Es war eine lange Schlange an wartenden Menschen, die bis hinaus aus dem Kulturzentrum PFL reichte, als gestern Jochen Schimmang, auf Einladung des Literaturhauses Oldenburg, seinen neuen Roman „Laborschläfer“ vorstellte.
Doch: die Schlange war absolut berechtigt und auch das Warten sollte sich defintiv lohnen, denn die Gäste wurden am gestrigen Mittwochabend nicht nur mit einem, sondern gleich zwei der berühmtesten Autoren belohnt, die unsere Stadt zu bieten hat!
Kein geringerer als Klaus Modick himself, Autor von Büchern wie „Konzert ohne Dichter“, übernahm kurzfristig die Rolle des Moderators, da er ohnehin als Gast im Publikum gesessen hätte und so entstand ein waschechtes Doppel der Oldenburger Literaturgrößen. Dass dabei zwei Schriftstellerkollegen auf der Bühne saßen, merkte man der entspannten und gut gelaunten Atmosphäre von Beginn an, die sich auch durch den gesamten, restlichen Abend ziehen sollte.
Kollektive Erinnerungen
Einerseits entsteht so an diesem Abend ein Gespräch, das immer wieder rund um die Frage der Erinnerungen kreist, da es auch eines der zentralen Themen innerhalb Schimmangs aktuellstem Werk bildet: Wieviel der eigenen Erinnerungen gehören einem wirklich ganz selbst und welche teilen wir uns mit bestimmten gesellschaftlichen Gruppen? Und was hat unser Schlaf damit zutun?
Denn Schimmangs Protagonist Rainer Roloff schläft. Viel.
Er führt ein zurückgezogenes Leben und fragte man ihn nach seiner Erwerbsbiografie, so würde er sich als Privatgelehrter bezeichnen. Struktur bekommt sein Leben dank einer Langzeitstudie zum Einfluss des Schlafs auf das Gedächtnis, an der er als Proband teilnimmt. Dafür reist er regelmäßig von Köln nach Düsseldorf, selbst in Zeiten der Pandemie, um im Labor seine an das Aufwachen anschließenden Gedanken zu Protokoll zu geben.
Roloff, ein Jahr älter als die Bundesrepublik, ist ein idealer und ergiebiger Proband, mit einem Elefantengedächtnis und Aufmerksamkeit für den Zusammenhang zwischen dem kollektivem Unbewussten und der individuellen Erinnerung. Dr. Meissner, der die Studie leitet, findet überwiegend sehr gelungen, was sein Proband ihm in einer Mischung aus zeitgeschichtlicher und persönlicher Erinnerung und spielerisch-absurder Noch-Traum-Logik erzählt. Doch dann gerät das Gedächtnis des Schlafforschers selbst aus dem Gleichgewicht.
Ist man als Autor immer autobiographisch?
Andererseits stellte sich anhand der zahlreichen Erinnerungen des Protagonisten an vergangene Zeiten der „alten BRD“, wie man so schön zu sagen pflegt, auch für Moderator Modick immer wieder die Frage nach dem Verhältnis von Autobiographischem und der bloßen Fiktion. Ist man nicht letztlich immer bis zu einem gewissen Grad autobiographisch, weil Literatur immer eng mit der eigenen, persönlichen Geschichte verknüpft ist? Gerade Schimmang gelingt es hier immer wieder die Grenzen genau dieser Beziehung aufs neue auszuloten und nie ganz klar zu machen, wo der Autor Schimmang aufhört und die Figur Rainer Roloff beginnt.
Was wir aber wissen: Jochen Schimmang selbst lebt als freier Schriftsteller und Übersetzer in Oldenburg. 2010 erhielt er für seinen Roman „Das Beste, was wir hatten“ den Rheingau Literatur Preis und 2012 den Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar für „Neue Mitte“. 2019 wurde er mit dem erstmals verliehenen Walter Kempowski Preis für biografische Literatur des Landes Niedersachsen ausgezeichnet und 2021 erhielt er den Italo-Svevo-Preis für sein Lebenswerk
Jochen Schimmang - Laborschläfer
Edition Nautilus, Hamburg. 328 Seiten, 24 Euro.
ISBN 978-3-96054-278-0
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