Bilder sind normalerweise etwas, das man von außen betrachtet, oft in respektvollem Abstand. In die dargestellten Szenerien darf man sich bestenfalls hindenken. Selbst ein Teil davon sein? Das wäre ein Traum! Doch der lässt sich jetzt erfüllen - in der Ausstellung „Lê and Mohr“ im Oldenburger Raum auf Zeit.
Die Älteren unter euch erinnern sich vielleicht: Im Jahre 1986 erschien ein entsetzlich schlechter Films mit den schauspielerisch weitgehend talentfreien Thomas Gottschalk und Mike Krüger mit dem Titel „Die Einsteiger“. So schlecht die Darstellung auch war, so faszinierend war die Grundidee: Die beiden Protagonisten konnten nämlich mittels einer speziellen Fernbedienung in die Handlungen der Film „einsteigen“, die sie gerade im Fernsehen sahen.
Die Faszination dieses Prinzips begegnet uns aber auch in anspruchsvolleren Kontexten. Ein Beispiel dafür: Escher-Museum in Den Haag. Beim weltberühmten Meister der Unmöglichkeit reicht eigentlich die Betrachtung seiner Bilder vollkommen aus - simply mindblowing. Dennoch kann man dort auch selbst Teil optischer Illusionen werden und sich in einer eben solchen fotografieren lassen. Der Andrang: enorm - trotz Extrakosten. Was das alles mit Oldenburg zu tun hat? Das kommt jetzt!
TANJA LÊ & CARSTEN MOHR
LÊ AND MOHR
17. FEBRUAR BIS 2. MÄRZ
MO - DO 13 - 18 UHR
FR 13 - 19 Uhr
SA 12 - 19 Uhr
RAUM AUF ZEIT
26122 OLDENBURG
EINTRITT FREI
Einfach eintauchen
Die junge Theatermalerin Tanja Lê und der etwas ältere Theaterplastiker und Berater für Kunst- und Bühnenprojekte Carsten Mohr werden für zwei Wochen den Raum auf Zeit in der Haarenstraße 39 in einen Ort der immersiven Kunstbegegnung verwandeln. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich ein Ansatz, der zugleich simpel und genial ist. Denn immersiv bedeutet letztlich, dass sich die Kunst und ihre reale Umwelt miteinander verschränken. Beides wird nicht getrennt gedacht - hier das Werk, dort die Betrachtenden - sondern zusammen. Ein Beispiel für dieses Prinzip ist auch das überaus erfolgreiche Format „Inside van Gogh“.
Clever: Durch den speziellen Aufbau des Bildes ergibt sich ein unerwarteter räumlicher Effekt. (Bilder: Tanja Lê)
Das Prinzip kann unterschiedliche Ausprägungen haben. Mal verlangt es von den Betrachtenden lediglich Perspektivwechsel: Nur wer die ideale Position einnimmt, sieht das Bild „richtig“ - oder aber das Bild verändert sich ganz bewusst mit jeder Bewegung. Selbst das ist bereits faszinierend, die Ausstellung „Lê and Mohr“ geht aber noch weiter: Man kann nicht nur die Perspektive verändern, man kann selbst Teil des Bildes werden.
Das könnte man natürlich als Spielerei abtun, die „echte Kunst“ gar nicht nötig hat. Und in der Tat gibt es ein spielerisches Element: Es macht einfach Spaß, sich plötzlich in einem Kunstwerk aufzuhalten. Wir neigen aber dazu, mehr in diesem Ansatz zu sehen, als nur den Fun. Uns beeindruckt die Komplexität der Aufgabe, also Werk und Wirkung immer gleichzeitig zu denken. Außerdem ist eben jenes Werk mehr als nur der Rahmen für die Selbstinzeninierung: Es ist Kunst für sich selbst.
Eigener Stil: Carstens Bilder haben eine individuelle Farb- und Formensprache. (Bilder: Carsten Mohr)
Zeitlose Kunst
Wer die Instagram-Accounts von Tanja und Carsten anschaut, bekommt ein gutes Gespür vom Vorgehen der beiden. Insbesondere Tanja gewährt über ihre Reels spannende Einblicke in die Entstehung ihrer Arbeiten. Schnell ist klar: Hier beobachtet man nicht etwa jemanden bei seinen ersten künstlerischen Gehversuchen - die Absolventin der Hochschule für Bildende Künste Dresden ist ein großes Talent. Carstens eigenen Werke sind auf seinem Kanal weniger präsent, dafür erhält man einen guten Einblick in seine Arbeit außerhalb des Ateliers.
Letzterer ist schon seit über 30 Jahren im Geschäft, Tanja dagegen erst 25 Jahre auf der Welt. In der gemeinsamen Ausstellung treffen nun also unterschiedliche Generationen aufeinander - und doch kann man ihre Ansätze nicht über das Alter unterscheiden, sondern allein über die Herangehensweise. So könnte man argumentieren, dass für das komplexe dreidimensionale Werk große Erfahrung nötig ist, für die fein gestalteten Bilder aber eine junge Hand. Dass es genau umgekehrt ist, überrascht angenehm. „Wir haben uns am Bremer Theater bei der Arbeit am Bühnenbild für die Oper 'Salome' kennengelernt“, erzählt Carsten. „Wir entstammen unterschiedlichen Generationen, aber unsere Herzen schlagen beide für die Kunst und die Bühne“.
DAS SPIEL MIT DEN DIMENSIONEN USE YOUR ILLUSION Es ist eine Kunst, ästhetische Bilder zu malen - es scheint aber parallel dazu eine weitere zu sein, sie dreidimensional zu denken und ihre Wirkung auf die Betrachter:innen mit einzubeziehen. Was Tanja Lê mit ihren Arbeiten gelingt, beeindruckt durch die hohe Detailgetreue - es fasziniert aber zusätzlich durch die Effekte, die sich durch die Dreidimensionalität ergeben. Wie kann es nur gelingen, diese beiden Facetten so gut miteinander zu kombinieren? Wer sich diesem Thema annähern und selbst erste Gehversuche unternehmen will, findet auf YouTube zahllose Tutorials. Dabei erzielt man freilich keine Ergebnisse wie Tanja, schließlich zeichnet man nur auf einem Blatt Papier anstatt raumfüllende Konstruktionen zu bauen. Doch man bekommt erste Eindrücke davon, dass Malerei anders gedacht werden muss, wenn man drei statt nur zwei Dimensionen bespielt - und wenn man die Betrachter:innen optisch täuschen möchte. Eine faszinierende Erfahrung - in der Ausstellung und auch zuhause. |
Echte Handarbeit
Keine Frage: Der immersive, interaktive Ansatz der Ausstellung ist voll auf der Höhe der Zeit. Selfies in einem Kunstwerk? Highly instagrammable. Nicht zuletzt deswegen gibt es in der Ausstellungslandschaft sogar einen echten Trend in diese Richtung. Dennoch ist „Lê and Mohr“ mehr als das. Hier reduziert sich die Immersion nicht auf die Projektion eines Kunstwerks, hier gibt es echte Handarbeit. „Es ist etwas Besonderes, Menschen direkt in dein Kunstwerk treten zu lassen, in diesem Fall in eine echte Malerei und keine KI-generierte Visualkunst aus Licht“, stellt auch Carsten fest. „Selbst ich alter Hase war vollkommen geflasht von Tanjas Werk.“
Wie würden nicht behaupten, dass die Kunstwelt im Raum auf Zeit aus den Angeln gehoben wird. Aber das ist weder das Ziel, noch ist es nötig. Der Ausstellung gelingt nämlich etwas anderes: Sie schafft einen innovativen Zugang zur Kunst. Der Besuch wird zu einer Erfahrung für alle Sinne - und nicht zuletzt für das eigene Gehirn. Denn das ist ausreichend damit beschäftigt, diese zutiefst ungewohnte Erfahrung einzuordnen und zu verarbeiten.
Klar: In Kunstwerke oder Filme einzutauchen wie die „Einsteiger“ - das bleibt ein Traum. In Oldenburg kommt man dieser Erfahrung dank Tanja Lê, Carsten Mohr und Raum auf Zeit nun aber so nah wie selten zuvor. Und dafür braucht es eben: Die Tiefe des Raums.
コメント