Wir alle lesen. Wir scrollen durch Newsfeeds und Liveticker, wir scannen Mails und Messages, wir überfliegen Content und Captions. Doch Lesen kann noch viel mehr sein. Ein wahres Erlebnis wird es, wenn Autor:innen ihre Werke live vortragen, mit Anekdoten und Hintergründen anreichern und mit dem Publikum in den Austausch gehen, In Oldenburg gibt es eine Institutionen für solche magischen Momente: Das Literaturhaus.
Gewohnheiten haben ihre Tücken. Manchmal übersehen wir nämlich das Wichtigste in unserem Leben, weil es schlicht zu normal geworden ist, um es als besonders wahrzunehmen. Ein wenig gilt dieses Prinzip auch für das Literaturhaus Oldenburg. Jahr für Jahr konzipiert Monika Eden mit ihrem kleinen Team ein attraktives Lesungs-Programm, das auch in wesentlich größeren Städten für Furore sorgen würde- das hier in Oldenburg aber als beinahe selbstverständlich begriffen wird.
Dabei ist es genau das nicht. Dass wir hier immer wieder eine überaus spannende, stets hochwertige Mischung aus großen Namen und neuen Stars erleben dürfen, ist beileibe kein Automatismus. Dahinter steckt akribische Arbeit, reger Austausch mit Verlagen, Agent:innen und Autor:innen sowie: viele, viele Lesestunden. Für Monika Eden ist nicht entscheidend, wie viele Follower:innen jemand auf Instagram hat, ob ein Buch gerade bei TikTok trendet oder wann sich ein:e Schriftsteller:in öffentlichkeitswirksam zu Themen der Zeitgeschichte äußert. Sie geht nach der literarischen Qualität. Und diese klare Prämisse ist es, die Lesungen des Literaturhauses stets zu einem Erlebnis macht.
Starke Mischung
Das ist im Herbst 2024 nicht anders als sonst. Erneut hat das Literaturhaus sowohl anerkannte Größen der Literaturszene wie Saša Stanišić oder Iris Wolff, aber auch etwas weniger bekannte Schriftsteller:innen wie Thea Mengeler oder Valerie Fritsch für Oldenburg gewonnen. Alle bringen hochgelobte aktuelle Werke mit - und versprechen spannende, bewegende, unterhaltsame Abende im PFL oder Wilhelm13. Das ist: Literatur live!
27. AUGUST, 19.30 UHR
IRIS WOLFF: „LICHTUNGEN“
MODERATION: SILKE BEHL
Zwischen Lev und Kato besteht seit ihren Kindertagen eine besondere Verbindung. Doch die Öffnung der europäischen Grenzen weitet ihre Lebensentwürfe und verändert ihre Beziehung für immer. Voller Schönheit und Hingabe erzählt Iris Wolff in ihrem großen neuen Roman von zeitloser Freundschaft und davon, was es braucht, um sich von den Prägungen der eigenen Herkunft zu lösen. Denis Scheck vom WDR 3 ist begeistert:
»Dieser Roman lebt von einer unglaublich zärtlichen Sprache, die einem unter die Haut geht. Das ist ein ganz großes literarisches Kunstwerk. […] Das Literaturjahr 2024 beginnt mit Iris Wolffs ›Lichtungen‹ wirklich mit einem Paukenschlag.«
Iris Wolff, geboren in Hermannstadt, Siebenbürgen, wurde für ihr literarisches Schaffen mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, darunter mit dem Marieluise-Fleißer-Preis und dem Marie Luise Kaschnitz-Preis für ihr Gesamtwerk. Zuletzt erschien 2020 der Roman Die Unschärfe der Welt, der unter anderem mit dem Preis der LiteraTour Nord ausgezeichnet wurde. 2021 war sie Landgang-Stipendiatin des Oldenburger Literaturhauses.
4. SEPTEMBER, 19.30 UHR
SASA STANISIC: „MÖCHTE DIE WITWE...“
MODERATION: MONIKA EDEN
Was wäre, wenn man nicht diese eine Entscheidung getroffen hätte, sondern jene andere? Was wäre, hätte man der Erwartung getrotzt? Und dann ist da trotzdem die Furcht, feige gewesen zu sein, zu lange gezögert und etwas verpasst zu haben, ein besseres Ich, ein größeres Glück, die lustigeren Haustiere und Partner. Saša Stanišić führt uns an Orte, an denen das auf einmal möglich ist: den schwierigeren Weg zu gehen, eine unübliche Wahl zu treffen oder die eine gute Lüge auszusprechen. Am besten wäre ja, man könnte ein Leben probeweise erfahren, bevor man es wirklich lebt. Marie Schmidt von der Süddeutschen Zeitung sieht es so:
„Experimentell und komisch verbindet Saša Stanišić zwölf Geschichten über Träume und Schicksal zu einem Buch, das sich jeder Festlegung entzieht.“
Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad (damals: Jugoslawien) geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Seine Erzählungen und Romane wurden in über 30 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Saša Stanišić erhielt unter anderem den Preis der Leipziger Buchmesse für Vor dem Fest und für Herkunft den Deutschen Buchpreis. Er lebt und arbeitet in Hamburg.
10. SEPTEMBER, 19.30 UHR
DAVID WAGNER: „VERKIN“
GESPRÄCH: SABINE KYORA
Verkin ist um die siebzig, Türkin und Armenierin, Kosmopolitin, Unternehmerin, Politikerin. David ist Mitte vierzig, ein Schriftsteller aus Berlin, aufgewachsen am Rhein. Die beiden spazieren durch Istanbul und reisen quer durch Anatolien, an die lykische Küste, zum Vansee nahe der iranischen Grenze. Verkin erzählt dabei von ihrer Kindheit am Bosporus, von ihren Großmüttern, die 1915 den Genozid überlebten. Vom Vater, der den größten Elektrokonzern der Türkei aufbaute. Von Schweizer Internatsjahren, Paris 1968 und lukrativen DDR-Geschäften im geteilten Berlin. Von berühmten New Yorker Künstlerkreisen in den siebziger Jahren, von ihren Ehemännern, darunter ein Deutscher. Von einem Unfall, der sie auf eine zehn Jahre dauernde Odyssee schickte. Von ihrem Kampf für die armenische Sache und ihrer politischen Arbeit in der AKP. Von einem Land, von einem Leben voller Widersprüche. SPIEGEL-Redakteur Arno Frank fühlte sich bestens unterhalten:
„Beim Lesen fühlt man sich angenehm beschwipst und an Filme wie 'Forrest Gump' erinnert, so turbulent purzelt diese Heldin durch die Zeitgeschichte.“
David Wagner, 1971 geboren, wurde 2013 für sein Buch Leben mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, 2014 erhielt er den Kranichsteiner Literaturpreis und war erster Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessor für Weltliteratur an der Universität Bern. Der vergessliche Riese brachte ihm 2019 den Bayerischen Buchpreis. Im Jahr 2022 war er - wie zuvor Iris Wolff - Landgang-Stipendiat des Oldenburger Literaturhauses.
18. SEPTEMBER, 19.30 UHR
RHASA KHAYAT: „ICH KOMME NICHT ZURÜCK“
GESPRÄCH: HENRIETTE DYCKERHOFF
Hanna, Zeyna und Cem verbindet eine leuchtende Freundschaft, die in einem Sommer in den späten Achtzigerjahren ihren Anfang nimmt. Gemeinsam wachsen sie in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet auf, bilden eine Wahlfamilie, in der Herkunft keine Rolle spielt. Doch je älter die Kinder werden, umso klarer treten die Unterschiede zwischen ihnen hervor. Mit dem 11. September 2001 wird ihre Freundschaft endgültig vor eine Zerreißprobe gestellt, bis sich die Risse zwischen Hanna und Zeyna zum Bruch ausweiten. Jahre später kehrt Hanna zurück in die alte Heimat, in die Wohnung ihrer verstorbenen Großeltern. Cem, ihr Fels, ist immer noch da, aber Zeyna schon seit Jahren aus ihrem Leben verschwunden. Hanna begibt sich auf die Suche nach Zeyna, nach Spuren ihrer Geschichte, nach dem, was damals zwischen sie fiel. Schriftstellerin Daniela Dröscher ist der Meinung:
„Dieses Buch ist wie eine ausgestreckte Hand. Ein traurigschöner Protest gegen all das, was Menschen trennt, statt zu verbinden.“
Rasha Khayat, 1978 in Dortmund geboren, wuchs in Jeddah, Saudi-Arabien, auf. Als sie elf war, siedelte ihre Familie nach Deutschland zurück. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaften, Germanistik und Philosophie in Bonn. Seit 2005 arbeitet sie als freie Autorin, Übersetzerin und Dozentin. 2016 erschien ihr Debüt Weil wir längst woanders sind. Seit 2022 hostet sie den feministischen Literaturpodcast Fempire – der Podcast über Frauen, die schreiben.
1. OKTOBER, 19.30 UHR
THEA MENGELER: „NACH DEN FÄHREN“
GESPRÄCH: JOCHEN SCHIMMANG
Auf einer vormals beliebten Urlaubsinsel bleiben mit einem Male die Fähren aus und mit ihnen die Urlauber. Das Leben kommt zum Stillstand, die meisten Bewohner verlassen die Insel, nur ein paar wenige harren aus. Hoffend auf eine Rückkehr der Fähren und isoliert voneinander gehen sie den immer gleichen Tätigkeiten nach. Das Leben dieser Übriggebliebenen ändert sich erst, als auf unerklärliche Weise ein Mädchen im Sommerpalast erscheint und die Nähe zu dem ehemaligen Hausmeister sucht. Ihre Fragen nach seiner Vergangenheit und nach der Insel führen zu einem Umbruch, der auch dann nicht mehr aufzuhalten ist, als sie so plötzlich verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. Mehr und mehr verweben sich die Geschichten der Figuren, die beginnen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen – und mit der Frage, ob eine Rückkehr der Fähren überhaupt wünschenswert ist. Jürgen Deppe vom NDR ist begeistert:
„Wie Thea Mengeler Worte für die Fragen nach dem Sinn des Seins findet, ist atemberaubend: so karg und schön wie die Insel, die aus ihren Worten entsteht. So still, so klug, so kunstvoll. Eine nahezu perfekte Allegorie auf das Leben.“
Thea Mengeler, 1988 geboren und in Krefeld aufgewachsen, studierte Literarisches Schreiben und Kommunikationsdesign in Hildesheim, Kiel und Istanbul. Sie war Finalistin beim 28. open mike sowie Styria Artist in Residence 2022. Aktuell lebt sie als freiberufliche Autorin und Texterin in Hannover. 2022 veröffentlichte sie ihr Debüt connect.
27. OKTOBER, 11 UHR
VALERIE FRITSCH: „ZITRONEN“
MODERATION: SABINE KYORA
August Drach wächst in einem Haus am Dorfrand auf, das Hölle und Paradies zugleich ist. Der Vater, von sich und dem Leben enttäuscht, misshandelt seinen Sohn, Zärtlichkeit hat er nur für die Hunde übrig. Trost findet August bei seiner Mutter, die ihn liebevoll umsorgt. Doch als der Vater die Familie verlässt, verwandelt sich die Zuwendung der Mutter. Sie mischt August heimlich Medikamente ins Essen. Sie schwächt das Kind und macht es krank; von seiner Pflege verspricht sie sich Aufmerksamkeit und Bewunderung. Erst Jahre später gelingt es August, sich aus den Fängen der Mutter zu befreien, ein unabhängiges Leben zu führen, erste Liebe zu erfahren. Doch wie lernt ein erwachsener Mensch, das Rätsel einer Kindheit zu lösen, in der Grausamkeit und Liebe untrennbar zusammen-gehören? Voll des Lobes für das Buch ist Richard Mayr von der Augsburger Allgemeinen:
„Die Schriftstellerin knüpft auf den 180 Seiten ein dichtes, belastbares Gewebe. Sie findet dazu auch eine Sprache, die von starken Bildern lebt, ohne dabei je hier ins Selbstverliebte oder dort ins Kitschige abzurutschen, kurzum: eine Empfehlung.“
Valerie Fritsch, geboren 1989, lebt als freie Autorin in Wien und Graz. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2015 wurde sie mit dem Kelag-Preis und dem Publikumspreis ausgezeichnet. 2020 erhielt sie den Brüder-Grimm-Preis für Literatur.
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