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TEXT TRIFFT TÖNE

Im ständigen Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums haben es Lesungen nicht immer leicht. Neben all den spektakulären, lauten Events wirken sie manchmal wie das stille Kämmerlein der Kultur, ein Ort der leisen Töne und der tiefen Gedanken. Die gibt es am 5. September bei der Lesung von Dalibor Markovic zwar auch - dazu aber noch viel mehr! Begleitet wird er nämlich vom Berliner Ambient-Electro-Duo Psycho & Plastic!


Dalibor Markovic mit Psy<cho & Plastic
Das passt: Dalibor Markovic liest aus „Pappel“ - live begleitet vom eigens komponierten Soundtrack. (Still: Voland & Quist)

Keine Frage: Dalibor Markovic hat Mut. Auf der ganzen Welt entert der 47-jährige Frankfurter kleine und große Bühnen, um seine Sprachkunst zu performen. Das darf man durchaus wörtlich nehmen: Wer durch seinen Instagram-Kanal scrollt, sieht ihn in Berlin, London, Helsinki, Luzern und seiner zweiten Heimat Mexiko City. „Es erforderte ein wenig Glück, gepaart mit einer persönlichen Abenteuerlust, die Welt kennenzulernen“, erzählt Dalibor. Die Texte würden vorab übersetzt und während des Auftritts in der Landessprache projiziert. „Das funktioniert erstaunlicherweise sehr gut.“


Seinen Mut zeigt er aber auch an anderer Stelle. Zum Beispiel bei der Veröffentlichung seines ersten Romans, der im Jahre 2021 im Verlag Voland & Quist erschien: Schlicht mit "Pappel" betitelt erzählt er die Geschichte eines Baums, der sich entwurzelt und in einen Menschen verwandelt. Bereits diese kurze Beschreibung ist fantasievoller als mancher Wälzer mit zeitgeistiger Befindlichkeitslyrik. Und da ist noch mehr: Zu seinem Erstlingswerk gibt es einen eigens komponierten Soundtrack des Berliner Duos Psycho & Plastic, der bei manchen Lesungen sogar live performt wird. In diesem Jahr passiert dies genau zwei Mal: In Frankfurt - und in Oldenburg!


 

LITERATURHAUS OLDENBURG

LESUNG DALIBOR MARKOVIC MIT PSYCHO & PLASTIC: „POWER TO THE PAPPEL“


DIENSTAG, 5. SEPTEMBER, 19.30 UHR WILHELM 13

26121 OLDENBURG TICKETRESERVIERUNG

 

Die Grenzen sprengen


Wer vermutet, Lesungen seien immer dasselbe, liegt damit falsch. Mal sind sie hochintellektuell, wenn etwa philosophische Ansätze diskursiv betrachtet werden. Mal sind sie hochemotional, wenn zum Beispiel persönliche Schicksalsschläge und Leidenswege nachgezeichnet werden. Und mal sind sie hoch unterhaltsam, wenn etwa begnadete Erzähler:innen auf die Kuriositäten des Lebens blicken. Und dann gibt es noch die Fälle, in denen die Grenzen der Anordnung „Tisch + Buch + Vorleser:in“ gesprengt werden und neue Elemente hinzukommen.


„Das ist ein überbordend und wild erzählter Roman. Man merkt Dalibor Marković die Lust am Assoziieren und Fabulieren an. Und eine Dosis Geschichte kriegt man mit diesen Geschichten auch noch mit. Das hat mich dermaßen in seinen Bann gezogen, dass ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen kann.“ Jörg Petzold, FluxFM

Genau das ist am 5. September um 19.30 Uhr auch im kleinen Oldenburger Literaturtempel Wilhelm13 der Fall. Wenn nämlich Dalibor mit seinen beiden Begleitern Alexandre Decoupigny und Thomas Tichai die Bühne betritt, dann ist sofort klar, dass eben keine übliche Lesung auf dem Programm steht - sondern eine, die mit einer Klangkulisse aufwarten kann. Und schnell wird dabei klar: Das ist mehr als nur Beiwerk.




Den Rhythmus spüren


Wer nach Gründen für diesen künstlerischen Ansatz sucht, wird in Dalibors Biographie fündig. Seine künstlerischen Anfänge lagen nämlich in der Musik: als Beat Boxer sammelte er Bühnenerfahrung - und entwickelte ein gutes Gespür für Rhythmik, Timing und Klang. „Beat Boxing, so wie ich es verstehe, ist eine rhythmische Sprache für sich“, beschreibt der Sprachkünstler seine Sichtweise. „Sie bedarf keiner Übersetzung. Das hilft mir bei meinen Auslandsauftritten.“ Das Vorurteil, dass es der deutschen Sprache an Melodik fehle teile er nicht. „Ihre größte Kraft liegt aber in der Rhythmik. Sie ist wie ein aufbrausender Ozean, auf dem man als Dichter beschwingt wellenreiten kann.“


Wer im Wilhelm13 dabei sein kann, wird eine neue Art der Lesung erleben: Eine, die intellektuell und emotional zwar viel zu bieten hat, die sich darauf aber nicht beschränkt. Ebenbürtig daneben stehen die Rhythmik der Sprache und der Sound der Musik. Man kann hier tatsächlich von einer immersiven Kollaboration sprechen, wo eben nicht das eine das andere nur begleitet, sondern wo beide Elemente zu einem gemeinsamen Ganzen zusammenfließen.


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WORUM GEHT'S?

DALIBOR MARKOVIC: „PAPPEL“



Cover von Dalibor Markovic Roman Pappel
Baum wird Mensch: Dalibor erzählt die Geschichte von Konrad Pappel. (Bild: Voland & Quist)

Der Roman beginnt im Juli 1883. Während in Österreich-Ungarn Julie Kafka der Hebamme fest entschlossen in die Augen sieht und ihren ersten Sohn gebärt, ereignet sich im Gelbachtal ein nicht weniger großes Wunder: Der Spross einer Schwarzpappel erblickt das Licht der Welt. Schon bald löst diese sich von ihren Wurzeln und schreitet fortan als Konrad Pappel durch die Gefilde.


Konrad, dessen Leben auf mysteriöse Weise mit jenem Franz Kafkas verbunden ist, nimmt den Leser mit auf einen wahnwitzigen Husarenritt durch die vergangenen 150 Jahre: an den Weltkriegen vorbei, durch den Eisernen Vorhang hindurch, bis in unsere Gegenwart hinein. Dalibor Marković zieht in seinem Debütroman alle Register und erweist sich dabei als großer Erzähler, der es mit dem mikroskopisch Kleinen ebenso wie mit den Weiten des Universums aufnehmen kann. Eine Leseprobe findet ihr hier!


Zum Buch motiviert habe ihn vor allem das große Bedauern über das Fehlen einer Original-Sprachaufnahme von Franz Kafka: „Die gibt es leider nicht, also habe ich

eine erfunden und diese Geschichte darum gestrickt.“ Andererseits sei ihm als in Deutschland geborener Ausländer (Dalibor bevorzugt diese Formulierung) wichtig gewesen, in seinem Debütroman eine Geschichte über Deutschland zu schreiben. „Kurz vor Beginn der Niederschrift hatte ich meinen deutschen Pass erhalten und wollte mich intensiv mit der Geschichte dieses Landes auseinandersetzen, um herauszufinden, was es bedeutet, dieser Nationalität anzugehören.“


Dalibor Markovic tritt in Oldenburg auf
Lust auf Lyrik: Dalibor Markovic (Bild: Eva Zocher)

An die Umsetzung auf der Bühne dachte er beim Schreiben kaum. „Da musste man ganz andere Bereiche beackern. Es ging vornehmlich um Formulierungen und den Flow der Geschichte.“ Erst als der Roman fertig gewesen sei, habe er sich mit der Umsetzung befassen können. „Da half es aber, dass ich während des Schreibens unzählige Sprachaufnahmen vom Romantext gemacht hatte, die ich mir im Nachgang anhören konnte.“ Beim Anhören seien die Ideen für die Umsetzung auf der Bühne bzw. bei einer Lesung gewachsen.


„Soundtrack 2: Pappel“ begleitet den vom Baum zum Menschen gewordenen Konrad durch dessen Leben. Jedes der sieben Romankapitel findet seine musikalische Entsprechung in einem instrumentalen Stück desselben Titels. So folgt das Album dem Spannungsbogen und den Stimmungen des Romans, durch die inneren Welten und realen Abenteuer des Protagonisten.


Die Nische verlassen


Dalibor kann zwar (noch) nicht auf eine lange Reihe von Veröffentlichungen zurückblicken und auch sein Name wird nicht jedem geläufig sein. Mit ihm hat das Literaturhaus Oldenburg aber einen herausragenden Sprachkünstler eingeladen, der mit der Art seines Vortrags ganz unterschiedliche Zielgruppen mitzureißen weiß. Dass er zusätzlich in der Lage ist, große Geschichten zu erzählen, hat er nun mit „Pappel“ bewiesen.


„Als Spoken-Word-Lyriker ist Dalibor Marković schon lange eine feste Größe - mit Pappel, seinem Husarenritt durch die Weltgeschichte, begeistert er jetzt auch auf der langen Strecke. Marković erweist sich als großer Erzähler, der dem vorherrschenden Realismus in der Gegenwartsliteratur das entgegensetzt, auf das wir gewartet haben: Hemmungsloses, verspieltes und herrlich absurdes Fabulieren.“ Björn Jager, Hessisches Literaturforum

Dieses Prinzip lässt sich auch auf Psycho & Plastic übertragen. Ihre (bisher drei) Platten mögen nicht die vordersten Plätze der Charts erreichen. Möglicherweise befinden sie sich auch nicht auf der Playlist mit deinen Alltime-Favorites. Ihr Gespür für sphärische, szenische Sounds, die mehr sind als reiner Klang, ist allerdings faszinierend und ermöglicht ganz neue Emotionen und Assoziationen.


Wie ein Soundtrack zu einem Buch klingt? Könnt ihr hier nachhören!


„Viele Passagen des Buches haben filmischen Charakter, ein Kapitel spielt sogar gänzlich in einem Stummfilmkino“, berichtet Dalibor. Da sei ihm die Idee gekommen, einen Soundtrack für das Buch komponieren zu lassen. „Psycho & Plastic kenne ich seit vielen Jahren. Sie hatten gerade die musikalische Bearbeitung eines Theaterstücks beendet, da kam eins zum anderen und passte fantastisch zusammen.“


Kein Zweifel: Im Format „Power to the Pappel“ treffen sich Text und Ton zu einem kongenialen Gesamtkunstwerk, das sich gegenseitig bereichert. „Der Sound umspielt und bestärkt den Text“, beschreibt der Autor den Effekt. „Die Kompositionen zeigen auf eindrückliche Weise, dass beides symbiotisch ineinanderwirken kann.“


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WAS IST WAS?

SPOKEN WORD UND POETRY SLAM


Spoken Word ist eine Spielart der darstellenden Kunst, in der ein lyrischer oder prosaischer Text vor Publikum vorgetragen wird - oftmals in Begleitung von Musik. Entwickelt hat sich dieses Genre in den Fünfziger und Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit den Poeten der Beat Generation wie William S. Burroughs, John Kerouac und Allen Ginsburg.


So sieht's aus: Poetry Slams treffen den Nerv des Publikums. (Bild: Jakob Kielgass)

Später wurden vor allem Vertreter:innen aus der Punk-Szene mit Spoken Word Formaten bekannt - etwa Patti Smith, Henry Rollins (Black Flag) und Jello Biafra (Dead Kennedys).


Und die Poetry Slams? Bei ihnen geht es keineswegs um etwas ganz anderes. Sie stellen vielmehr die derzeit bekannteste und populärste Plattform für Spoken Word Formate dar. Ihnen ist es gelungen, die Sprachkunst für die Akteur:innen und für das Publikum zugänglicher zu machen - und tragen stark dazu bei, dass Spoken Word heute eine nicht nur anerkannte, sondern auch beliebte Kunstform ist.


Sich mitreißen lassen


Wer sich für Worte und Sprache interessiert (und wer tun das nicht?), erhält vom Literaturhaus Oldenburg am 5. September im Wilhelm13 eine mitreißende Form der Inspiration. Und das in doppelter Hinsicht: Das Kommen würde sich allein wegen des Buches lohnen. „Die Geschichte eines Herumtreibers“ - so der Untertitel zu „Pappel“ - sollte man einfach kennen, so einzigartig und wunderbar grotesk sie ist. Ein große Rolle spielt aber natürlich auch die Art der Vortrags. Sowohl die gekonnte Intonation von Dalibor als auch die Begleitung von Psycho & Plastic setzen die Inhalte in einen neuen Kontext und werten sie weiter auf.


„Wer es magisch und wild assoziierend, detailversessen, sprachvirtuos und voll groteskem Humor mag, sollte Konrad Pappel durch sein langes Leben begleiten.“ Bettina Hesse, WDR5 Bücher

„Unsere gemeinsamen Auftritte fühlen sich an, als sei man eine Band, die zusammen auf der Bühne spielt. Ein Gefühl, dass ich außerordentlich genieße“, freut sich der Autor auf den Abend in Oldenburg. Anders als manche Lesung sollte „Power to the Pappel“ also keinerlei Schwierigkeiten haben, sich gegen all die anderen - spektakulären und lauten - Veranstaltungen durchzusetzen. Hier gibt es schließlich nicht nur leise Klänge und tiefe Gedanken, hier treffen sich Text und Töne!

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