Keine Ironie: Das neue Jahr startet mit einem Höhepunkt. Die 28. Oldenburger Kabarett-Tage beginnen schon am 13. Januar - und heizen uns im Winter der untergedrehten Heizungen ordentlich ein. Das Motto lautet deshalb: „Volle Energie". Was Kabarett von Comedy und Poetry Slam unterscheidet und warum Fans aller Genres voll auf ihre Kosten kommen? Verraten wir hier.
Was ist eigentlich Kabarett? Einfache Frage, komplizierte Antwort. Denn viele Erklärungsansätze ähneln letztlich der Beschreibung von Comedy - und provozieren damit natürlich die Frage, wo überhaupt der Unterschied liegt. Dass beides komisch ist, liegt auf der Hand. Wenn man nach Unterschieden suchen möchte, dann findet man vielleicht jenen, dass Kabarett etwas politischer, inhaltsschwerer, niveauvoller, gesellschaftsrelevanter oder „missionarischer“ ist. Das Kabarett sucht nicht unentwegt nach der nächsten Pointe, sondern geht auch mal den Umweg über eine Erklärung und Einordnung. Klingt umständlich, ist aber ein echtes Plus!
Ein Haken an der Sache war allerdings lange, dass Kabarett noch ein wenig Altherrencharme und einen Hauch Besserwisserei mit sich trägt. Das rührte aus früheren Tagen, als sich die ersten Kabarettisten (das Maskulinum ist hier kein Zufall) ihre Nische erst erkämpfen mussten - was in der Regel erst gelang, als sie die Pubertät schon eine Weile hinter sich hatten. Das Kabarett von heute ist aber jung, aktuell, intelligent, ironisch und frech. Genau deswegen grenzt es an die Comedy, ist aber trotzdem nicht deckungsgleich. Das Prinzip heißt: Weglachen mit Niveau - und das ist eine Kunst für sich!
28. OLDENBURGER KABARETT-TAGE:
VOLLE ENERGIE!
13. JANUAR - 28. FEBRUAR 2023
MIT: ZOLLHAUSBOYS, LARA ERMER, WILFRIED SCHMICKLER, TIMO WOPP, KATALYN HÜHNERFELD, PATRICK NEDERKOORN, SEBASTIAN 23, QUICHOTTE
KULTURETAGE
26122 OLDENBURG
THEATER UNIKUM CAMPUS UHLHORNSWEG
26129 OLDENBURG VOLLES PROGRAMM ALS PDF: HIER
Die Keimzelle der Kabarett-Tage liegt passenderweise in der Universität. Dort, genauer gesagt: an der studentischen Bühne Unikum, entstanden sie vor drei Jahrzehnten. Sie waren so erfolgreich, dass der kleine Saal für 120 Personen irgendwann nicht mehr ausreichte und das Studentenwerk als Organisatorin eine Kooperation mit der Kulturetage einging. Heute werden je vier Shows an jedem Standort gespielt - gebucht jeweils von einem Akteur vor Ort. Im Falle der Kulturetage ist das Uwe Schwettmann, für das Studentenwerk übernimmt das Jürgen Boese. Mit ihm haben wir uns unterhalten.
Vieles anders, vieles neu
Für Jürgen sind es bereits die achten Kabarett-Tage, inzwischen darf man ihn als Kenner der Materie bezeichnen. Das war aber nicht immer so: „Ich hab damals einen echten Cross-Einstieg hingelegt“, erzählt der Kulturreferent. „Vorher war ich nicht in der Szene aktiv, ich hab mich da aber schnell reingearbeitet.“ Wie läuft sowas ab, fragt ihr euch? Heutzutage leider nicht mehr, indem man quer durch die Republik von Bühne zu Bühne fährt, um die Newcomer live zu erleben, sondern per YouTube-Scouting. „Klar, da schaut man sich viel an“, verrät Jürgen. „Im Augen behalten muss man aber auch die vielen Kleinkunst-Preise.“ Sie seien ein guter Seismograph für Qualität.
Dass es die Kabarett-Tage bei seinem Amtsantritt schon lange gab, empfand Jürgen als Glücksfall. Das erfolgreiche Format passt einfach in dass Umfeld einer Universität: „Bildung kann auch auf der Bühne passieren“, weiß Jürgen, der selbst oft als Schauspieler, Musiker und Moderator im Rampenlicht steht. „Mit den Kabarett-Tagen können wir politisch und kulturell bilden und Augen öffnen.“ Dass dabei der Spaß alles andere als zu kurz kommt, macht die Erfahrung umso intensiver und - man kann es so salopp sagen - besser.
Trotz allem gab es für den Kulturreferenten in den letzten Jahren einiges zu tun. Die Kabarett-Tage waren zwar grundsolide, aber nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Sie lebten von einem treuen Stammpublikum, sprachen die jüngere Generation - sprich: die Studierenden - aber nur noch bedingt an. „Genau das wollten wir ändern. Genau das haben wir auch geschafft“, ist Jürgen stolz auf die Bilanz der letzten Jahre. Und tatsächlich: Den Kabarett-Tagen ist es gelungen, jünger, diversifizierter und weiblicher zu werden. Und genau diese Veränderungen macht auch das Publikum durch. „Es ist alles wieder studentischer - aber ohne die alten Fans zu vergraulen“, betont Jürgen. Und das ist noch eine Kunst für sich.
DAMALS, VOR EINEM JAHR Erinnert sich eigentlich noch jemand an den Januar 2022? Der ist lange her, die Erinnerung verschwimmt. Und das ist vielleicht auch gut so. Das war nämlich die Zeit des Hü und Hott und des Hin und Her zwischen Lockdown und Öffnungsschritten. In einer Zeit der absoluten Unsicherheit wagten Jürgen Böse, Uwe Schwettmann und Co. damals den Schritt, die 27. Oldenburger Kabarett-Tage durchzuführen - mit gemischtem Erfolg. Ihnen war es gelungen, ein attraktives Programm auf die Beine zu stellen und den Besuch sicher zu ermöglichen (wahrscheinlich unter 12G+/-xyz-Regeln), doch das Publikum zögerte noch - mehr als man erhoffte hatte. Und so blieb eine zwiespältige Bilanz: Für die Besucher:innen waren die Veranstaltungen eine tolle Abwechslung in schwierigen Zeiten - für die Kabarett-Tage selbst war die Resonanz aber zu schwach, um sie als Erfolg zu verbuchen. Das wird dieses Jahr sicher wieder anders. „Der Ticket-Vorverkauf ist gut angelaufen“, erzählt Jürgen. Und daher kann tatsächlich mal wieder etwas passieren, das früher Gang und Gäbe war: ausverkaufte Shows - wie etwa 2020, als das gesamte Festival nahezu ausgebucht war. Nutzt also den Vorverkauf, bevor ihr später vor verschlossenen Türen steht.
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Volle Energie!
All das lässt sich auch am diesjährigen Programm ablesen. Beispiel Zollhausboys: Die Truppe aus Bremen macht am 13. Januar den Anfang in der Kulturetage. Sie besteht aus Ismaeel Foustok, Azad Kour und Shvan Sheikho, die als unbegleitete jugendliche Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kamen, sich in einer Gemeinschaftsunterkunft trafen - und seither eine echte Erfolgsgeschichte feiern. Hinzugesesellt hat sich später die Berliner Sängerin Selim Demirkan, ihrerseits mit türkischen Wurzeln. Gefördert und unterstützt werden die Musiker:innen von Kabarettist Pago Balke - der dafür sorgt, dass auch der Humor bei den Shows der Zollhausboys nichts zu kurz kommt. (TICKETS)
Ganz anders wird der Auftritt von Lara Ermer am 17. Januar im Unikum. Die 26-jährige gebürtige Fürtherin ist mit ihrem ersten abendfüllendem Solo-Programm „Zuckerjokes und Peitsche“ in Oldenburg zu Gast. Und diesen Titel darf man durchaus ernstnehmen. Denn als woke Vertreter:innen der Generation Gegenwart bekommen wir viele unserer doch recht zahlreichen Inkonsequenzen wunderbar um die Ohren gehauen. Ermer scheut auch nicht davor zurück, vermeintliche Tabu-Themen rund um den eigenen Körper überraschend genau zu beleuchten. Wer etwas über die Konsistenz von recyceltem Klopapier während des Wischvorgangs erfahren möchte, könnte hier auf ihre/seine Kosten kommen. Dass Lara Ermer vor der Kabarett-Karriere Psychologie studiert hat? Merkt man nicht immer, nutzt ihr aber sicherlich. (TICKETS)
Nur vier Tage später gibt es gewissermaßen ein Gegenstück zu bewundern: Wilfred Schmickler, ein Mann in den besten Jahren und ein echter Routinier in der Kabarett-Szene. „Die Auftritte des altgedienten Kabarettisten sind wütend, derb, provokant, aber auch subtil und poetisch“, beschreibt der Deutschlandfunk das Live-Erlebnis im Teaser für ein ausführliches Gespräch, das der Sender im Juni 2022 mit dem „Scharfrichter des deutschen Kabaretts“ geführt hat. Ob er sich selbst in dieser Beschreibung wiederfindet? Oder ob er selbst das vollkommen anders sieht? Das alles und noch viel mehr könnt ihr auf der DLF-Website nachhören - oder noch besser am 21. Januar selbst nachprüfen, wenn er mit seinem Programm “Es hört nicht auf“ in der Kulturetage vorstellt. (TICKETS)
Mehr Kabarett
Wer nur diese drei Veranstaltungen besucht, bekommt bereits ein gutes Gefühl die enorme Bandbreite des Kabaretts zu sehen und zu hören. Aber das ist ja noch mehr, genauer gesagt fünf weitere Acts, die sich ebenfalls lohnen.
Erwähnenswert ist zum Beispiel der erste niederländische Gast der Kabarett-Tage, nämlich der knapp 40-jährige Patrick Nederkoorn aus Amsterdam. Sein selbstironisch betiteltes Programm „Die orangene Gefahr“ ist natürlich wie für Oldenburg gemacht, schließlich sind unsere Verbindungen in die Niederlande zahlreiche und intensiv. Dieses enge Verhältnis nimmt Nederkoorn auf die Schippe - anhand der Vorstellung, dass sein Heimatland wegen des Klimawandels im Meer versinkt und 17 Mio. Niederländer:innen nach Deutschland flüchten. Wer sich fragt, wie das ablaufen würde, sollte am 17. Februar in der Kulturetage sein. (TICKETS)
Aber auch in der Keimzelle Unikum sind weitere Künstler:innen zu Gast, die das Leitmotiv „jünger, weiblicher, vielfältiger“ voll unterstützen - wie am 16. Februar Katalyn Hühnerfeld, die bis vor Kurzem noch unter ihrem Geburtsnamen Bohn bekannt war. In ihrem neuen Programm „Die Krone der Schröpfung“ liefert die Bremerin eine messerscharfe Bestandsaufnahme unserer Gegenwartsgewohnheiten und entlarvt dabei gnadenlos deren Substanz- oder Sinnlosigkeit. Klingt wie eine Anklageschrift, ist es aber nicht, denn Katalyn ist slebst schuldig im Sinne der Anklage - und sucht ihrerseits nach Coping-Mechanismen. Letztlich: Eine Art Gruppentherapie, die ausnahmsweise mal richtig Spaß macht (und womöglich mehr bringt als manche therapeutische Alternative). (TICKETS)
EINFACH MAL ANGUCKEN Ihr habt bis hierher gescrollt und noch keinen Namen gefunden, den ihr kennt? Macht nichts! Dann wagt einfach das Experiment und entdeckt das Unbekannte. Das kann nämlich ungeahnte Folgen haben. So war es bei Sarah Bosetti. Die kennt ihr nämlich höchstwahrscheinlich doch, weil sie in den letzten Jahren eine formidable Karriere hingelegt hat. Insbesondere mit ihrem Format „Bosetti will reden!“ auf dem ZDF hat sie enorme Bekanntheit erlangt. Und wie der Zufall so will, ist sie am 12. Januar mit ihrem Programm „Ich hab nichts gegen Frauen, Du Schlampe!“ in der Kulturetage zu Gast. Natürlich: Längst ausverkauft! Aber: Vor drei Jahren war noch alles anders. Am 18. Februar 2020 war Bosetti nämlich zu Gast bei den 25. Oldenburger Kabarett-Tagen. Aus allernächster Nähe konnte man sie damals im Unikum erleben, kurz danach begann der steile Aufstieg. Genau das kann - und wird - auch in Zukunft wieder passieren. Vielleicht sogar mit einem Gast aus deinem Jahr? Nicht verpassen!
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Noch mehr Kabarett
Und wer kommt noch? Timo Wopp bringt mit „Ultimo“ eine Art Best Of seines „Hochgeschwindgkeitskabaretts“ (Neue Presse Hannover) nach Oldenburg. Er bezeichnet sich selbst als der Business-Kasper des Kabaretts, dreht die Welt der Unternehmen einmal auf Links und coacht das Publikum in Grund und Boden - allerdings nicht, ohne für sich selbst einen Notausgang offen zum halten. Clever! Der regelmäßige Gast in TV-Shows wie „Die Anstalt“ (ZDF), „Zeltfestival“ (3Sat) oder „Spätschicht“ (SWR) ist am 10. Februar in der Kulturetage zu sehen. (TICKETS)
Sebastian 23 gehört zu den bekanntesten Poetry Slammern und Stand Uppern des Landes und hat bereits reihenweise Kabarett-Preise eingesammelt. In seinem Programm „Maskenball“ schaut er hinter eben jene - die wir in der Regel ja auch dann tragen, wenn wir keine aufhaben. In Oldenburg ist er bereits zum vierten Mal zu Gast, also beinahe schon hier zuhause. Warum? Weil beide sich gegenseitig ziemlich gut finden - Sebastian 23 und Oldenburg! Nachzuprüfen am 23. Februar im Unikum. (TICKETS)
Und der letzte im Bunde? Hat vielleicht den schönsten Namen, nämlich Quichotte. Auf seiner Website reduziert der die Selbstbeschreibung auf zwei Begriffe: „Stand-up & Musik“ - sehr souverän. Und was ist mit Kabarett? Muss auch vorkommen, schließlich hat er 2021 der Förderpreis des Deutschen Kabarettpreises gewonnen - und die Vergangenheit hat gezeigt, dass man diesen nur bekommt, wenn man das Publikum clever und kolossal unterhält. Ob das wirklich so ist? Findet ihr raus, wenn ihr am 28. Februar ins Unikum kommt. (TICKETS)
Kabady? Comerett? Egal!
Was ist was? Diese Frage ist entweder für Kinder und Jugendliche auf der Bilderbuch-Entdeckungstour durch unsere Welt - oder ganz egal. Denn darauf kommt es nicht an, solange man intelligent unterhalten wird. Die Unterscheidung „Comedians machen den Job wegen dem Geld, Kabarettisten wegen des Geldes“ bleibt daher eine bewusste Provokation - mit einem Funken Wahrheit.
Für das Oldenburger Publikum zählt letztlich aber nur eines: Mit den Kabarett-Tagen bekommt es eine wunderbar vielfältige Mischung aus den Genzbereichen von Comedy, Poetry Slam, Satire und - nun ja - Kabarett. Das ist, wie oben beschrieben, inwzishen nungehuer vielfältig, hat aber eine große Gemeinsamkeit: Bei jedem der acht Termine kann man sich weglachen - mit Niveau. Und diese Kunst für sich sollte man besser nicht verpassen!
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