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KUNST AUF ZEIT

Eigentum ist eine feine Sache. Aber muss man tatsächlich immer alles besitzen? Was Kunst betrifft, lautet die Antwort überraschenderweise: Nein! Kunstsammler:innen mögen widersprechen, doch um ein Werk erfassen und genießen zu können, muss es nicht auf ewig uns gehören - sonst gäbe es ja auch keine Museen. Und genau deshalb ist die Artothek eine geniale Idee!


Das Kunstwerk Ethnicolor I von Sima Koocheki
Starke Bilder: Jedes einzelne Werk weiß auf seine Weise zu faszinieren - wie hier der Digitalprint „Ethnicolor I“ (Bild: Sima Koocheki)


Kunstwerke findet man in beinahe jedem Haushalt: Plakate hängen an der Wand, Platten stehen im Schrank, Bücher im Regal. All das ist Kunst, jedoch ohne die Besonderheit des Einzigartigen - und deshalb allzu häufig auch ohne die gebührende Wertschätzung.


Die ändert sich tatsächlich, wenn man sich ein Original ins Haus holt, also ein Werk an dem die/der Künstler:in direkt beteiligt war. Das Wissen um diese Besonderheit lässt uns anders auf das Werk schauen: bewusster, intensiver, ausführlicher. Plötzlich wird die Dekoration zum Raumsubjekt und fordert uns geradezu auf, sich mit ihm auseinanderzusetzen und darüber zu diskutieren. Das macht Kunst mit uns - und es ist ein wunderbarer Effekt. Es gibt jedoch einen Haken: Originale Kunstwerke sind teuer. Wie soll man die nur bezahlen?


 

ARTOTHEK: NEUE WERKE

MALEREI, GRAFIK, FOTOGRAFIE, SKULPTUR


8. FEBRUAR - 29 APRIL 2024

FÜHRUNGEN:

15. FEBRUAR, 7. MÄRZ, 4. APRIL, 25. APRIL


ARTOTHEK

26121 OLDENBURG


 

Einfach drauf einlassen


Die Antwort: Gar nicht! Nur wer Eigentum will, kommt zwar nicht darum herum, seine Schatulle zu öffnen. Wer aber damit leben kann, ein Werk nur auf Zeit zu besitzen, kann sich die große Ausgabe sparen. Deshalb ist es eine gute Nachricht, dass es in Oldenburg die größte Artothek Niedersachsens gibt - also eine Einrichtung, in der man Kunstwerke ausleihen und mit nach Hause nehmen kann. Die Wortverwandtschaft zur Bibliothek kommt nicht von ungefähr: Es ist dasselbe System, nur mit anderen Gegenständen.


Warum es weniger verbreitet ist, Bilder statt Bücher zu leihen? Vielleicht weil letztere einfacher zu transportieren sind - oder weil man denkt, von bildender Kunst weniger zu verstehen als vom geschriebenen Wort. Aber: Das spielt gar keine Rolle. Auch wenn es hier und da hilft, verlangt Kunst kein Vorwissen - ihr könnt euch einfach drauf einlassen. Und lasst euch auch von einem bildungsbürgerlichen Begriff wie „Artothek“ nicht abschrecken: Sprache kann Hürden auf- oder abbauen. Deshalb gehen mehr Menschen in eine Bücherei als in eine Bibliothek - obwohl beide Begriffe dasselbe meinen.



Eröffnung der Ausstellung „Neue Werke“ in der Kartothek Oldenburg
Viel zu zeigen, viel zu sehen: Bei der Pressekonferenz zur Eröffnung geriet Artothek-Leiterin Dr. Sabine Isensee ins Schwärmen - beobachtet von Butjathas schweigenden Soldaten. (Bild: Kulturschnack)


Weltstars an der Wand


Man hätte eigentlich genug damit zu tun, den Bestand der Artothek nach potenziellen Lieblingen zu durchforsten. Wollte man jedes der über zweitausend Werke den vollen Leih-Zeitraum von acht Wochen bei sich daheim genießen, bräuchte man rein rechnerisch dafür insgesamt 307 Jahre. Wir wagen die Prophezeiung: Das werden die wenigsten von uns schaffen.


Trotzdem ist die alljährliche Präsentation der Neuzugänge ein Ereignis für die Oldenburger Kunstszene, die Mitglieder der Artothek und die interessierte Öffentlichkeit. Noch während der Eröffnungsveranstaltungen werden die Werke reserviert, um sie nach der Ausstellung ins eigene Zuhause zu holen und ganz in Ruhe auf sich wirken zu lassen. „Die Ausstellung ist also gleich zum Start ausverkauft“, erklärt Dr. Steffen Wiegmann, Leiter des Stadtmuseums Oldenburg, mit einem Schmunzeln. Aber keine Sorge: Es gibt kein unwürdiges Wettrennen mit ausgefahrenen Ellenbogen - Wartelisten sorgen dafür, dass früher oder später jeder zu seinem Recht kommt.



Farbenfroh und wirkungsstark: Über mangelnde Vielfalt kann man sich bei der Bildauswahl nicht beschweren.


In diesem Jahr konnte Dr. Sabine Isensee 21 neue Werke von 16 Künstler:innen in den Bestand aufnehmen - unter ihnen einige echte Raritäten. Denn dieses Mal kommen sieben Werke aus einer Schenkung der Niedersächsischen Sparkassenstiftung hinzu. Unter ihnen: zwei Radierungen des Oldenburger Weltstars Thomas Schütte. Das klingt vermessen? Ganz und gar nicht: Anlässlich seines 70. Geburtstags wird Schütte nämlich ab September eine Retrospektive gewidmet - und zwar in einem der berühmtesten Kunsttempel der Welt, dem Museum of Modern Art in New York.


„Wir sind froh und stolz, die Artotheken in Niedersachsen fördern zu können“, berichtet Dr. Johannes Janssen von der Sparkassenstiftung. Sie beauftrage seit 21 Jahren regionale Künstler:innen, eine Edition für die Stiftung zu kreieren. Ihr gehe es aber nicht darum, Kunst zu sammeln, sondern sie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. „Da bringt es nichts, wenn die Werke in Magazinen liegen. Sie müssen raus ins Land.“ Neben den Museen gebe es dafür keine bessere Methode als die Artotheken.


Steffen Wiegmann denkt ebenfalls an die Entleiher:innen: „Die werden sich sehr darüber freuen. Solche Werke hätten wir uns sonst gar nicht leisten können.“ Dr. Sabine Isensee stimmt ihm zu. Die langjährige Leiterin der Artothek freut sich über die sieben Meisterwerke der Gegenwartskunst: „Wir wollen Menschen für die Kunst begeistern. Mit diesen Neuzugängen wird uns das gelingen.“



Die Radierung „Bunker“ des Oldenburger Künstlers Thomas Schütte.
Ein echter Schütte: Dr. Steffen Wiegmann, Dr. Sabine Isensee und Dr. Johannes Janssen freuen sich über diese Bereicherung. (Bild: Stadtmuseum Oldenburg)


Expedition in die Nachbarschaft


Aber wie entdeckt die Artothek eigentlich geeignete Werke für die stetig wachsende Sammlung, wenn gerade keine Stiftung hilft? „Der kürzeste Weg führt natürlich nach nebenan - zum BBK“, schmunzelt Sabine Isensee. Dort fündig zu werden, stellt den Idealfall dar, denn neben den praktischen Aspekten ist es zugleich lokale Künstler:innenförderung. Mitunter lässt die Kuratorin ihren Blick auch weiter schweifen: sie besucht regionale Ateliers und Künstler:innenvereinigungen. Das Ergebnis? Nicht etwa eine wahllose Sammlung künstlerischer Gehversuche, sondern eine bewusst und sorgfältig zusammengestellte Auswahl mit inhaltlichen Akzenten.


Die beiden Schütte-Werke stellen neue Glanzlichter dar, es gibt aber auch etliche ältere Kostbarkeiten. „Im Bestand sind auch Originale von Joseph Beuys“, berichtet die Leiterin der Artothek. Die gingen allerdings nicht mehr in die Ausleihe - zu wertvoll sind sie inzwischen. Dieses Beispiel zeigt jedoch das Potenzial der ganzen Angelegenheit: Denn das überschaubare Budget der Artothek motiviert zu einer Art Schatzsuche - durchaus mit Erfolg, wie die Vergangenheit vielfach zeigt.


KUNST AUS DER ARTOTHEK EINFACH AUSLEIHEN Die Vorteile der Kunst auf Zeit beschreiben wir im Text ausführlich. Aber wie geht das eigentlich? Wie funktioniert die Leihe, was muss ich beachten? Das erklären wir hier in aller Kürze.


Blick auf die Kunstwerke im Hauptraum der Artothek Oldenburg
Zweitausend Werke: In den Räumen der Artothek kann man stöbern wie auf einer Plattenbörse. (Bild: Artothek Oldenburg)

Einfach reingehen, aussuchen, mitnehmen? Die Ausleihe in der Artothek ist zwar fast so einfach wie es klingt, einige Dinge sind aber zu beachten. Bevor ihr euer erstes Kunstwerk auf Zeit aussuchen könnt, braucht ihr nämlich einen Mitgliedsausweis. Aber keine Sorge, der ist mit 20,- Euro günstiger als die meisten Kunstdrucke aus dem Online-Shop. Dafür könnt ihr jeweils drei Bilder oder eine Skulptur für den Zeitraum von acht Wochen ausleihen. Eine Verlängerung ist möglich, wenn das Kunstwerk noch nicht vorbestellt ist. Daneben gibt es eine Sorgfaltspflicht, aber die versteht sich fast von selbst. Ihr sollt für die Leihdauer nämlich Acht darauf geben, dass die Werke nicht beschädigt werden oder verloren gehen. Auch Sonnenlicht und Feuchtigkeit sollten vermieden werden. Aber ich vermute mal: Das kriegt ihr hin, oder? Super, dann steht dem ersten Original in euren vier Wänden eigentlich nichts mehr entgegen! Viel Spaß damit!


Kunst mit Kontext


Wärmstens zu empfehlen sind indes auch die vier Abendführungen durch die Ausstellung. Die Werke in den Räumen hängen - und in zwei Fällen: stehen - zu sehen, ist zwar auch ohne zusätzlichen Input ein ästhetischer Gewinn. Die Informationen durch die kundigen Führer:innen vergrößern ihn nicht nur, sie potenzieren ihn geradezu. Hinter beinahe allen Bildern verbergen sich spannende Geschichten, die es wert sind, erzählt und gehört zu werden - und die unsere Betrachtung der Bilder nochmals verändern.


„Spannend sind auch die Diskussionen, die vor den Bildern enstehen, erzählt Kunstvermittlerin Geraldine Dudek. „Wenn sich jemand zu einem Bild positiv oder negativ äußerst, gibt es in der Gruppe immer auch eine Gegenposition“, schildert sie eine spannende Konstellation. Während die einen von einem Werk begeistert seien, würden andere es sich niemals an die Wand hängen. „Dabei entstehen interessante Diskussionen über das Werk und seine Wirkung“, erzählt Geraldine - ohne dass man jemanden dazu ermuntern müsste. Womit bewiesen wäre, dass Kunst uns Impulse gibt.



Ein Blick in die Räumlichkeiten der Artothek Oldenburg
Neu und alt: Links im Bild einige der Neuzugänge, rechts ein Blick auf den großen Bestand. (Bild: Stadtmuseum Oldenburg)


Platz für Neues


Klar: Man kann sich auch großformatige Fotos vom letzten Urlaub an die Wand hängen oder ein altes Tourplakat der absoluten Lieblingsband. Auch Kunstdrucke berühmter Meisterwerke sind eine Option. Alles geht, nichts muss. Aber: Dank der Artothek können wir uns auch für ein originales Kunstwerk entscheiden. Wir müssen es nicht kaufen, sondern können es leihen, eine Weile mit ihm leben - um dann reibungslos Platz für etwas Neues zu schaffen.


Genau wie die Bibliotheken sind auch die Artotheken eine genial simple Idee. Der große Bestand in Oldenburg bietet beste Voraussetzungen, auf der Suche nach dem nächsten Lieblingsstück auch erfolgreich zu sein. Ganz nebenbei macht es einfach Spaß, durch die Bilder zu stöbern als wäre man auf einer Plattenbörse. Die aktuelle Ausstellung macht den Besuch der Artothek jetzt noch lohnenswerter. Geld für Bilder mag vielleicht nicht jeder haben - eine Wand aber schon.

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