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DAS EIGENE REICH

Eine einsame Insel, nur für sich allein, Rückzug, Ruhe oder doch soziale Isolation? Auch die Grenzen zwischen dieser zuerst freiheitlich anmutenden Utopie und veraltetem, kolonialistischem Gedankengut liegen viel näher aneinander, als wir uns das wahrscheinlich eingestehen wollen. James Newitt nimmt sich, unter anderem, diesem Thema in seiner Ausstellung "From above, an Island" an, die aktuell im Edith-Russ-Haus zu sehen ist.

HAVEN. Filmstill, 2023 © James Newitt
Utopie oder Albtraum? Foto: HAVEN. Filmstill, 2023 © James Newitt
 


JAMES NEWITT - FROM ABOVE, AN ISLAND VOM 20. APRIL BIS 11. JUNI 2023 EDITH-RUSS-HAUS KATHARINENSTRASSE 23 ÖFFNUNGSZEITEN: DI. - FR. 14:00 - 18:00 UHR

SA. & SO. 11:00 - 18:00 UHR

 

James Newitt ist ein Künstler und Filmemacher, dessen Arbeiten sich mit sozialen und kulturellen Beziehungen befassen, inklusive ihrer Wandelbarkeiten und Paradoxien. Die Geschichten, die er erzählt, lassen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion miteinander verschmelzen. Sie enthalten zum einen klassische Anteile einer Dokumentation: ausführliche Recherchen, das Zusammentragen diverser Materialien, die der Realität entspringen und somit auf Tatsachen beruhen. Doch wo der dokumentarische Part endet, beginnt der künstlerische Akt. Aus diesen, der Realität entspringenden, bestehenden Fragmenten spinnt Newitt Kunstprojekte, die filmischer, aber auch fotografischer, textlicher oder skulpturaler Natur sein können.


Willkommen zur Spurensuche


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Begebt euch doch auch direkt auf die Spurensuche. Foto: Shutterstock

Wenn man nun also so durch eine neue Ausstellung wie diese streift, dann fragt man sich natürlich die ganze Zeit, was der Künstler einem sagen möchte und versucht die Themen zu finden, die ihn prägen und herauszufinden was sein Motiv ist, was ihn antreibt. Wie ein Nachwuchsdetektiv ist man auf der Suche nach Indizien, Zeichen und möchte unbedingt die eine Spur finden, die einem die entscheidende Information verrät. Deshalb möchten wir euch heute in diesem Artikel gar nicht allzu viel über die einzelnen, ausgestellten Werke vorab verraten, sondern satteln das Pferd heute mal von der anderen Seite auf. Wir lassen euch heute also an dem teilhaben, was die "Detektei Kulturschnack" an Motiven in der Ausstellung erkennen konnte, damit ihr bei eurem Besuch selbst für euch prüfen könnt: seht ihr das auch so? Deutet ihr die Inhalte, die Hinweise und Verweise so wie wir? Fangen wir mal an:


...



MOTIV 1: Die Insel

Haven, Filmstill, 2023 © James Newitt
Ist das, was wir hier sehen die Realität? Foto: Haven, Filmstill, 2023 © James Newitt

Die romantisierten Vorstellungen, die die Gesellschaft häufig mit dem Leben auf und in gewisser Hinsicht auch der "Eroberung" einer verlassenen Insel, dem bewussten Rückzug in die Einsamkeit und sozialer Isolation verbindet, die stechen deutlich aus den Arbeiten Newitts heraus.


Und seien wir mal kurz ehrlich zu uns selbst: natürlich klingt das erstmal verlockend! Hatte nicht jeder schon mal - zumindest ganz, ganz kurz - den Gedanken, wie es wohl wäre sich einfach aus der Gesellschaft auszuklinken und nur für sich zu sein? Quasi eine Art Fluchtreflex auf die ständige und andauernde Reizüberflutung der Mediengesellschaft in der immer etwas passiert und wir eine Meinung zu irgendetwas haben müssen. Aber, da ist natürlich auch immer die Kehrseite der Medaille: denn etwas ganz für sich alleine zu beanspruchen, das exkludiert in der Natur der Sache bereits alle anderen, die nicht zu diesem jeweiligen Unterfangen gehören. Und wie sehr können wir uns wirklich noch isolieren in der heutigen Welt, die vernetzter ist als jemals zuvor, in der eigentlich kein Fleck der Erde noch unbekannt scheint. Sind wir zudem wirklich bereit alle Konsequenzen, die mit diesem Rückzug einhergehen vollständig selbst zu tragen?


I Go Further Under, Filmstill, 2017 - 2018 © James Newitt
t aufzugeben für die vollkommene Isolation? Foto: I Go Further Under, Filmstill, 2017 - 2018 © James NewittWieviel bin ich berei

Newitt selbst weiß beim Thema "Insel" genau wovon er spricht, denn er stammt gebürtig aus Tasmanien, einem Teil Australiens, der vollständig vom restlichen Festland abgetrennt und vor allem für seine großen Naturschutzgebiete bekannt und von diesen auch somit landschaftlich geprägt ist - pulsierendes Leben findet also eher woanders statt. So erlebt Newitt also auch die gegenteilige Erfahrung der Isolation und des abgeschottet seins auf einer Insel als etwas Negatives, dem man durch die "Flucht" in bspw. Metropolen und größere Städte entkommen muss. Die einsame Insel als gedankliches Modell und Faszination begleitet den Künstler also im wahrsten Sinne bereits von Kindesbeinen an und zieht sich wie der berühmte rote Faden durch sein weiteres Leben. Während seiner Zeit an der Universität plante er beispielsweise völlig im Geheimen ein Projekt, bei dem er das Konzept der Insel auf die Spitze trieb und sich ohne Ankündigung für 3 Wochen auf ein winziges Floß mit einem Zelt drauf zurückzog und sich völlig isolierte. Muss man auch erstmal machen - und sich trauen.


MOTIV 2: Zerfall


Wir können es auch gerne etwas konkreter formulieren, nämlich Zerfall unserer Selbst oder dessen, was unser Selbst ausmacht und ermöglicht: das Gehirn. Es zieht sich durch mehrere Werke, mal ganz bewusst gewählt, mal fast eher durch den Zufall entstanden (so scheint es) und doch ist das absolut Faszinierende an der ganzen Sache, dass die gezeigte Kunst nicht einfach nur das Thema abhandelt und davon berichtet. Nein, man hat das Gefühl, dass die Werke selbst im Inbegriff sind in sich selbst zu zerfallen und zu dem beschriebenen Zustand werden.


Fossil, Filmstill, 2019 © James Newitt
Der bildgewordene Zerfall. Foto: Fossil, Filmstill, 2019 © James Newitt

Das gibt dem künstlerischen Handeln von James Newitt nochmal eine ganz andere Ebene in der Betrachtung von Außen. Denn natürlich könnte man es einfach als rein künstlerisch freien Akt betrachten, dass er dokumentarische Elemente aufgreift und dann fiktional weitererzählt und müsste das gar nicht weiter hinterfragen, könnte es einfach als gegeben hinnehmen. Doch genau so gut könnte man das künstlerische Handeln und die Wahl der der erzählerischen Elemente als Teil des Kunstwerkes betrachten. Gleiches gilt, wenn sich einem das Werk nicht vollständig in seiner Gänze sofort und unmittelbar erschließt, weil es vielleicht unfertig, fragmentiert, ja sogar unschlüssig und verwirrt wirkt. Vielleicht trägt auch hier dieser Zustand des Werkes zur eigentlichen Erzählung und der Dramaturgie ganz wesentlich mit bei.


Denn vielleicht hat die erzählte Geschichte irgendwann selbst vergessen, was wahr ist und was nicht der Realität entspricht. Vielleicht weiß die Geschichte selbst nicht mehr, wo die Grenzen von "echt" und "fake" verlaufen.


...



Hiermit schließt "Detektei Kulturschnack" ihre Ermittlungen ab - case closed. Zu welcher finalen Einschätzung wir kommen? Dass in den kommenden Wochen, in denen "From above, an Island" im Edith-Russ-Haus zu sehen sein wird, das Erzählen einer Geschichte, sei sie wahr oder nicht, von James Newitt auf ein völlig neues Level gehoben wird. Lasst euch also definitiv drauf ein und schaut vorbei, denn wir sind schon mehr als gespannt, was eure persönliche Betrachtung des Falls ... äh ... der Werke ergeben wird und zu welchen Schlussfolgerungen sie euch führen werden.


 

Ihr möchtet noch weitere Informationen? Kein Problem. Schaut einfach auf der Website des Edith-Russ-Hauses vorbei, dort werdet ihr fündig: www.edith-russ-haus.de


Oder, falls ihr euch fragt, was das Haus für Medienkunst eigentlich so ist oder wer Edith Russ war, dem können wir unsere Podcastepisode mit dem Leitungsduo des Hauses, Marcel und Edit, wärmstens empfehlen:



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