Jugendtheater? Das ist doch nur für Jugendliche! Sätze wie diese hört man immer wieder, wenn junge Menschen auf der Bühne stehen. Die häufige Wiederholung macht die Aussage aber nicht richtiger, denn sie greift viel zu kurz. Am besten macht man sich selbst ein Bild, denn dafür gibt es jetzt die ideale Gelegenheit: Die Jugendtheatertage 2023!
Ein Theaterbesuch ist immer etwas Besonderes: Selbst bei routinierten Abonnent:innen macht sich eine nervöse Spannung breit, sobald die Füße das Foyer betreten. Das hat einerseits mit dem speziellen Ambiente zu tun, das klar signalisiert: Hier lässt man den Alltag hinter sich. Andererseits liegt es aber auch an dem Ereignis selbst: Was man zu sehen bekommt und wie es einem gefällt? Das weiß man erst, wenn der Vorhang sich hebt.
Dieses Gefühl einer positiven Ungewissheit gilt genau so auch für das Jugendtheater - und dort sogar noch mehr. Denn zu den erwähnten Fragen nach dem „Was“ und dem „Wie“ kommen weitere hinzu: Wer steht auf der Bühne? Was machen sie anders? Und wird es funktionieren? Die Antworten darauf sind dreierlei: spannend - lehrreich - unterhaltsam.
JUGENDTHEATERTAGE 2023: FESTIVAL FÜR JUNGES THEATER
24. JUNI - 2. JULI 2023
MONTAG-FREITAG
18 UND 20.30 UHR
SAMSTAG-SONNTAG
17.30 UND 20 UHR
EXHALLE AM PFERDEMARKT
JOHANNISSTRAßE 6, 26121 OLDENBURG
INTERNATIONALES JUGENDPROJEKTEHAUS
WEIßE ROSE 1, 26123 OLDENBURG PROGRAMM ZUM DOWNLOAD
Zwischen Glitzer und Gewitter
Dieser Dreiklang tritt nirgendwo deutlicher zutage als bei den Oldenburger Jugendtheatertagen. Neun Tage lang zeigen Theatergruppen aus der ganzen Stadt mit Beteiligten im Alter zwischen 13 und 26 Jahren ihre aktuellen Inszenierungen. Die Website verspricht „Bühnendurst, Rampenlicht, Kostümschlachten, Nervenflatter, Premierenglitzer, Applausgewitter, Sommernächte, Workshopkater, Theaterleben“ und liegt damit erfahrungsgemäß goldrichtig.
Diese Aufzählung widmet sich in erster Linie den beteiligten Jugendlichen und übernimmt ihre Perspektive. Für das Publikum würde man eventuell andere Begriffe wählen, aber sie wären genauso positiv besetzt. Denn was die Jugendlichen auf der Bühne fühlen, übertragen sie direkt an die Zuschauer:innen im Saal. Deshalb gehört Jugendtheater zu den authentischen, unverfälschtesten Kulturerlebnissen der Gegenwart - das spürt man auch, wenn man „nur“ ein:e Beobachter:in ist.
Enorm vielfältig: Das Programm der Jugendtheatertage deckt inhaltlich und performativ eine große Bandbreite ab.
Aber was genau ist eigentlich das Faszinierende daran? Und hat es eine Bedeutung für Menschen jenseits der 26? Pünktlich zur Festival-Halbzeit haben wir uns darüber mit Hanna Puka unterhalten. Sie leitet die Theatervermittlung am Oldenburgischen Staatstheater und ist in dieser Funktion auch verantwortlich für die Jugendclubs, Gemeinsam mit zehn weiteren Theatermacher:innen organisiert Hanna auch die
Jugendtheatertage.
Halbzeit für die Jugendtheatertage: Vier Tage liegen hinter uns, vier liegen noch vor uns. Wie war es bisher, Hanna?
Wir sind am Samstag mit einer tollen Eröffnungsfeier super in das Festival gestartet. Begleitet würde das von der Modern Jazz Band Kartoffelkoffer, die beim Stück „Kein Auge zu“ sogar Teil der Inszenierung ist. Im Anschluss gab es mit „Julia und Romeo“ und „Ich verschlafe meine Sonntage“ gleich zwei wunderbare Stücke zu ganz aktuellen Themen. Alle Beteiligten hatten spürbare Lust, ihre Werke vorzustellen und der Funke ist auch direkt auf das Publikum übergesprungen.
Dieser positive Eindruck ist danach geblieben. Fast alle Vorstellungen waren bisher ausverkauft. Unter den Gästen war von echten Fans, die jede Aufführung mitnehmen, bis zu Gelegenheitsbesucher:innen alles dabei. Am wichtigsten waren aber vielleicht die Reaktionen auf die Stücke - und die waren hervorragend!
QUICK FACTS JUGENDTHEATERTAGE 2023 Die Jugendtheatertage sind ein Kooperationsprojekt des Theaterpädagogischen Netzwerks Oldenburg (Verein Jugendkulturarbeit, Oldenburgisches Staatstheater, dem Evangelischen Bildungshaus Rastede) mit der Oldenburgischen Landschaft und stehen unter der Schirmherrschaft des Präventionsrates der Stadt Oldenburg (PRO). Die Leitung und Organisation haben Lina Joost-Krüger, Hanna Puka, Peter Rech, und Nora Hecker vom Oldenburgisches Staatstheater, Jörg Kowollik, Bodo Rode und Verena Schweicher vom Verein Jugendkulturarbeit, Uwe Fischer vom Ev. Bildungshaus Rastede, die beiden FSJlerinnen Lotta Müser und Jasmin Bagher Tehrani und der Praktikant Luan Wichmann übernommen. Folgende Gruppen sind in diesem Jahr dabei:
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Was kann man sich unter Jugendtheater eigentlich vorstellen? Was macht es besonders?
Nehmen wir nochmal das Beispiel Julia und Romeo. Dabei handelt es sich um eine Kooperation zwischen einem Jugendclub des Staatstheaters und der Helene-Lange-Schule, Viele der beteiligten Jugendliche standen zum allerersten Mal überhaupt auf der Bühne und hatten sprachlich noch gar kein ausgeprägtes Bewusstsein für diese Situation. Deswegen gab es einen beinahe privaten Duktus. Dadurch ist eine ganz neue Energie entstanden und man hatte das Gefühl, man wäre ganz nah dran an den Jugendlichen.
Die Gruppe hat wirklich eine tolle Fassung von Julia und Romeo geschrieben und die Reihenfolge im Titel dabei auch bewusst umgedreht. Sie haben das Thema in ihren Alltag reingeholt und ihre eigenen Probleme eingebracht. Das sollte man unbedingt mal gesehen haben, Gelegenheiten dazu gibt es noch am Sonntag, 2. Juli, und 17.30 Uhr, am Montag, 3. Juli, und 11 Uhr und am Mittwoch, 5. Juli, um 18 Uhr.
Ein Projekt von Hanna selbst: „Die Troer:innen“ sind ebenfalls im Rahmen der Jugendtheatertage zu sehen. (Video: Oldenburgisches Staatstheater)
Auch das Stück des zweiten Jugendclubs, „Ich verschlafe meine Sonntage“, geht in diese Richtung. Es wurde von der Gruppe selber geschrieben und es wirft den Blick der Generation Z auf ihr Verhältnis zum Smartphone. Man denkt ja immer, die Jüngeren wären voll darin versunken, aber sie waren tatsächlich sehr (selbst-)kritisch. Zu Beginn des Stücks geben sie ihre Smartphones ab und spielen mit der digitalen Abstinenz. Das ist dann beinahe schon ein Detox-Abend. Auch dieses Stück wird man am Sonntag, Dienstag und Mittwoch noch sehen können.
Es ist also nicht so, dass die Jugendlichen ein vorgefertigtes Stück bekommen, sondern die Stoffe werden auch von ihnen erarbeitet und geschrieben?
Genau. Innerhalb der Gruppe werden viele Texte reingegeben und dann zusammengebracht zu einem Ganzen und weiter bearbeitet. Im zweiten Beispiel wurde sogar die Leitung von unserer FSJ'lerin Lotta Müser übernommen, die kaum älter ist als die jungen Schauspieler:innen. Das gesamte Stück ist also gewissermaßen aus der Hand einer Generation. Und die Texte sind wirklich sehr gelungen, wie man an diesem Beispiel gut erkennen kann:
„Ich habe Weltschmerz seit der Minute, in der ich angefangen habe zu bemerken, auf was für einer Welt ich lebe. Warum hat Rainer Ü50 das Recht dazu, mehr über die Welt zu bestimmen als meine Generation, die gerade wirklich etwas verändern will? Ja ok, ich weiß: weil es immer nur um Geld geht und Rainer sowieso bald seine Rente hat und ihm das alles am Arsch vorbei geht. Früher wollte ich immer Kinder und eine große Zukunft mit viel reisen, heute fällt es mir schwer, über die Zukunft überhaupt nachzudenken. Gibt es eine Zukunft? Rainer, wie dünn soll das Eis noch werden?“
Man merkt schon; Nach Highlights braucht man nicht zu fragen, eigentlich ist jedes Stück eines.
Man kann die auch nicht vergleichen. Das fände ich total falsch. Jede Gruppe hat eine bestimmte Perspektive, die sie reinbringt, und eine bestimmte Zusammensetzung an Leuten, Die sind manchmal jünger, manchmal etwas älter und dadurch ergeben sich auch verschiedene Möglichkeiten. Am Ende stehen ganz unterschiedliche Ergebnisse und Schattierungen.
Vielleicht gibt es aber rote Fäden. Was ist denn das Besondere am Jugendtheater, inwiefern unterscheidet es sich vom „erwachsenen“ Theater?
Zunächst sind da natürlich die Themen, die auf der Bühne verhandelt werden und häufig in Zusammenhang mit dem Alter stehen. Da geht es oft um Identitätssuche und um die Frage „Wer bin ich?“ oder um Konstellationen wie „Ich und die Gesellschaft“ oder „Ich und die Welt“. Thema sind aber häufig auch politische und gesellschaftliche Entwicklungen wie etwa der Klimawandel oder psychische Probleme. Klaas Schramm hat mit seiner Gruppe zum Beispiel Suizid und Depressionen auseinandergesetzt. Das sind alles Themen, die in unserer Gesellschaft sehr präsent sind und die unsere Jugend sehr betreffen - die aber auch für Ältere eine Rolle speilen.
Eine Besonderheit ist aber natürlich auch die Tatsache, dass es für die jungen Schauspieler:innen nicht ihr Job ist. Sie geben in ihre Rolle wirklich alles rein. Es gibt nur ein bis vier Vorstellungen eines Stücks und nicht etwa dreißig. Es ist eine sehr komprimierte Form des Theaters und sie wollen gern alles von sich zeigen. Das ist wirklich toll.
Wenn jetzt trotzdem ein Erwachsener sagen würde „Jugendtheater, das geht mich nichts an, das verstehe ich gar nicht“, was würdest du dem sagen?
Ich würde jedem empfehlen, einfach mal zu kommen - auch wenn man keine Kinder hat, die im Jugendalter sind, oder sich von den Themen weit entfernt fühlt. Bei einem Besuch bekommt man ein gutes Gefühl dafür, was gerade wichtig ist für die Jugendlichen und wo es für sie hingehen kann. Das ist auch gesellschaftlich hoch interessant, denn man schaut damit mal über seinen Tellerrand und hört, was jüngere Menschen hier in der Stadt denken. Die Jugendlichen, die hier auftreten, sind wirklich sehr engagiert, sie haben etwas zu erzählen - und das lohnt sich zu hören und zu sehen,
Und die Jugendlichen selbst? Was haben sie vom Theaterspielen? Erkennst du da Entwicklungen?
Ja, auf ganz vielfältige Weise. Jeder einzelne nimmt etwas anderes mit und es zeigt sich anders. Ganz viele entdecken sich plötzlich neu - nicht unbedingt bei der Premiere, sondern im gesamten Probenprozess. Die Aufführung vor anderen gibt zwar nochmal einen besonderen Kick, aber die Faszination ist für viele, dass sie entdecken können, wie viele verschiedene Seiten sie in sich tragen. Sie können auch mal ihr Innenleben zeigen, das ja auch gelitten hat während der Pandemie, weil sie vieles nicht ausleben und Erfahrungen nicht machen konnten.
Für manche ist das Jugendtheater übrigens auch ein Sprungbrett zu einer Schauspielkarriere, In den letzten zwei Jahren sind aus den Gruppen des Staatstheaters vier Jugendliche an die Schauspielschule gegangen. Das ist eine sehr hohe Quote, denn pro Jahrgang gibt es immer fünf Clubs mit zehn bis achtzehn Mitgliedern, insgesamt also etwa 70 bis 75 Jugendliche.
Ebenfalls sehenswert: „Der Tag, an dem RD fast gerettet wurde“ vom Jugendtheater Rollentausch. Mehr dazu findet ihr hier!
Bestimmt haben hast du mit deinen Antworten bei einigen das Interesse am Jugendtheater geweckt. Wenn sich jemand nur ein einziges Stück anschauen wollte, welches würdest du empfehlen?
Ein einziges?? Das geht ganz und gar nicht. (lacht) Da muss man schon mehr anschauen, sonst gibt es kein vollständiges Bild. Noch gibt es Gelegenheiten, ich kann das nur empfehlen!
Auf die Probe gestellt
Nach dem Interview mit Hanna haben wir ihre Aussagen natürlich überprüft und uns das Stück „Kein Auge zu“ der Theatergruppe imTransit in der restlos ausverkauften Exerzierhalle angesehen. Die mitreißende Kombination aus Schauspiel, Tanz und Musik bestätigte all die Dinge, die Hanna nannte: Thematisch beschäftigte es sich mit jenen Dingen, die junge Menschen in ihren Träumen beschäftigen oder ganz vom Schlafen abhalten. Von ungünstig arrangierten Stühlen und Spiegeln bis zu Selbstzweifel und Weltschmerz reichte die Bandbreite der Gedanken, die dafür sorgten, dass auch während der Vorstellung „kein Auge zu“ blieb.
Die Blicke in die Köpfe der jungen Protagonist:innen waren für die jüngeren Gäste im Publikum starke Anknüpfungspunkte, für die älteren boten sie spannende Einblicke. Hier und da stellte man sogar fest, dass sich die Lebensrealitäten zwischen Jung und Alt manchmal weniger unterscheiden als man denkt.
Ebenso überzeugend waren aber die performativen Leistungen aller Beteiligten. Die Band Kartoffelkoffer sorgte für weit mehr als eine musikalische Begleitung, die jungen Schauspieler:innen tanzten und agierten überraschend professionell - und im Ergebnis entstand ein bewegender Abend, der den eingangs erwähnten Dreiklang mühelos erfüllte, denn er war spannend - lehrreich - unterhaltsam.
Einmal mehr wurde also klar, warum ein Theaterbesuch immer etwas Besonderes ist und warum das Gefühl einer positiven Ungewissheit beim Jugendtheater noch ausgeprägter ist als sonst. Und eine weitere Erkenntnis kristallisierte sich heraus: Jugendtheater? Das ist doch nicht nur für Jugendliche!
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