Das Oldenburger Kulturjahr ist noch keine zwei Wochen alt, schon steht der erste Höhepunkt an: Am 13. Januar beginnen die 29. Oldenburger Kabarett-Tage - und treffen auf eine irritierte, aufgebrachte, protestierende Republik. Das Motto lautet deshalb: „Groteskbewegung". Was Kabarett von Comedy und Poetry Slam unterscheidet und warum Fans aller Genres voll auf ihre Kosten kommen? Verraten wir hier.
Was ist eigentlich Kabarett? Einfache Frage, komplizierte Antwort. Denn viele Erklärungsansätze ähneln letztlich der Beschreibung von Comedy - und provozieren damit natürlich die Frage, wo überhaupt der Unterschied liegt. Dass beides komisch ist, liegt auf der Hand. Wenn man nach Unterschieden suchen möchte, dann findet man vielleicht jenen, dass Kabarett etwas politischer, inhaltsschwerer, niveauvoller, gesellschaftsrelevanter oder „missionarischer“ ist. Das Kabarett sucht nicht unentwegt nach der nächsten Pointe, sondern geht auch mal den Umweg über eine Erklärung und Einordnung. Klingt umständlich, ist aber ein echtes Plus!
Ein Haken an der Sache war allerdings lange, dass Kabarett noch ein wenig Altherrencharme und einen Hauch Besserwisserei mit sich trägt. Das rührte aus früheren Tagen, als sich die ersten Kabarettisten (das Maskulinum ist hier kein Zufall) ihre Nische erst erkämpfen mussten - was in der Regel erst gelang, als sie die Pubertät schon eine Weile hinter sich hatten. Das Kabarett von heute ist aber jung, aktuell, intelligent, ironisch und frech. Genau deswegen grenzt es an die Comedy, ist aber trotzdem nicht deckungsgleich. Das Prinzip heißt: Weglachen mit Niveau - und das ist eine Kunst für sich!
29. OLDENBURGER KABARETT-TAGE:
GROTESK-BEWEGUNG
13. JANUAR - 29. FEBRUAR 2024
MIT: JEAN-PHILIPPE KINDLER, SUCHTPOTENZIAL, KATIE FREUDENSCHUSS, JOCHEN MALMSHEIMER, STEFAN WAGHUBINGER, KERIM PAMUK, CHRISTIAN EHRING, JESS JOCHIMSEN
KULTURETAGE
26122 OLDENBURG
THEATER UNIKUM CAMPUS UHLHORNSWEG
26129 OLDENBURG VOLLES PROGRAMM ALS PDF: HIER
Eine Kunst für sich
Die Keimzelle der Kabarett-Tage liegt passenderweise in der Universität. Dort, genauer gesagt: an der studentischen Bühne Unikum, entstanden sie vor drei Jahrzehnten. Sie waren so erfolgreich, dass der kleine Saal für 120 Personen irgendwann nicht mehr ausreichte und das Studentenwerk als Organisatorin eine Kooperation mit der Kulturetage einging. Heute werden je vier Shows an jedem Standort gespielt - gebucht jeweils von einem Akteur vor Ort. Im Falle der Kulturetage ist das Uwe Schwettmann, für das Studentenwerk übernimmt das Jürgen Boese. Mit ihm haben wir uns unterhalten.
Für Jürgen sind es bereits die neunten Kabarett-Tage, inzwischen darf man ihn als Kenner der Materie bezeichnen. Das war aber nicht immer so: „Ich hab damals einen echten Cross-Einstieg hingelegt“, erzählt der Kulturreferent. „Vorher war ich nicht in der Szene aktiv, ich hab mich da aber schnell reingearbeitet.“ Wie läuft sowas ab, fragt ihr euch? Heutzutage leider nicht mehr, indem man quer durch die Republik von Bühne zu Bühne fährt, um die Newcomer live zu erleben, sondern per YouTube-Scouting. „Klar, da schaut man sich viel an“, verrät Jürgen. „Im Augen behalten muss man aber auch die vielen Kleinkunst-Preise.“ Sie seien ein guter Seismograph für Qualität.
Dass es die Kabarett-Tage bei seinem Amtsantritt schon lange gab, empfand Jürgen als Glücksfall. Das erfolgreiche Format passt einfach in dass Umfeld einer Universität: „Bildung kann auch auf der Bühne passieren“, weiß Jürgen, der selbst oft als Schauspieler, Musiker und Moderator im Rampenlicht steht. „Mit den Kabarett-Tagen können wir politisch und kulturell bilden und Augen öffnen.“ Dass dabei der Spaß alles andere als zu kurz kommt, macht die Erfahrung umso intensiver und - man kann es so salopp sagen - besser.
Trotz allem gab es für den Kulturreferenten in den letzten Jahren einiges zu tun. Die Kabarett-Tage waren zwar grundsolide, aber nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Sie lebten von einem treuen Stammpublikum, sprachen die jüngere Generation - sprich: die Studierenden - aber nur noch bedingt an. „Genau das wollten wir ändern. Genau das haben wir auch geschafft“, ist Jürgen stolz auf die Bilanz der letzten Jahre. Und tatsächlich: Den Kabarett-Tagen ist es gelungen, jünger, diversifizierter und weiblicher zu werden. Und genau diese Veränderungen macht auch das Publikum durch. „Es ist alles wieder studentischer - aber ohne die alten Fans zu vergraulen“, betont Jürgen. Und das ist noch eine Kunst für sich.
Los geht's!
Die typischen Stärken des Programms zeigen sich in diesem Jahr ausgerechnet anhand zweier bittersüßer Nachrichten, denn zwei der acht Vorstellungen sind bereits im Vorfeld der Kabarett-Tage ausverkauft. Das betrifft zum einen den Auftakt am 13. Januar mit einem Shooting Star der Szene: Jean-Philippe Kindler. Er ist gleichzeitig ein gutes Beispiel für das Potenzial des Formats, denn mit einem Programm „Deutschland umtopfen“ war er bereits vor zwei Jahren zu Gast - noch bevor der Hype um ihn richtig begann. Wer ihn damals erlebt hat, wird von den Entwicklungen nicht überrascht sein (und hat sich deshalb wahrscheinlich früh eine Karte gesichert). Für alle, die ebenfalls gerne dabei gewesen wären, aber nun zu spät kommen, gibt es jedoch eine Entwarnung: Jean-Philippe kommt zurück, am 6. März 2025 gastiert er wieder in Oldenburg.
Ebenfalls ausverkauft ist gewissermaßen ein Gegenbeispiel zum Auftritt von Jean-Philippe Kindler, nämlich ein Künstler am anderen Ende der Altersspanne, etabliert und prominent. Christian Ehring, bestens bekannt durch das Satiremagazn extra drei und seine Auftritte in der heute show, spielt am 24. Februar in Oldenburg vor vollem Haus. Wer kein Ticket mehr ergattern ist, muss sich aber auch hier nicht grämen. Zwar gibt es für ihn keinen Zusatztermin im kommenden Jahr - dafür gibt es bei den 29. Oldenburger Kabarett-Tagen aber sechs weitere Künstler:innen, die ebenfalls sehenswert sind.
Mehr Kabarett!
Obwohl die in der Kulturtage spielen, werden die Karten für Suchtpotenzial am 19. Januar ebenfalls allmählich knapp. Das liegt zum einen sicherlich am Titel des Programm von Ariane Müller und Julia Gàmez Martín, denn wer wünscht sich nicht ein „Bällebad forever“? Nach zehn Jahren - wir zitieren - „Titten, Tasten, Temperamente“ haben sich die beiden Musik-Comedy-Queens aber auch eine starke Fan-Base erspielt, die ihre Kombination aus schönen Klängen und scharfen Pointen abgöttisch liebt. Warum? Sie sind ein musikalisches Antidepressivum! (TICKETS)
Ebenfalls in der großen Halle feiern wir am 31. Januar ein Wiedersehen mit Katie Freudenschuss. Wieso Wiedersehen? Ganz einfach: Die erfolgreiche Künstlerin war bereits vorletztes Jahr bei den Kabarett-Tagen zu Gast, damals allerdings im kleinen Unikum. Ihr Aufstieg mag nicht ganz so rasant gewesen sein wie der des Kollegen Kindler, aber auch bei ihr zeigt sich wieder das Gespür von Jürgen Boese für das „next big thing“. Wie es damals war, könnt ihr hier lesen. Wie es dieses mal wird? Erfahrt ihr nur, wenn ihr hingeht und euch ihr neues Programm „Nicht bleibt, wie es wird“ anschaut. (TICKETS)
Noch mehr Kabarett!
Am 10. Februar geht es mit einem Routinier der Kabarettszene in der Kulturetage weiter, nämlich mit Jochen Malmsheimer. Wenn in der Beschreibung eines Programms die Namen Simon Bolivar und Jean-Paul Sartre fallen, darf man von zwei Dingen sicher ausgehen: Es wird politisch - und es wird gut. Zumindst dann, wenn es sich dabei um ein Programm von Malmsheimer handelt. Mit scharfer Beobachtungsgabe und einem großen Analysetalent sortiert er für uns die Absonderlichkeiten unserer Welt und beantwortet große und mittelgroße Fragen, die wir uns bisher nicht gestellt haben. Danke! (TICKETS)
EINFACH MAL ANGUCKEN Ihr habt bis hierher gescrollt und noch keinen Namen gefunden, den ihr kennt? Macht nichts! Dann wagt einfach das Experiment und entdeckt das Unbekannte. Das kann nämlich ungeahnte Folgen haben. So war es bei Sarah Bosetti. Die kennt ihr nämlich höchstwahrscheinlich doch, weil sie in den letzten Jahren eine formidable Karriere hingelegt hat. Insbesondere mit ihrem Format „Bosetti will reden!“ auf dem ZDF hat sie enorme Bekanntheit erlangt. Und wie der Zufall so will, ist sie am 26. Januar mit ihrem Programm „Wer Angst hat, soll zuhause bleiben!“ in der Kulturetage zu Gast. Natürlich: Längst ausverkauft! Aber: Vor vier Jahren war noch alles anders. Am 18. Februar 2020 war Bosetti nämlich zu Gast bei den 25. Oldenburger Kabarett-Tagen. Aus allernächster Nähe konnte man sie damals im Unikum erleben, kurz danach begann der steile Aufstieg. Genau das kann - und wird - auch in Zukunft wieder passieren. Vielleicht sogar mit einem Gast aus deinem Jahr? Nicht verpassen!
|
Im Unikum geht es anschließend - praktischerweise - im Wochenrhythmus weiter. Markiert euch am besten letzter schon die Donnerstage, 15., 22. und 29. Februar - denn dann treten Stefan Waghubinger, Kerim Pamuk und Jess Jochimsen auf. Die drei haben gemeinsam, dass wir nicht mehr blutjung sind - dass sie nicht zu den bekanntesten Kabarettisten gehören - und dass dieser Umstand jeweils schreiend ungerecht ist.
Auf ganz unterschiedliche Weise gelingt es den dreien, mal zynisch, mal böse, mal philosophisch, aber immer urkomisch auf die Welt zu blicken. Während Waghubinger feingeschliffene Formulierungskunstwerke federleicht durch den Saal schweben lässt (TICKETS), blickt Pamuk zwischen optimistischer Resignation und pessimistischer Begeisterung auf die urdeutschen Eigenarten - von Grill-Sucht bis Reservierungswahn. (TICKETS) Und Jochimsen? „Der ist mein Geheimtipp“, erzählt Jürgen. Und der Humorfachmann weiß, wovon er spricht. (TICKETS)
Kabady? Comerett? Egal!
Was ist was? Diese Frage ist entweder für Kinder und Jugendliche auf der Bilderbuch-Entdeckungstour durch unsere Welt - oder ganz egal. Denn darauf kommt es nicht an, solange man intelligent unterhalten wird. Die Unterscheidung „Comedians machen den Job wegen dem Geld, Kabarettisten wegen des Geldes“ bleibt daher eine bewusste Provokation - mit einem Funken Wahrheit.
Für das Oldenburger Publikum zählt letztlich aber nur eines: Mit den Kabarett-Tagen bekommt es eine wunderbar vielfältige Mischung aus den Genzbereichen von Comedy, Poetry Slam, Satire und - nun ja - Kabarett. Das ist, wie oben beschrieben, inzwischen ungeheuer vielfältig, hat aber eine große Gemeinsamkeit: Bei jedem der acht Termine kann man sich weglachen - mit Niveau. Und diese Kunst für sich sollte man besser nicht verpassen. Also: Werdet Teil der Groteskbewegung!
Comments