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JANSSEN TRIFFT LYNCH

Was niemals passierte, wird jetzt dennoch wahr: Horst Janssen trifft David Lynch. Der Regisseur und Drehbuchautor aus L.A. wurde durch seine surrealen Filme mit bedrohlichen Stimmungen zur Kino-Legende. Surreal? Bedrohlich? Das sind Attribute, die manche auch Janssens Werken zuschreiben würden. Was weniger bekannt ist: Lynch ist auch als Maler aktiv - und in diesem Bereich zeigen sich noch mehr Parallelen.


Zwei Köpfe, viele Gemeinsamkeiten: Horst Janssen und David Lynch eint ihr Faible für das „Uncanny“, das Unheimliche. (Bilder: Horst Eick, Josh Telles)

Manchmal muss man einfach Glück haben. So präzise man Kunst-Ausstellungen normalerweise auch vorausplant, so sehr kann es manchmal auch helfen, wenn etwas vollkommen Unvorhergesehenes passiert. Denn mitunter braucht es gerade diesen überraschenden Umstand der Flüchtigkeit, um etwas Besonderes entstehen zu lassen.


Und „besonders“ ist die neue Ausstellung im Horst Janssen-Museum in der Tat. „My House is on Fire“ vereint mit Janssen und Kult-Regisseur David Lynch zwei geniale Künstler, die sich zwar nie begegnet sind, die aber dennoch spannende Gemeinsamkeiten aufweisen. Welche das sind? Wie diese Verbindung überhaupt entdeckt wurde? Und warum dabei der Zufall half? Das lest ihr hier!


 

HORST-JANSSEN-MUSEUM


MY HOUSE IS ON FIRE

DAVID LYNCH | HORST JANSSEN


9. NOVEMBER 2024 BIS 16. FEBRUAR 2025


DI-SO 10-18 UHR


HORST-JANSSEN-MUSEUM

26122 OLDENBURG


 

Magic Moment im Magazin


Die Vorgeschichte dieser Ausstellung beginnt im Februar. Damals startete Alice Gericke ihr Stipendium am Horst-Janssen-Museum. Und sie brachte Wissen mit, das anfangs auch sie selbst nicht für relevant hielt, das eines Tages aber große Bedeutung bekam. Denn während ihres Studiums an der HfK Bremen hatte sich die gebürtige Berlinerin ausführlich mit dem Werk von David Lynch auseinandergesetzt. Und das bestand keineswegs nur aus seinen bekannten Hollywood-Filmen wie „Wild at Heart“ oder „Blue Velvet“, sondern auch einem üppigen Oeuvre an Bildender Kunst.


Seit Februar Stipendiatin des Horst-Janssen-Museums: Alice Gericke. (Bild: privat)

Als Alice eines Tages im Magazin des Museums stöberte und sich dem Gesamtphänomen Horst Janssen weiter annäherte, drängte sich ein Gedanke auf. Manche Arbeiten erinnerten sie nicht nur ganz grob an das, was sie im Studium von Lynch gesehen hatte - es bestanden sogar auffällige Parallelen. „Wenn man den Stift führt, sollte man wissen, was man tut“, erklärt die Zeichnerin. „Janssen aber schweift ab, verliert seine Motive immer wieder aus den Augen. Dieses Phänomen kannte ich von David Lynch.“


Beide Künstler einte zudem das Faible für das Surreale, Unbequeme und Unheimliche, sie schienen auf ähnliche Weise an ihre Materien heranzugehen, interessierten sich für dieselben Fragestellungen und Thematiken, transportierten beinahe identische Stimmungen. Das ist umso erstaunlicher, weil sich der Grafiker aus Norddeutschland und der weltberühmte Filmemacher aus Los Angeles nicht kannten, keine biographischen Überschneidungen hatten und vielleicht nicht einmal von der Existenz des jeweils anderen wussten. Da drängte sich die Frage auf: Sollte man das nicht vielleicht mal in einer Ausstellung thematisieren?



Über Paris nach Los Angeles


„Man sollte“, fand Museumsleiterin Dr. Jutta Moster-Hoos. „Wir konnten Alice in ihrer Einschätzung nur zustimmen und waren ganz fasziniert davon“. So begab sich die Stipendiatin auf die Suche nach Werken von Lynch - und landete bei der Pariser Druckerei-Werkstatt IDEM, zu deren Kunden bereits Picasso, Matisse und Chagall zählten. Dort konnten 36 Drucke für die Ausstellung entliehen werden, so viel wie nie zuvor bei einer Lynch-Ausstellung in Deutschland. Zusammen mit den Beiträgen von Horst Janssen sind rund 60 Werke zu sehen.


Verblüffende Ähnlichkeiten: Links Lynch mit „Head on Stage“ (Bild: David Lynch - Item Éditions, Paris), rechts Janssen mit „Auch von Paul gelernt“ (Bild: VG Bild-Kunst, Bonn)


Und mehr noch: Der Druckerei-Chef konnte sogar einen Kontakt zu David Lynch selbst herstellen. „Nach einigen aufregenden Wochen der Bedenkzeit gab er schließlich sein ‘Okay‘ für die Ausstellung“, freut sich Alice noch heute. Zumal dieses Placet nicht aus einer Laune heraus entstand, Lynch hat sich intensiv mit der Ausstellung und mit Janssen auseinandergesetzt. „Ich hatte ihm dafür ein 70-seitiges PDF zusammengestellt, mit dem er sich offenbar genau beschäftigt hat.“ Ob er Oldenburg zunächst auf der Landkarte suchen musste, ist indes nicht überliefert.


Aber auch das war noch nicht alles: „Von David Lynch persönlich haben wir einen Cartoon erhalten, der ebenfalls Teil der Ausstellung geworden ist.“ berichtet die 32-jährige Zeichnerin weiter. Zudem gestaltete Lynch auch das markante Logo mit dem Ausstellungstitel und nahm Einfluss auf die Plakatgestaltung. Man kann also feststellen, dass „My House is on Fire“ nicht nur etliche Werke des vielseitigen Künstlers zeigt, er nahm direkten Einfluss auf das Ergebnis.


 JANSSEN IM MITTELPUNKT  PODCAST MIT DR. JUTTA MOSTER-HOOS Wie ist es eigentlich, wenn man sich Tag für Tag, beinahe rund um die Uhr mit Horst Janssen beschäftigt? Und das auch noch über mehr als zwanzig Jahre hinweg? Wird es irgendwann langweilig, glaubt man alles zu wissen? Dass die Antwort auf diese Fragen erstaunlich differenziert ausfallen kann, haben wir im Gepräch mi der langjährigen Leiterin des Horst-Janssen-Museums erfahren



Dr. Jutta Moster-Hoos lässt keineswegs irgendeine Form von Amtsmüdigkeit erkennen, sondern sprüht weiterhin vor Lust, weitere Facetten am Werk und Wesen Horst Janssens zu entdecken oder freizulegen. Dabei sieht sie das Zeichengenie gar nicht völlig unkritisch und hat Freude daran, die unterschieldichen Facetten von Janssens schillernder Persönlichkeit zu beleuchten. Und nicht zuletzt erfahren wir auch, dass es im Leben einer Museumsleiterin sehr viel mehr gibt als nur das Kernthema und den Namensgeber ihres Hauses. Was genau das ist? Hört selbst!


Die Tiefe der Oberfläche


Was macht nun den Reiz dieser Ausstellung aus? Reicht ihr die Prominenz der Beteiligten? Erschöpft sie sich in den Parallelen? Nein, keineswegs. Zwar wirkt die Ausstellung durch die vielen Druckwerke geradezu monochrom und zurückhaltend. Es dominiert Schwarz auf Weiß, farbgewaltige Opulenz sucht man vergebens. Doch diese Reduktion ist kein Nachteil, sie ermöglicht vielmehr sehr klare Beobachtungen.


Faszinierend: Alice Gericke lässt die Gäste beim Presserundgang an ihren Gedanken zu Lynchs Kunst teilhaben. (Bild: Kulturschnack)

Das gilt inbesdondere für den Blick auf die Herangehensweise. Beide Künstler machten in den Oberflächen von Alltagsgegenständen Tiefen - und auch Untiefen - aus, die sie mit ihren Werkzeugen geradezu freilegen wollten. Janssen etwa beschreibt Oberflächen als etwas Abgründiges, er hört von dort unten sogar ein Poltern. „Bei ihm ist immer mehr Wahrnehmung da, als er mit der Zeichnung einfangen kann“, beschreibt die junge Kuratorin diese hochsensible Wahrnehmung.


David Lynch hingegen hat dieses Thema in seinem Buch „Catching the Big Fish“ behandelt. Darin geht es um das Mittel der Meditation, um unter die eigene Oberfläche zu kommen und im Unterbewussten nach Bildern für die eigene Kreativität zu angeln. Diese Gedankenwelt findet sich auch in seinen Drucken wieder.



Gesten der Hand und der Kamera


In diesem Zusammenhang muss man übrigens auch den Titel der Ausstellung sehen: „My House is on Fire“ ist nicht etwa ein Notruf des Hausbesitzers David Lynch. Er ist ein Bild für die eigene Psyche mit den Etagen als Ebenen des Bewusstseins. „Das Haus ist bei ihm ein häufig vorkommendes Motiv“, weiß Alice. „Es verspricht Frieden und Sicherheit, es können aber auch ungebetene Gäste eindringen und in dunklen Ecken Gefahren lauern.“ Und auch das Feuer ist bei beiden Künstlern ein wiederkehrendes Element der Ambivalenz - mal wärmend, mal gefährlich.


Geniale Doppelung: Das Logo stellt sowohl den Titel „My House is on Fire“ als auch das französische Wort „Maison“ für Haus dar - eine Geste an die Kunstdruckerei IDEM. (Bild: Kulturschnack)

Sowohl Janssen als auch Lynch richten ihren Blick auf vermeintlich Vertrautes, das im Zwielicht fremd und mehrdeutig wird. Mit ihren Werken zeigen sie, dass die Oberflächen der scheinbar heilen Welt einem genaueren Blick nicht standhalten, so dass Verdrängtes, Düsteres und Mehrdeutiges zum Vorschein kommen. Technisch gehen Janssen und Lynch dabei jedoch unterschiedlich vor: Janssen arbeitet gewohnt linear und präzise, meist auf einer Kupferplatte, während Lynch auf der glatt geschliffenen Oberfläche eines Lithografiesteins in großen Gesten mit tiefschwarzer Farbe und Lösungsmittel agiert. Dabei schafft er prekäre, unwirkliche Lichtsituationen, die immaterielle Schemen, fein definierte Oberflächen, unklare Körper und Gebilde offenbaren.


Aber was ist eigentlich mit den Filmen David Lynchs? Gibt es da irgendeine Verbindung? „Man erkennt durchaus eine Verschränkung von Bildender Kunst und Film“, erklärt Alice. Es gebe Überschneidungen bei der Geste der Hand und der Geste der Kamera. Deshalb seien auch einige Stills aus Lynchs Filmen Teil der Ausstellung geworden. „Für Filmfans ist das sicher eine tolle Erfahrung. Das Verständnis für David Lynch wird dadurch weiter verbessert.“


 KURZPORTRAIT DAVID LYNCH  IKONE WIDER WILLEN David Lynch wurde 1946 in Missoula/Montana geboren. Er entwickelte als Teenager eine Begeisterung für die Malerei. Zwei Jahre studierte an der Pennsylvania Academy of Fine Arts in Philadelphia. Dort entstanden erste düstere Zeichnungen und Gemälde. In der bildenden Kunst fehlten ihm aber Ton und Bewegung und er fing an mit Film zu experimentieren.

Klassiker der Jahrtausendwende: „Mulholland Drive“ mit Naomi Watts läuft im Rahmenprogramm zur Ausstellung im Casablanca-Kino.

1970 begann er ein Studium am Center for Advanced Film Studies des American Film Institutes in Los Angeles. Seinen künstlerischen Durchbruch als Regisseur hatte David Lynch mit dem Underground-Film „Eraserhead“ (1977), der heute als Kultfilm gilt. Es folgten Filme wie „The Elephant Man“ (1980), „Dune“ (1984), „Blut Velvet“ (1986), „Mullholland Drive“ (2001) und die Fernsehserie „Twin Peaks“ (1990-91).

Doch Lynch ist ein vielseitiger Künstler und zu seinem Werk zählen auch weiterhin Malerei, Zeichnung, Fotografie, Lithografie und sogar musikalische Projekte. Sein lithografisches Werk fertigt Lynch seit 2007 in der berühmten Pariser Druckerei-Werkstatt IDEM an (ehemals Druckerei Mourlot) in der schon Picasso, Matisse

und Chagall drucken ließen. Wie auch seine Filme ist Lynchs Kunst von Düsternis, Mehrdeutigkeit und dem „Uncanny“, dem Unheimlichen, geprägt.

David Lynch lebt in Los Angeles. Aufgrund einer schweren Lungenerkrankung ist der heute 78-Jährige inzwischen an sein Haus gebunden und beruflich eingeschränkt, will jedoch laut eigener Aussage niemals in den Ruhestand gehen.


Intellektuelle Unklarheiten


Spürbar fasziniert sind auch die direkt Beteiligten an dieser Ausstellung. Das hat zwar auch mit dem großen Namen David Lynch zu tun, doch das ist nur ein Randaspekt. Vielmehr geht es darum, dass die beiden Künstler diese Vielzahl verblüffender Ähnlichkeiten aufweisen - und dass diese Ähnlichkeiten auch in der Ausstellung nachvollziehbar sind.


Diese Faszination wird sich vor allem bei den Führungen auf das Publikum übertragen. Es macht durchaus Spaß, nah an die Kunstwerke heranzugehen und beinahe zu spüren, wie die Künstler gearbeitet haben. Nicht immer gelingt es, einen Sinn zu erkennen und manchmal scheitert man bereits an dem Versuch, das Motiv zu definieren. „Sie sind eben intellektuell unklar“, betont Alice mehrfach. Was nichts anderes ist, als eine Einladung, eigene Interpretationen anzustellen und diese vielleicht sogar mit den anderen Gästen der Ausstellung zu diskutieren. Anlass gäbe es genug.


David Lynch, Billy whispers to Sally, 2010. (Bild: David Lynch - Item Éditions, Paris)

Mehr als eine Ausstellung


Vielleicht kommt man dabei sogar an den Punkt, sich glücklich zu schätzen, das so eine Ausstellung eben nicht in Los Angeles oder Paris zu sehen ist, sondern in Oldenburg. „Eigentlich war es nicht vorgesehen, dass Alice zu diesem Zeitpunkt selbst etwas kuratiert“, gewährt Jutta Moster-Hoos einen Blick hinter die Kulissen. „Wir haben ihr gewissermaßen einen Vertrauensvorschuss gegeben - und der hat sich voll ausgezahlt.“ Anhand dieser Ausstellung zeige sich, wie gut es einem Haus wie dem Horst-Janssen-Museum tue, wenn man junge Leute mit anderen Blickwinkeln hereinhole. Insofern ist „My House is on Fire“ nicht nur eine Ausstellung - sondern gleichzeitig ein Beleg für die Potenziale des Stipendiums.


Aber selbst wenn dem nicht so wäre: Der Besuch der Ausstellung lohnt sich, deshalb lasst es auch nicht entgehen, wenn Janssen auf Lynch trifft! Näher kann man dem großartigen Kino-Surrealisten kaum kommen - und alle Oldenburger:innen müssen dafür nicht mal die eigene Stadt verlassen. Manchmal muss man einfach Glück haben!

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