Christopher Nolans oscarprämiertes Kino-Meisterwerk „Inception“ spielt mit verschiedenen Ebenen des Bewusstseins. Dieses Prinzip hat nun das Künstler:innenkollektiv Unit 404 mit seinem Projekt „Labor 2“ aufgegriffen, das im Atelier des Kunstschul-Stipendiaten Jonas Meyburg zu sehen ist. Wir haben mit ihm und Johanna Spieker über die ungewöhnlichen Methoden der Gruppe gesprochen - und über das ebenso ungewöhnliche Arbeitsergebnis.
Es gibt die großen Kunstausstellungen. Über Jahre hinweg werden sie detailliert erdacht, minutiös geplant, akribisch vorbereitet und dadurch selbst zu einer kunstvollen Komposition der Gegenwartskultur. Häufig werben sie mit großen Namen und erzeugen starke Aufmerksamkeit. Das macht sie an ihren jeweiligen Standorten zu gesellschaftlichen Pflichtterminen.
Und dann gibt es kleine, klandestine Kunstprojekte wie das „Labor 2“ der Unit 404. Hier ist der Name Programm: Es handelt sich um ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Zu Beginn stand lediglich ein Ort fest, in diesem Fall das „Studio 10“ der Oldenburger Kunstschule in der Langen Straße. Der gesamte Rest? Die Motive, Mittel und Methoden? Ergeben sich im Prozess - und überraschen dabei manchmal selbst die Beteiligten.
UNIT 404:
„LABOR 2“
22. AUGUST - 26. AUGUST 2023
19 UHR - 21 UHR
STUDIO 10
26122 OLDENBURG
Grenzen überwinden
Jonas Meyburg ist Stipendiat der Oldenburger Kunstschule. Als solcher beschäftigt er sich noch bis zum Oktober mit dem Sound der City. Jonas ist darüber hinaus aber auch Mitglied des Künstler:innenkollektivs Unit 404. Kennen gelernt hat sich das Quintett an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) in Braunschweig. Inzwischen sind die Mitglieder zwar weit verstreut in Deutschland und Europa. Für ihre Projekte kommen sie aber immer wieder zusammen - dieses Mal in Oldenburg.
Habt ihr Zeit? Die improvisierte Soundperformance in der Halle 267 aus dem jähr 2021 dauert fast vier Stunden.
„An der Hochschule wird viel getrennt gedacht“, erklärt Jonas die Motivation für die Gründung. „Man agiert oft als Einzelkämpfer.“ Mit der Unit 404 wollen die jungen Künstler:innen diese Trennung überwinden und interdisziplinär an ihre Projekte herangehen. „Wir haben Bildhauer dabei, Foto- und Videokünstler, Sounddesigner, Schriftsteller“, ergänzt Johanna Spieker. Sie alle haben unterschiedliche Blickwinkel auf ein Thema - und unterschiedliche Methoden, es künstlerisch zu verarbeiten. Das Gefühl nach einem gelungenen Projekt bringt Jonas auf den Punkt:
„Am Ende entsteht etwas Gemeinsames - und das ist viel größer als alles, was man alleine schafft.“
Fehler im System
Für das Oldenburger Projekt begab sich die Unit 404 zunächst in eine künstlerische Extremsituation: Innerhalb nur einer Woche sollte aus dem Nichts eines vollkommen leeren Raumes die Idee entstehen und die Umsetzung passieren. Tatsächlich entwickelte sich schnell eine Vision: Die Suche nach dem Inhalt der Ausstellung sollte selbst zum Inhalt der Ausstellung werden. Man würde im Ergebnis also die Entstehung des Ergebnisses sehen. Der Weg ist hier also tatsächlich das Ziel - was allerhand parallele Gedankenwelten eröffnet. Schöne Grüße an Christopher Nolan, dessen Meisterwerk „Inception“ ebenfalls - wenn auch ungleich aufwändiger - mit solchen unterschiedlichen zeitlichen Ebenen spielte.
Zu diesem Zwecke filmten sich die Mitglieder des Kollektivs in ihren Gesprächen - nicht nur vor Ort im Atelier 10, sondern auch später am Abend. Dabei entstanden nicht weniger als 36 Stunden Rohmaterial an Audio- und Videodateien. Doch die Frage war nun: was damit anfangen?
Die Antwort darauf fanden die jungen Künstler:innen mithilfe der Technik. Beziehungsweise: mithilfe ihrer Fehlfunktionen. Denn die Verwendung einer vermeintlich hilfreichen KI-Audio-Software machte die aufgezeichneten Stimmen schwerer verständlich und ließ sie zum Teil fremdartig klingen. Die entsprechenden Transkription geriet zum kryptischen Kauderwelsch. Man muss genau hinhören und -sehen, um zu erfassen, worum es geht - und scheitert womöglich dennoch. Fast wie in biblischen Babylon, als Gott die Menschen für ihre Hybris mit der babylonischen Sparchverwirrung strafte. „Der Turmbau zu Babel war für unsere Arbeit tatsächlich ein wichtiges Motiv“, verrät Johanna.
STIPENDIAT JONAS MEYBURG SOUND AND THE CITY Jonas Meyburg ist der erste Stipendiat der Oldenburger Kunstschule. Ein halbes Jahr lang wirft er einen individuellen künstlerischen Blick auf die Stadt und ihre Menschen. Daher auch das Atelier inmitten der Fußgängerzone. Wenn ihr mehr über seine Hintergründe, Arbeitsweisen und Eindrücke von Oldenburg lesen wollt, lest unbedingt unser ausführliches Portrait.
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Spannend wurde es zum Ende hin dennoch. Ob nach der Entstehung auch der Aufbau für die Präsentation klappen würde? Das war bis wenige Stunden vor dem Start am 22. August unklar, schließlich konnte erst am Ende der Kreationswoche überhaupt mit den Arbeiten begonnen werden. „Viel Freizeit gab es da nicht mehr“, lacht Jonas. Das ist eben die Tücke in diesem System: Es gibt - anders als bei den großen Ausstellungen - keine Garantien, alles geschieht im Moment. Doch wir können Entwarnung geben: Pünktlich zum Soft Opening um 19 Uhr war alles fertig, dem Kunstgenuss stand nichts (mehr) im Wege.
Das große Rätsel
Es ist tatsächlich ein interessantes Experiment, aus den Gesprächsfragmenten und den dadaistischen Transkriptionen ein Gesamtbild zusammenzusetzen, das für uns Sinn ergibt. Dabei schient man sie tatsächlich zu fühlen: die Verwirrung, die geherrscht haben muss, als niemand mehr den anderen verstand, auch wenn man eigentlich wusste, worum es geht. Und dieses Gefühl taugt auch zur Parabel auf eine Gegenwart, in der es allzu oft darauf ankommt, etwas zu sagen - unanbhängig davon, ob es auch verstanden wird,
„Es gibt hier aber keine Botschaft in dem Sinne, dass die Besucher:innen bitte das denken sollen, was wir vorschlagen“, nimmt Jonas etwaige Befürchtungen, man könnte an der Interpretation scheitern.
„Es geht um Kommunikation, es geht um Informations-gehalt und Austausch. Versteht man die Dinge oder nicht? Und was passiert, wenn man etwas nicht versteht?“
Das Kollektiv rechnet dabei durchaus auch mit Schulterzucken und Kopfschütteln. „Mit so einer Ausstellung bekommt man in einer Galerie für zeitgenössische Kunst sicher andere Reaktionen als in der Innenstadt“, ist sich Johanna bewusst. Am Lefferseck begegne man der gesamten Bandbreite der Bevölkerung und das sei das Spannende an dem Ort. Dass man möglicherweise polarisiert? Nimmt die Unit 404 in Kauf. „Wenn man Kunst macht, dann nimmt man nicht immer alle mit“, weiß Jonas. Wenn man alle mitnähme, sei es wahrscheinlich auch keine Kunst mehr. Immerhin bevorzuge oder benachteilige das „Labor 2“ niemanden, ergänzt der Bildhauer schmunzelnd, denn: „Alle verstehen es gleich schlecht!“
AMBITIONIERTES KOLLEKTIV WIESO EIGENTLICH 404? Kommt euch dieser Zahlencode bekannt vor? Mit Sicherheit. Wir alle dürften ihn schon vielfach gesehen haben - dann nämlich, wenn wir eine Website aufrufen, die keine Verbindung zum Server herstellen kann. In diesem Fällen wird uns der HTTP Status 404 angezeigt: Seite nicht gefunden. In der Regel generiert der Website-Hosting-Server eine "404 Not Found"-Webseite, wenn ein Benutzer versucht, einem defekten oder toten Link zu folgen; daher ist der 404-Fehler einer der bekanntesten Fehler, die im World Wide Web auftreten. Diese losen Enden, diese Schnitt-Stellen, diese Orte der Inperfektion sind die Bereiche des Lebens, die das Kollektiv besonders interessiert. Um sie künstlerisch zu untersuchen, verstehen und zu verarbeiten schließen sie sich zusammen - zu einer Unit. Et voila: Unit 404.
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Viele Fragezeichen
Nein, detailliert erdacht, minutiös geplant, akribisch vorbereitet ist im „Labor 2“ der Unit 404 überhaupt nichts. „Das, was wir jetzt gemacht haben, hat nicht viel damit zu tun, was wir uns so vorher gedacht haben“, stimmt auch Jonas zu. Wer daraus ableitet, dass die Qualität nicht stimmen könne, liegt allerdings falsch. Das Kollektiv hat aus dem Nichts ein Kunstprojekt erschaffen, das uns zum Nachdenken anregt - über Stimmen und Sprachen, vor allem aber über die Dynamik einer Entwicklung.
Das Spiel mit den Ebenen ist nicht immer einfach zu dechiffrieren und es wird sicher viele Fragezeichen hinterlassen. Aber das ist nicht etwas negativ gemeint - denn es kann durchaus wohltuend sein, gemeinsam mit anderen etwas nicht zu verstehen und stattdessen seine Gedanken frei treiben zu lassen. Viele Kinobesucher:innen kennen dieses Gefühl noch von „Inception“. Doch das ist schon dreizehn Jahre her - höchste Zeit also für einen Reload!
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