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2021: HAKEN DRAN. ODER ABHAKEN?

Wie geht man um mit dem letzten Jahr? Denkt man an den Anfang und das Ende, fällt das Urteil bitter aus. Doch die Wahrheit liegt dazwischen.

C3PO trägt eine "2" zur Jahreszahl 2021, um die letzte Ziffer auszutauschen
Ein neues Jahr? Immer her damit! (Bild: Shutterstock)

"Skip 2020" heißt ein Song der Berliner Rap-/Crossover-Band Kafvka. Der Grund: Nicht nur, aber auch wegen Corona war es ein Jahr zu vergessen. Deshalb der Impuls, in der Erinnerung einfach drüber wegzuskippen. Zum Jahreswechsel hat die Band auf Instagram eine Variation gepostet: "Skip 2021" - mit jeder Menge abfälliger Gesten. Der Grund: derselbe.


Aber Halt, nicht so schnell. War das Jahr wirklich so mies? Mit Blick auf die ersten fünf Monate muss man für die Kultur ganz klar sagen: Ja! Mieser noch als der auch schon üble Vorgänger. Was das angeht, haben Kafvka Recht mit ihrer Einordnung. Aber wer sich die Lyrics zum Track anschaut, erkennt auch: Skippen kann keine Lösung sein. Deswegen blicken wir 2021 hier nochmal ins Auge. Und danach heißt es: Haken dran. Oder abhaken?

Digital ist schlechter

2021 begann maximal frustrierend und setzte sich genau so fort. Große Teile des ersten Halbjahres war kultureller Stillstand angesagt, zwischen zweiter und dritter Welle blieb kaum genug Zeit zum Luftholen. Was dabei auffiel:


Die Lockdowns wurden nicht so stark mit Online-Formaten kompensiert wie noch 2020. Damals vermischten sich Attraktionen mit Aktionismus. Das Ergebnis war imponierend und frustrierend, inspirierend und deprimierend zugleich.

Dieses Jahr war der Puls etwas niedriger. Es gab einige gemeinsame Streaming-Formate wie die "Lockdown Konzerte", "Music for Plants" und "0441 Held:innen", aber weniger spontane Guerilla-Aktionen. Und das war richtig, schließlich sollten sie keine Dauerlösung sein. Ziel war die Rückkehr in die Realität. Und irgendwann, nach langen Monaten, war es dann ja auch so weit.

Drei Personen sehen sich Bilder der World Press Photo Ausstellung Oldenburg an
Für Corona-Zeiten fast schon proppevoll: die WPP (Bild: Mediavanti)

Timing is everything


Wenn wir hier so pauschal über das erste Halbjahr urteilen, vernachlässigen wir dabei die wenigen Glücksritter mit dem perfekten Zeitgefühl: Zum Beispiel: die World Press Photo Ausstellung im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Die Entscheidung, sie vom Februar in den März zu verlegen, erwies sich als goldrichtig. So fand sie im "Sweet Spot" zwischen zwei Lockdowns statt und konnte insgesamt 5.255 Besucher*innen begrüßen. Das entspricht zwar nur einem Viertel der üblichen Resonanz, für diesen Zeitpunkt war es aber spektakulär.

Szene im Sprint


Digital war zwar weniger los, aber das heißt nicht, dass es an Kreativität mangelte. Ganz im Gegenteil: sobald es möglich war, gingen eine ganze Reihe an spannenden und attraktiven Formaten an den Start: das Staatstheater bot mit der Theaterinsel einen Ort für Kleinformate (ein Highlight: das Rumpel Pumpel Theater), auf dem Kulturplatz hinter der Kulturetage gab es die erfolgreiche Kombination aus Musik und Kino, der Kultursommer änderte zwar den Ort, aber auch beim Prinzenpalais oder auf dem Cäcilienplatz tat er richtig gut. Und dann waren da noch die Klappstuhltage.


Eine Konzertbühne mit Fans im Vordergrund
Ein Highlight: einfach kultur (Bild: Kola Zinngrebe)

Große Klappe


Ende Mai kam die sensationelle Nachricht: Die Kulturstiftung des Bundes würde ein Oldenburger Kulturprojekt mir der Kleinigkeit von 473.000,- Euro unterstützen. Wie es dazu kam? Wenn man ehrlich ist: durch Corona.


Zur Unterstützung der Kulturszenen hatte die Stiftung ein extrem kurzfristiges Förderprogramm in die Neustart-Kultur-Kampagne integriert. Der Name: Kultursommer 2021. Die Laufzeit: gerade einmal 30 Tage. Das Volumen: 30 Mio. Euro. Verschiedene Akteure aus Oldenburg - namentlich: die Crew von Einfach Kultur und der Freizeitlärm e.V. - sprachen das Kulturbüro darauf an. In nur wenigen Tagen wurde ein Programm zusammengezimmert, dass den Beirat überzeugte.


Zeitgleich begannen das bunte Ratespiel "Welches G gilt?" und der Siegeszug des QR-Codes. Jede Einlasskontrolle mutierte zu einer Herausforderung für Kognition und Koordination: wie schaffe ich es, möglichst unfallfrei übers Smartphone zu wischen und dabei zeitgleich den korrekten Sitz der Maske zu checken und den Perso rauszukramen? Irgendwann hatten wir das alle raus. Mehr oder weniger zumindest.

Freizeitstress


Der realtiv späte Erfolg der Klappstuhltage führte zu einem gewissen Dilemma: dem sommerlichen Kultur-Overkill.


Der Blick in den Kulturkalender verursachte ganzjährig Stresspickel: zunächst, weil er leer war - dann, weil er aus allen Nähten platzte. Plötzlich musste man wieder einüben, was man beinahe verlernt hatte: sich entscheiden.

Und so kam es, dass man im September vom Open Air Kino zum Rave, vom Filmfest zur Tanzstelle, von der Pop-Up-Galerie zur Raum-Installation, von der Ausstellung zum Festival tingeln konnte und niemals genau wusste, was man empfand: Freude, dass man dabei war - oder Trauer, dass man was anderes verpasste. Ein guter Trost: alles war besser als der Anfang des Jahres. Case closed.


Wegeführung im Eingangsbereich der Kulturetage. Rechts geht es rein, links raus.
Immer den Pfeilen nach. (Bild: Kulturetage)

Corona Comeback


Und just als wir Dank Doppelimpfung in einen halbwegs regulären Kulturwinter starten wollten, passierte was passieren musste: die Inzidenz explodierte. Natürlich, schließlich lief ein Drittel der Bevölkerung weiterhin vollkommen ungeschützt durch die Gegend.


Sofort waren alle Mechanismen wieder da, von denen man vor einem Jahr noch dachte: das war so wenig intelligent, das passiert nie wieder. Doch immerhin: einen Lockdown, der so hieß, gab es nicht. Eine Testpflicht ohne Testzentren kam dem zwar gleich, aber das war zum Glück nur von kurzer Dauer. Danach konnte Kultur wieder stattfinden. Zumindest theoretisch, denn tatsächlich fielen viele Konzerte in kleineren Clubs aus: zu wenig Platz für zu viele Vorschriften.

Was bleibt?


Ein bipolares Jahr. Auf tiefste Tiefen folgte höchste Höhen, bevor wir zum Jahresende erschöpft Richtung Ausgang trudelten. In besonderer Erinnerung bleiben zwei Dinge. Erstens: die Oldenburger Kultur hat auch die nächste Phase der Pandemie überstanden. Well done! Und zweitens: die Szene explodiert geradezu, wenn sie kann und man sie lässt.


Zum Durchhaltevermögen gesellen sich also auch Expertimentierfreude und Optimismus. All das werden wir auch in Zukunft noch brauchen. Umso schöner und besser, dass wir reichlich davon haben. Ciao, 2021. Haken dran.





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