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JANSSEN FÜR FORTGESCHRITTENE

Das Leben von Horst Janssen gilt als gut erforscht. Trotzdem gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Zum einen, weil man das manische Genie nicht anhand von Daten, Fakten, Stationen festmachen kann. Und zum anderen, weil man das Kaleidoskop Janssen aus unzähligen Blickwinkeln betrachten kann und stets ein anderes Bild erhält. Nun kommt eine Perspektive hinzu: jene von Aline Helmcke, der neuen Stipendiatin des Horst-Janssen-Museums.


Gruppenbild mit Stipendiatin: (v.l.) Eigentümer Klaus Oetken, Museumsleiterin Dr. Jutta Moster-Hoos, Fördervereins-Vorsitzende Inge von Danckelman, Aline Helmcke, Kulturamtsleiterin Christiane Cordes (Foto: HJM)

Wenn man Horst Janssen etwas genauer kennen lernen will, dann gibt es eigentlich nur einen Ort, an dem man beginnen kann. Und das ist nicht etwa sein Geburtsort Hamburg, sondern das Bürgereschviertel in Oldenburg. Hier, genauer gesagt in der Lerchenstraße 14, verbrachte er große Teile seiner Kindheit. Die beschauliche Nachbarschaft war sein Revier, sie prägte ihn und trug dazu bei, dass er seinen späteren Weg gehen konnte. So erzählen es sich jedenfalls die Oldenburger:innen - und es dürfte etwas Wahres dran sein.



Zur Schatzsuche nach Oldenburg


Und so beginnt auch der Aufenthalt von Aline Helmcke, der ersten Forschungs-Stipendiatin des Horst-Janssen-Museums, in der hübsch sanierten Hundehütte unweit des Stadtzentrums. Das Haus hat der Künstler übrigens einst in einem seiner Werke verewigt - bis heute sicherlich das Janssen-Bild mit der größten Verbreitung in Oldenburg. Aline wird dort wohnen, arbeiten wird sie jedoch überwiegend im Horst-Janssen-Museum. Dort lagern die vielen kleinen und großen Schätze und Spuren des großen Meisters in den Magazinen.

ÜBER ALINE HELMCKE Aline Helmcke wurde 1974 in Berlin geboren. Sie studierte von 1995 bis 2002 an der Universität der Künste Berlin und wurde dort 2002 Meisterschülerin. Anschließend absolvierte sie am Royal College of Art in London einen Masterstudiengang in Animation. Seit April 2020 promoviert sie an der Filmuniversität Babelsberg über das Thema „Zeichnen zur Zeit“. Seit 2009 ist sie in der Lehre tätig, zuletzt an der Bauhaus-Universität Weimar.


Ihre Arbeiten wurden unter anderem im Museum Folkwang Essen, im Haus der Kulturen der Welt Berlin, der Kunsthalle Erfurt sowie auf Filmfestivals in Mexico City, Cork, Girona, Toulouse, Trieste und London gezeigt.



Die Stipendiatin vor der Lerchenstraße 14 (Bild: HJM)

Für Aline Helmcke haben nun neun intensive Monate begonnen, in denen sich (fast) alles um Horst Janssen drehen wird. Was wird dabei im Mittelpunkt stehen? „Janssens Frühwerk interessiert mich besonders, weil es sich durch eine große Vielfalt zeichnerischer Techniken auszeichnet,“ erzählt die gebürtige Berlinerin. „Man kann daran ablesen, wie Janssen das Potenzial grafischer Drucktechniken wie Holzschnitt, Lithographie und Radierung erkundet. Man spürt aber auch, wie er Impulse anderer Künstler aufgegriffen und weiterentwickelt hat.“ In dieser Phase des Experimentierens habe Janssen ein Vokabular an Ausdrucksmöglichkeiten herausgebildet, auf das er in seinen späteren Arbeiten immer wieder zurückgreife.



Kein Cartoon: Die bewegte Zeichnung


Und Alines eigener künstlerischer Schwerpunkt? Der liegt im Bereich Animation, also bewegter Zeichnung. Das klingt ein wenig nach Cartoon, hebt sich aber sowohl stilistisch als auch inhaltlich vom Populärformat ab. Die Stipendiatin wird ihren Blick auf das Verhältnis von Zeichnung und Bewegung richten: „Vor allem werde ich untersuchen, welchen Einfluss die Anwendung verschiedener grafischer Techniken auf Linienführung und künstlerischen Ausdruck in Janssens Frühwerk hat.“


Und was entgegnet sie jenen, die doch alles ihn einen Topf werfen? Wie grenzt man Animation und Cartoon voneinander ab? Oder können letztere vielleicht sogar auch Kunst sein? „Ein Cartoon kann Kunst sein – und nicht jede Animation muss ein Cartoonfilm sein. Animation lässt sich nicht allein durch einen Zeichenstil definieren, sondern bietet viele Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks“, verrät Aline.


„Meine eigenen Animationsfilme kann ich nicht dem Bereich des Cartoonfilms zuordnen. Ich setze durch meine Zeichenbewegungen Zeichnungen in Bewegung. Dabei entstehen Formen und Bewegungsabläufe, die mich immer wieder überraschen.“

Das sei ein ganz anderes Herangehen als beim Cartoonfilm. Dort sei das Aussehen der Figuren meist festgeschrieben. Sie müssten erkennbar bleiben, damit ihre Handlungen nachvollziehbar sind. „Übrigens läuft ab Ende April der Kinofilm ‘Die Odyssee‘ der französischen Regisseurin Florence Miailhe in den deutschen Programmkinos“, verrät die Doktorandin. „Das ist ein Animationsfilm mit künstlerischem Anspruch, an dem ich als Animatorin mitgearbeitet habe und den ich sehr empfahlen kann.“ Schmunzelnd fügt sie hinzu: „Spannend, wunderschön und garantiert kein Cartoon!“ In Oldenburg ist er übrigens ab dem 28. April in cine k zu sehen.


Entstanden unter Mithilfe von Aline Helmcke: „Die Odyssee“ von Florence Miailhe (Bild: Grandfilm)

Zur Bewerbung ANIMIERT


Eine gänzlich Unbekannte ist Aline Helmcke für das Oldenburger Publikum allerdings nicht: In der 2021er Ausstellung "Janssen ANIMIERT" des Horst-Janssen-Museums war sie mit einem Werk vertreten. Gab diese Partizipation den Ausschlag für den Forschungsaufenthalt? Immerhin ist ihre Vita ansonsten geprägt von Stationen wie Berlin, London und Mexiko City. Dagegen wirkt Oldenburg - nun ja - etwas beschaulich.


„Ja, ich habe Glück, dass mich meine Arbeiten bis jetzt an viele interessante Orte geführt haben“, blickt Aline zurück. „Ein interessanter Ort muß aber nicht immer eine große Stadt in einem fernen Land sein.“ Im Rahmen von „Janssen ANIMIERT“ habe sie das Museumsteam kennengelernt und vor Ort im Grafikmagazin recherchiert.


„Als ich dann auf die Ausschreibung für das Forschungsstipendium aufmerksam wurde, war das eine Gelegenheit, die Auseinandersetzung mit Janssens Frühwerk weiter zu vertiefen - und die Zusammenarbeit mit dem Horst Janssen-Museum fortzuführen.“

Von einer Sache war sie nämlich besonders begeistert: „Alle, die ich dort kennengelernt habe, sind offen für neue Ideen, das macht Lust auf mehr!“


Ist ein Stipendium womöglich die beste Möglichkeit, sich einem Thema oder einer Person mit der nötigen Akribie aber auch Muße anzunähern? Für Aline Helmcke zählt vor allem der örtliche Bezug: „Das Besondere am Stipendium ist für mich, dass die Originalgrafiken und -zeichnungen aus dem Museumsbestand jederzeit für mich zugänglich sind“, erzählt sie. „Anhand der Originale kann ich sehr viel klarere Schlüsse hinsichtlich der Annäherung Janssens an verschiedene Drucktechniken ziehen, als es mir über Reproduktionen möglich wäre.“ Kein Zweifel: ein mehrmonatiger Aufenthalt setzte einen Kontrastpunkt zur kurzatmigen Projektarbeit. Es eröffnet den nötigen Raum, einen künstlerischen - oder wissenschaftlichen - Ansatz tiefergehend zu erschließen.

STIPENDIEN Längerfristige Forschungsaufenthalte gehören fest zur Kunst- und Kulturszene. Von ihnen verspricht man sich Arbeitsergebnisse, die im dicht getakteten Alltag nicht erreicht werden könnten. Es geht aber nicht nur um diese Blickrichtung, sondern auch um die andere: durch Stipendien bekommen die jeweiligen Institutionen und ihre Standorte frische Impulse von außen. Zudem signalisieren Stipendien die Wertschätzung von Kunst und Kultur. Immer wieder gibt es auch in Oldenburg Diskussionen, ob es nicht mehr Stipendien bräuchte, die vor allem jüngeren Menschen Entwicklungsperspektiven bieten. Einige gibt es bereits: Neben dem Forschungsstipendium des Horst-Janssen-Museums zum Beispiel drei sechsmonatige Stipendien des Edith-Ruß-Hauses für Medienkunst. Das theater wrede+ bietet als Teil des flausen+-Netzwerks ganz unterschiedliche Stipendien und Residenzen, die immer wieder ambitionierten und experimentelle Gruppen nach Oldenburg führen. Braucht Oldenburg mehr davon? Sind Stipendien sinnvoll oder sogar nötig, um dem eigenen Nachwuchs Chancen zu eröffnen oder um ambitionierte Künstler:innen hierher zu lotsen? Diese Frage werden wir in Zukunft nochmal ausführlicher aufgreifen und uns dazu in der Stadt umhören.


Berlin, London, Oldenburg


Eine Frage bleibt jedoch offen: Hat Oldenburg einer künstlerischen Kosmopolitin auf die Dauer genug zu bieten? Alle leidenschaftlichen Liebhaber dieser Stadt dürfen jedoch erleichtert aufatmen: Aline Helmcke macht sich da keine Sorgen.


„Während ich arbeite, bewege ich mich wenig vom Fleck, daher erschließe ich mir Oldenburg gerne durchs Herumflanieren. Am Hafen bin ich genauso gerne unterwegs wie im Stadtzentrum oder auf einem der Wochenmärkte. Und ein Abstecher ins Edith-Russ-Haus oder den Oldenburger Kunstverein lohnt sich immer.“

Lohnt sich immer: Das wäre doch ein schönes Fazit für den Aufenthalt bzw. das Stipendium insgesamt. Wir sind gespannt, wie die Erfahrungen sein werden und neugierig auf die Ergebnisse. Und eins steht ja immerhin jetzt schon fest: Oldenburg darf sich von nun an einreihen in die Stationen Berlin , London, Mexico City. Aber das tut es ganz selbstbewusst, schließlich war es Revier des jugendlichen Horst Janssen. Welche Stadt kann das schon von sich behaupten?



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