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FREI UND GLEICH?

Es war am 10. Dezember 1948: Eleanor Roosevelt tritt im Pariser Palais de Chaillot ans Rednerpult und verliest die Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen - ein Meilenstein der Menschheitsgeschichte. 75 Jahre später gibt es gute Gründe, diesen historischen Moment zu feiern - aber leider auch Anlass zu kritischen Bestandsaufnahmen. Denn: So selbstverständlich wie es scheint, ist die Einhaltung nicht.


Die Flagge der Vereinten Nationen, hier anlässlich des Jubiläums der Menschenrechte in Oldenburg
Symbol des Friedens: Die Flagge der UN weckt positive Assoziationen. Weiterhin stehen die Vereinten Nationen aber vor epochalen Aufgaben. (Bild: Pexels)

Die Menschenrechte gehören zu den großen Widersprüchlichkeiten unserer Zeit. Ihre Existenz ist heute so selbstverständlich, dass wir uns kaum noch Gedanken über sie machen. Das aber hat zur Folgen, dass wir uns mit ihren Inhalten kaum noch auskennen. Um welche Rechte geht es und wie viele sind es? Hat man tatsächlich einen verbindlichen Anspruch daran? Und wer setzt ihn durch?


Die Unkenntnis der Details ist ein Dilemma, denn zur Wahrung der Menschenrechte reicht ihre Existenz nicht aus. Wir müssen uns für sie einsetzen und sie mit Leben füllen. Das gilt an jenen Orten der Welt, an denen Oppression und Unrecht auf der Tagesordnung stehen, das gilt aber auch in Oldenburg. Nun nimmt ein breites gesellschaftliches Bündnis das Jubiläum zum Anlass, an die Entstehung der Menschenrechte zu erinnern - und eine Hauptrolle hat die Kultur.


 

75 JAHRE

CHARTA DER MENSCHENRECHTE


VERANSTALTUNGEN ANLÄSSLICH DES JUBILÄUMS


8. DEZEMBER, 19 UHR, CINE K

9. DEZEMBER, 18 UHR, ALTER LANDTAG

10. DEZEMBER, 11:15 UHR, PFL

10. DEZEMBER, 16 UHR, UNIVERSITÄT

11. DEZEMBER, 18 UHR, CINE K

12. DEZEMBER, 19:30 UHR, GARNISONKIRCHE


 

Alles selbstverständlich?


Als die Charta der Menschenrechte im Dezember 1948 verabschiedet wurden, waren sie eine direkte Reaktion auf die Gräueltaten der Nationalsozialisten und die verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. Es war gut, dass die Weltgemeinschaft diesen Moment des Schreckens für etwas Positives zu nutzen wusste. Doch gelingt es ihr auch, die Erinnerung daran wachzuhalten?


Eleanore Roosevelt mit einem Druck der Human Rights
Treibende Kraft: Die ehemalige First Lady der USA, Eleanor Roosevelt, engagierte sich sehr für die Ratifizierung der Charta. (Bild: Wikipedia)

Die wesentliche Erkenntnis aus Artikel 1 - „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ - genießt noch eine allgemeine Bekanntheit. Aber hättet ihr gewusst, wie viele Artikel noch folgen? Es sind nicht zwei oder drei, sondern weitere 29!


Welch enorme Bedeutung jeder einzelne von ihnen hat, zeigt sich am Besten, wenn man sich die kurzen Texte einfach mal durchliest. Wir empfehlen dazu diese Broschüre vom deutschen Institut für Menschenrechte. Einige Beispiele geben wir aber auch hier:


  • Artikel 3: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“

  • Artikel 5: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“

  • Artikel 12: „Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.“

  • Artikel 14: „Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“

  • Artikel 19: „Jeder Mensch hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung.“

  • Artikel 26: „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.“


Das Kulturzentrum PFL in der Oldenburger Peterstraße, Ort der Feierlichkeiten zum Jubiläum der Menschenrechte
Einer der Orte des Geschehens: Das städtische Kulturzentrum PFL in der Peterstraße. (Bild: Kulturschnack)

Fortdauernde Aufgabe


Was waren eure Gedanken, als ihr die Liste überflogen habt? Absolut alltägliche Selbstverständlichkeiten? Hierzulande: Weitgehend ja. Aber man darf die Frage stellen, warum das so ist. Und die Antwort lautet: Weil es seit 1948 jene Menschenrechte gibt, denen wir uns in Deutschland vom Bund über die Länder bis in die Kommunen besonders verpflichtet fühlen - nicht zuletzt, weil wir sie vor ihrer Existenz in nie gekanntem Ausmaß verletzt haben.


Der Satz „Human rights are not optional“ aus Anlass der Feierlichkeiten zum Jubiläum der Charta der Menschenrechte in Oldenburg
Selbstverständlich: Leider nicht immer und überall. (Bild: Pexels)

Und doch ist auch Deutschland kein Musterländle, was die Einhaltung der Menschenrechte angeht. Immer wieder entbrennen öffentliche Debatten, ob das eine oder andere Recht denn nicht etwas enger ausgelegt werden sollte, etwa Artikel 14. Andere Menschenrechte sind zwar anerkannt, werden aber nur unzureichend umgesetzt, wie im Falle von Artikel 26 gerade das Ergebnis der jüngsten PISA-Studie gezeigt hat.


In anderen Teilen der Welt - vor allem in Gegenden mit totalitären Regimen oder bewaffneten Konflikten - ist die Lage der Menschenrechte natürlich dramatisch schlechter. Obwohl also die Weltgemeinschaft im Jahr 1948 weitgehend einer Meinung war (Das Ergebnis damals: 48 Ja-Stimmen, 8 Enthaltungen), hapert es auch nach fünfundsiebzig Jahren noch bei der konsequenten Einhaltung der Menschenrechte.



Der ideale Anlass


Das Jubiläum der Ratifizierung ist eine gute Gelegenheit, uns die Bedeutung der Charta noch einmal zu vergegenwärtigen. Es bleibt schließlich beim eingangs geschilderten Paradoxon: Eben weil uns viele Rechte selbstverständlich erscheinen, geraten sie allzu leicht in Vergessenheit. Vielen von uns ist heute nicht mehr bewusst, was ein Menschenrecht ist - und dass wir tatsächlich einen Anspruch darauf haben. Wo immer eines dieser Rechte missachtet wird, sollten wir unsere Stimme erheben - auch bzw. gerade für andere.


Das Alte Landtag in Oldenburg
Einer der Orte des Geschehens: Der Alte Landtag, Symbol für die Überwindung der Autokratie in Oldenburg. (Bild: Wikipedia)

Durch die Feierlichkeiten werden wir an die Existenz, Bandbreite und Bedeutung der Menschenrechte erinnert. Das passiert einerseits mit Diskussionen zum Thema - dankenswerterweise nicht abstrakt, sondern anknüpfend ans Weltgeschehen. Das passiert aber auch anhand von Beiträgen der Kultur, die uns anders - nämlich emotional - triggern kann und die Menschenrechte auf andere Weise in uns verankert als das reine Wissen um sie. Man darf zum Beispiel neugierig sein auf:


  • Hum>n Rights Filmprojekt Leer/Papenburg: 13 Kurzfilmszenen zum Orchesterzyklus Hum>n von Helge Burggrabe

  • “Crossing The Line“ Kammerorchester-Komposition zu den Artikeln 14 -18 der UN-Charta der Menschenrechte von Erich A. Radke - Welt-Uraufführung

  • Wanderausstellung 75 Jahre UN-Charta der Menschenrechte von Studierenden des Instituts für Kunst und visuelle Kultur

  • HUM>N Orchester-Komposition mit dem Oldenburger Schlossorchester, Schlagwerk Nordwest und der Pianistin Christiane Abt

  • Interreligiöses Chorkonzert „Hoffnung zum Frieden“ mit dem Chor der jüdischen Gemeinde, dem Projektchor Ohmsteder - Vokalensemble und der Rabbinerin Alina Treiger


Einfach drauf einlassen


Wir verstehen alle, die durch den Anlass „75 Jahre UN-Charta der Menschenrechte“ nicht sofort maximal motiviert sind, ausnahmslos alle Angebote mitzunehmen. Aber darum geht es nicht. Wichtiger ist viel mehr, dass man die Einladung überhaupt annimmt - und sich eine Veranstaltung aussucht, die am meisten anspricht.


Solange selbst Artikel 1 der Menschenrechte nicht als erfüllt angesehen werden kann, müssen wir die Erinnerung an die UN-Charta aufrecht erhalten. Und wer würde aktuell behaupten wollen, dass alle Menschen frei und gleich an Würden und Rechten sind? Dieses Problem wird durch die Veranstaltungen zwischen dem 8. und dem 12. Dezember nicht gelöst - aber sie können dabei helfen, die Widersprüchlichkeit aufzulösen, die auch nach 75 Jahren noch nicht überwunden ist. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch - und alles Gute!

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