die KulturPartner können im Kleinen Großes bewirken und die gesellschaftlichen Ungleichheiten zumindest ein wenig ausgleichen. Und auch die Künstler:innen auf der Bühnen haben was davon: Es bleiben keine Plätze leer - und vor vollen Reihen spielt es sich doch immer am Besten.
Die Schnittstelle all dieser positiven Wirkungen ist die KulturTafel. Sie übernimmt den arbeitsintensiven Part, aber eines ist im Gespräch mit Mareike zu jeder Zeit spürbar: Alle Beteiligten tun das gern und mit viel Herzblut. Dank der Claus Hüppe-Stiftung wurde der Aufbau in Oldenburg möglich und der Betrieb für die ersten Jahre gesichert. Um die Initiative langfristig in und für Oldenburg erhalten zu können und die Finanzierung sicherzustellen, ist die KulturTafel jedoch auf Spenden angewiesen.
Auch in der Vermittlung ist noch Luft nach oben, denn der Wunsch nach kultureller Teilhabe ist groß. In einigen Bereichen, wie etwa Kinderveranstaltungen oder Sport, sind die Angebote noch rar gesät, sodass KulturGäste mit diesen Interessen häufig lange auf das nächste Erlebnis warten müssen. „Wenn Privatpersonen sich engagieren möchten, würde uns das sehr helfen“, erklärt die Geschäftsführerin. Das ginge auf ganz unterschiedliche Weise: Über eine Mitgliedschaft im Förderkreis, über Geld- und private Kartenspenden oder über ehrenamtlichen Mitarbeit.
Frohe Botschaft(er)
Der Mensch ist ein soziales Wesen - und ein kulturelles noch dazu. Das macht all die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten unserer Welt umso unverständlicher. Sie hindern die Betroffenen - wenn man es zu Ende denkt - am Menschsein. Zum Glück helfen viele gemeinnützige und ehrenamtliche Organisationen dabei, die Webfehler unserer Gesellschaft ein Stück weit auszugleichen. Seit 2020 gehört die KulturTafel dazu und übernimmt dabei ein ganz entscheidende Rolle. Kultur ist nämlich nicht „nice to have“, sie ist essentiell. Was für den Körper die Nahrung ist, das sind für den Geist Informationen, Anregungen, Impulse. Wir brauchen sie, um kognitiv und emotional aktiv zu sein. Und niemand liefert Denkanstöße so eindrücklich wie die Kultur. Große Worte? Stimmt, aber sie sind angemessen. Deshalb wollen wir ihnen Taten folgen lassen: Der Kulturschnack wird offizieller Botschafter für die KulturTafel Oldenburg!

Das heißt: Nach der großartigen ersten Botschafterin Annika Blanke unterstützen nun auch wir Mareike und ihr Team, indem wir die Idee der KulturTafel weiter verbreiten. Sie ist einfach zu gut, um sie nicht zu fördern. Für uns heißt es also in Zukunft: Spread the word! Aber das Gute ist: In Oldenburg stoßen wir damit wahrscheinlich auf offene Ohren. Auch bei Dir?


