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WAGNER WAGEN

Ab wann kann man eigentlich in die Oper? Genauer gefragt: Wie alt sollte man sein, um sich seine erste „Götterdämmerung“ von Richard Wagner anzusehen? Wir hatten keine Ahnung und haben es einfach versucht - mit einer sechsjährigen Testperson. Wie es lief? Eigentlich gut. Doch schon nach der ersten Viertelstunde dämmerte es uns: Das Ende erleben wir nicht.


Ein Kind schaut sich die Oper „Götterdämmerung“ im Staatstheater Oldenburg an
Stehplatz mit Aussicht: An der Perspektive lag es nicht, dass die Testperson den Saal vorzeitig verließ. (Bild: Kulturschnack)

Und eines vorwegzuschicken: Uns war völlig bewusst, dass dieser Opernabend ein Experiment sein würde, das misslingen musste. Zumindest dann, wenn man sich als Ziel setzen würde, das große Finale selbst mitzuerleben. Man muss selbst keine Kids zuhause haben, um zu ahnen:


Vier Stunden Oper - das ist ein Hauch zu viel.

In unserem Fall stellte sich heraus: Es sind drei Stunden und vierzig Minuten zu viel. Konnte in den ersten Minuten noch der Blick vom Stehplatz im 3. Rang direkt in den Orchestergraben begeistern und auch das rotierende Bühnenbild kurzzeitig fesseln, nutzte dieser Effekt leider recht schnell ab. Der Blick wanderte durchs Auditorium, die Augen studierten eine Weile die Deckenmalerei, bevor dann doch wieder die musikalischen Feinheiten der Oper im Mittelpunkt standen. Zumindest für einige Sekunden.


Einfach mal versuchen


Es ist kein Geheimnis: Kinder sind höchst unterschiedliche Charaktere. Was für die einen fantastisch ist, empfinden die anderen als Höchststrafe. Deswegen gibt es an dieser Stelle auch keine schlauen Tipps, wie man seine Kids in Kulturveranstaltungen kriegt.


Außer diesen einen: Einfach mal versuchen - ohne großen Druck, dass irgendwas klappen muss. Frei nach dem Motto: Ein bisschen ist besser als nichts. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. So hat unser Knirps im Alter von drei Wochen mal Nicolas Cage im Staatstheater gesehen. Der Abend dauerte für uns letztlich nur eine halbe Stunde, weil die immense Bedeutung des Momente für Säuglinge schwer einzuschätzen war. Wir haben es trotzdem genossen. Ihr wisst schon: besser als nichts.


Wie gesagt: Die Kids sind verschieden. Manche wird man auch dann nichts ins Theater kriegen, wenn man ihnen vollkommene Gestaltungsfreiheit überlässt. Für andere könnte die mentale Flexibilität aber genau das Richtige sein. Einfach mal versuchen!


Konkurrenz durch Lego


Woran es lag, dass die Kondition am Ende nicht „ganz“ reichte? Schwer zu sagen. Vielleicht waren es zu wenig Turm Sahne-Bonbons beim nachmittäglichen Kramermarkts-Umzug? Sie hätten die entscheidenen Kohlenhydrate liefern können. Oder war es ein kurzer Gedanke an den riesigen Lego-Fuhrpark, der zuhause auf die Testperson wartete?


Gegen Ninjago hat es eben auch der Ring-Zyklus von Richard Wagner schwer.

Am wahrscheinlichsten ist aber das (fehlende) Textverständnis. Das war schon vorab als Sollbruchstelle zu erkennen und erwies sich letztlich als eben jene. Wenn man den Gesang nicht verstehen, die Übertitel nicht lesen und die Eltern nicht fragen kann - dann stehen eben nur einige Personen auf einer Bühne. Das reicht für zwanzig Minuten, aber nicht für einen ganzen Abend. Zumindest dann, wenn die sechsjährige Musikkarriere bisher Lieblingssongs wie diesen oder diesen hervorgebracht hat.


Szene aus der „Götterdämmerung“ am Staatstheater in Oldenburg
Bedingt kindkompatibel: Nicht jede Szene war für Sechsjährige zu dechiffrieren (Bild: Stephan Walzl)

Trotzdem „ganz gut“


Natürlich war der Wagner-Abend ein Wagnis - aber es war bewusst gewählt. Die Schätzungen zu unserer wahrscheinlichen Aufenthaltsdauer bewegten sich im Vorfeld zwischen realistischen zehn Minuten und einer optimistischen halben Stunde. Mehr konnten wir uns nicht vorstellen - und damit lagen wir nicht ganz falsch.


War der Abend - falls man so ein großes Wort für so eine kurze Zeit verwenden will - deshalb ein Reinfall? Absolut nicht! Dabei zu sein wenn ein Kind das Große Haus entdeckt und wenn es versucht, das Besondere an einer Oper zu erfassen, ist einfach ein bewegend, ganz egal wie es ausgeht.


Und das Urteil der Testperson? „Die Musik war schön, aber der Gesang ganz schön laut.“ Auch die Elemente des Bühnenbildes erschlossen sich nicht voll und ganz. Als Gesamtnote gab es trotzdem ein „Ganz gut“ - und das ist nicht anderes als ein großes Kompliment an alle Beteiligten. Keine Frage: Wir kommen wieder. Mal sehen, wie lange.

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