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DIE KUNST DER STRAßE

Was muss eine Großstadt eigentlich bieten? Zu dieser Frage gibt es viele Meinungen, bei einer Sache herrscht jedoch große Einigkeit: Zur Urbanität gehören heutzutage auch die entsprechenden Kunstformen, häufig zusammengefasst als Urban bzw. Street Art. Wie die Namen schon sagen, nehmen sie Bezug auf ihre städtischen Umgebungen. Auch in Oldenburg - wie man bei den „Street Art Touren“ der OTM erleben kann.


Spektakulär: Das gigantische Mural von Okuda San Miguel entstand im Jahr 2020 im Rahmen des 27. Internationalen Filmfestes Oldenburg (Bild: Oldenburg Tourismus und Marketing)

Alles begann in den Sechziger Jahren, weit weg von Oldenburg. In Philadelphia und New York kritzelten die ersten Straßenkünstler:innen ihren Namen an Hauswände, Brücken, Stromkästen oder Züge - und legten damit den Grundstein für eine weltumspannende Kunstbewegung, die bis heute nicht nur anhält, sondern immer weiter an Bedeutung gewinnt. Wer tiefer in die spannende Graffiti-Geschichte einsteigen möchte, kann sie zum Beispiel hier nachlesen.


Waren es zunächst vorwiegend Tags, also Namenschriftzüge der jeweiligen Akteur:innen, rückten im Laufe der Zeit immer aufwändigere, oftmals szenische Darstellungen („Murals“) in den Mittelpunkt. Zwar gibt es auch heute noch die flüchtigen Kritzeleien und manche von ihnen mögen für die Besitzer:innen der verzierten Immobilien sogar ärgerlich sein. Eindeutig lässt sich aber feststellen, dass Graffiti - und die artverwandten Straßenkünste wie Stencils, Paste-Ups, Tapings, etc. - fest zu den Großstädten der Gegenwart gehören. Sie sind viel mehr als „einfach nur da“, sie sind inspirierend, standortprägend und manchmal sogar identitätsstiftend.


 

OLDENBURG TOURISMUS:


STREET ART TOUREN


ZU FUß:

18. AUGUST, 18 Uhr (TICKETS)

15. SEPTEMBER, 18 Uhr ( TICKETS)


PARKPLATZ DES CADILLAC

26122 OLDENBURG


MIT RAD:

20. AUGUST, 14 UHR (TICKETS)

17. SEPTEMBER, 14 UHR (TICKETS)


PARKPLATZ BURGSTRAßE

26122 OLDENBURG

 

Graffiti: Offiziell anerkannt


Das haben etliche globale Metropolen längst erkannt und geben ganze Straßenzüge für Graffitis frei. Zu den bekanntesten Beispielen gehört etwa die Hosier Lane in der australischen Millionenstadt Melbourne, die generell als Hochburg der Street Art gilt. Aber auch die Werregarenstraat im belgischen Gent ist spektakulär - und etwas leichter erreichbar. Beides sollte man sich unbedingt anschauen, wenn man die Gelegenheit dazu hat!


Standortfaktoren und Sehenswürdigkeiten: Melbourne (links) und Gent (rechts) haben die Bedeutung von Street Art erkannt. (Bilder: Kulturschnack, Visit Gent)

Auch in Oldenburg gibt es seit etlichen Jahren eine sehr aktive Szene, die neben den typischen Guerilla-Aktionen viele markante Werke geschaffen hat, die von den Eigentümer:innen des jeweiligen Objekte geduldet oder geschätzt bzw. sogar beauftragt werden. Legendär ist etwa das Motiv „Bohlens richtige Söhne“ in der Burgstraße. Vieles bewegt sich jedoch außerhalb der allgemeinen Wahrnehmung. Wie eine künstlerische Spontanvegetation gedeiht Graffiti in den Fugen und Ritzen der Städte - und stört dabei die einen, während die anderen sie bewundern. Und letztere werden immer mehr.



Rasante Veränderungen


In der jüngeren Vergangenheit bekam das Thema nämlich nochmals einen Schub. Ein Beispiel dafür ist das XXL-Mural von Okuda San Miguel gegenüber dem Stadtmuseum, das im Jahr 2020 anlässlich der Premiere des Films „Puppylove“ beim Internationalen Filmfest entstand. Ein anderes ist seit dem August 2022 am Bundesbahnweg zu sehen. Diese ehemalige C-Lage, gefühlt im ewigen Schatten liegend, wurde durch das MEMUR Urban Art Festival zu einer Freiluftgalerie, auf die auch wesentlich größere Städte stolz wären (und das sogar im Graffiti-Heimatland USA für Aufmerksamkeit sorgte). Nur einen Monat später folgte in der Rosenstraße der „Oldenburg Stallion“, ein Werk des dänisch-französischen Szenestars Victor Ash.



„For being the inaugural episode of a festival, you have to be impressed with MEMUR on many levels. First is the selection high-quality international and national artists from both the street art and graffiti world. Secondly, organizers devised an equitable solution for these two distinct, yet entirely related, subcultures to participate fully on the walls of their fair city – with respect for all. Finally, the true rebellious spirit (...) was preserved by encouraging artists to select a modern-day societal ill and address it with their work.“ (Brooklyn Street Art Magazine, New York, USA)


Ohne Zweifel ein Hotspot der Urban Art in Oldenburg: Die MEMUR Freiluftgalerie am Bundesbahnweg. Klickt auf die Motive für die jeweiligen Insta-Profile. (Bilder: Kulturschnack)

Und wie steht Oldenburg dazu? Immer positiver. Zunehmend wird Graffiti hier nicht mehr nur geduldet, sondern als Bereicherung begriffen. Das wurde bereits vor einigen Jahren deutlich, als der Präventionsrat das Projekt „Brückenkunst“ ins Leben rief, das Autobahnbrücken und -unterführungen durch Graffiti optisch aufwertete und den Künstler:inen gleichzeitig legale Flächen anbot. Deutlich wurde die Wertschätzung aber auch durch die wiederholte Förderung des MEMUR Urban Art Festivals - und seit Mai 2022 durch offizielle Stadtführungen der Oldenburg Tourismus und Marketing GmbH (OTM) zum Thema Street Art.


Rio, Tokio... Oldenburg!?


Überraschend: Auch hier liegt die Keimzelle jenseits des Atlantiks, wie Martina Petzalis erzählt. Die Gästeführerin der OTM gab bereits 2019 den Anstoß zu den Street Art Touren. Sie stieß damit zwar auf offene Ohren, musste sich jedoch u.a. wegen der Corona-Pandemie drei Jahre gedulden, bis es zur Realisierung kam. „Die Inspiration zu der Tour habe ich auf meinen Reisen bekommen“, blickt Martina zurück. „In New York, Rio, Tokio oder anderen großen Städten gibt es fantastische Graffiti!“


Graffiti Künstler bei der Arbeit in Urlaub.
Wall of Fame: In Oldenburg gibt es einige Flächen, die zum Sprayen freigegeben sind - wie hier dier Gegenseite des MEMUR-Bahndamms.. (Bild: Kulturschnack)

Für überzeugte Oldenburger:innen sind das zwar adäquate Vergleichsgrößen, mit Einwohnerzahlen zwischen 7 Mio. und 14 Mio. bewegen sie sich aber dennoch „leicht“ oberhalb hiesiger Dimension. Hinkt deshlab der Vergleich? Martina winkt ab: „Oldenburg hat auch einiges zu bieten!“ So habe die Stadt als einzige im Norden über 1.000 qm Fläche zum legalen „Besprühen“ zur Verfügung gestellt. Das gebe es weder in Hamburg noch in Hannover.


Ihre Kollegin Tina Menke stimmt zu: „Auch wenn Oldenburg oftmals als eine eher beschauliche Großstadt wahrgenommen wird, brauchen wir uns gegenüber anderen Städten beim Thema Street Art absolut nicht verstecken.“ Das Gegenteil sei der Fall: Was in den letzten Jahren entstanden sei, unterstreiche die Urbanität und versprühe teils sogar internationales Flair


„Für die Größe, die Oldenburg hat, gibt es hier tatsächlich eine beachtliche Menge an Street Art“, weiß Bettina Koch, die bei der OTM für Pressearbeit zuständig ist. Es sei der Tourismusgesellschaft schon immer ein Anliegen gewesen, den Gästen nicht nur das historische Oldenburg näher zu bringen, sondern auch aktuelles Geschehen. „In diesem Fall zeigen wir die moderne und urbane Seite Oldenburgs. Es ist großartig, dass die Stadt so offen mit diesem Thema umgeht.“

SELBER MACHEN

GRAFFITI-WETTBEWERB AUSGESCHRIEBEN


Es gibt Orte in Oldenburg, die jeder kennt, weil sie extrem präsent sind - die man aber trotzdem nur unterbewusst wahrnimmt. Dazu gehört ohne Zweifel das Kiosk- und WC-Gebäude am Pferdemarkt. Dessen Tage sind nun gezählt - aber das hat auch sein Gutes.


Der Kiosk am Pferdemarkt in Oldenburg
Zentrale Lage: Wer den Wettbewerb gewinnt, hat eine hohe Aufmerksamkeit sicher. (Video: Kulturschnack)

Nach dem Abriss werden an dieser Stelle nämlich temporär frei Überseecontainer aufgestellt. Die gelten zwar längst als cool und müssen deshalb nicht versteckt werden. Ohne weitere Gestaltung sind aber vor allem die Rückseiten auch nicht unbedingt sehenswert. Deshalb hat die Stadt Oldenburg nun einen Graffiti-Wettbewerb ausgeschrieben, um „ein zentrales Element des Pferdemarkts zu verschönern“, wie es dort heißt.


Zur Verfügung stehen drei Übersee-Container, die im Herbst auf dem Pferdemarkt platziert werden. Die Anordnung der Container ermöglicht eine lange zusammenhängende Längsseite von etwa 15 Metern Länge und 2,80 Metern Höhe, die dem Wochenmarkt zugewandt ist. Die gegenüberliegende Seite, die zur Kreuzung und Innenstadt zeigt, wird mit Fenstern und Türen versehen sein.


Der Kiosk am Pferdemarkt in Oldenburg
Fast schade: Das Bestandsgebäude ist bald Geschichte (Bild: Kulturschnack)

Die Container sollen neben den Toiletten auch einen Kiosk beherbergen und stellen eine Übergangslösung dar. Langfristig wird ein dauerhaftes Konzept im Zusammenhang mit dem Sanierungsgebiet Nördliche Innenstadt angestrebt. Zum Sanierungsgebiet gehört auch der Bereich Pferdemarkt.

Bis zum 31. August 2023 können sich die Künstler:innen bewerben und Skizzen im A4- oder A3-Format einreichen – per E-Mail an graffiti[at]stadt-oldenburg.de oder persönlich in der Industriestraße 1 e im Sekretariat des EGH (Zimmer 001). Der beste Entwurf erhält ein Preisgeld von 2.000 Euro. Umgesetzt werden soll die Gestaltung, gerne mit Bezug zum Pferdemarkt, im November. Alle Materialien stellt die Stadt Oldenburg.


Mehr dazu? Hier!


Urbane Überraschungsmomente


Was genau es auf den Touren zu sehen gibt, wird nicht verraten, schließlich sollen sie - ebenso wie die Kunstwerke selbst - ein Überraschungsmoment haben. Kein Geheimnis ist dagegen der Ablauf: Die Routen führen durch Straßen in- und außerhalb der Fußgängerzone und zeigen den Teilnehmer:innen einige der besten Beispiele für Street Art in Oldenburg. Unter der Leitung von Martina und ihrer Kollegin Tina Menke erfahren die Gruppen mehr über die Bedeutung und Kontexte der verschiedenen Kunstwerke und erhalten einen tieferen Einblick in die Kultur der Street Art.


Dabei werden sowohl legale als auch illegale Kunstwerke gezeigt und Hintergrundinformationen zur Entstehung der Werke gegeben. Bei den zweieinhalbstündigen Rad-Touren geht es zudem in die Außenbezirke und man sieht, was sich in den Stadtteilen tut. „Das war übrigens die erste Tour“, erzählt Martina. Die zweite, fußläufige Route sei dann als Reaktion auf das MEMUR Festival konzipiert worden.


„So wie sich die Kunst wandelt, werden wir auch die Touren anpassen. Das ist ja das Schöne daran, es ist immer eine Überraschung für die Gäste.“

Gothamburg: Stilecht hat sich Batman an einem eher düsteren Ort niedergelassen. (Bild: Kulturschnack)

Tief ins Thema Street Art


Das spezielle Thema stellt allerdings auch spezielle Anforderungen: „Das ist keine Führung, wie sie von jeder Gästeführerin bzw. jedem Gästeführer einfach mal so gemacht werden kann“, erklärt Bettina . Das Interesse am Thema sei Voraussetzung. Aber: „Beide Führerinnen haben sich intensiv damit auseinandergesetzt, Initiatorin Martina Petzalis hat zwei Jahre zu dieser Thematik recherchiert und viele Gespräche mit Künstler;innen geführt.“ Sie und Tina seien mittlerweile Expertinnen zu dem Thema, informierten sich regelmäßig über Neuheiten und ergänzten diese Infos dann in ihren Führungen. Das heißt also: Es handelt sich um eine kontinuierliche Erzählung, die sich - anders als etwa die Entstehungsgeschichte von Oldenburg - ständig verändert und erweitert.


Aber wer nimmt überhaupt an diesen Touren teil? Handelt es sich durchweg um junge Hipster, die auf der Suche nach der coolsten Street Art Szene schon die halbe Welt bereist haben? „Nein, der überwiegende Teil der Teilnehmenden sind aktuell interessierte Lai*innen aus Oldenburg“, berichtet Tina von ihren Erfahrungen. Eine gewisse Affinität sei zwar meist vorhanden, das Publikum ansonsten aber sehr durchmischt - von U20 bis Ü65. „Viele kennen einzelne Murals von ihren täglichen Wegen zur Arbeit oder zum Einkaufen und möchten einfach mehr darüber erfahren.“ Es seien aber durchaus auch schon Gäste aus den Niederlanden und der Schweiz dabei gewesen.

NUR DIE LIEBE ZÄHLT


Überall in der Stadt - vor allem auf den Rückseiten von Verkehrsschildern - finden sich auch die kleinen Pixel Art-Kunstwerke des Wilhelmshavener Kollektivs Say Love. Was die Gruppe über ihre Kunstform denkt und was sie zu ihren Aktionen bewegt? Das haben wir sie in diesem Artikel gefragt.

Von lokal bis international


Überrascht seien die Gäste immer wieder davon, was es auch abseits der Hauptstraßen zu finden gebe. „Vielen Teilnehmenden war nicht bewusst, welche Vielfalt und Menge es in Oldenburg gibt, sowohl von lokalen als auch von internationalen Künstle:rinnen“, bestätigt Bettina diese Eindrücke. Auch deshalb sind diese Touren wichtig: Sie zeigen Seiten von Oldenburg, die man mit der Stadt bisher nicht assoziiert hat. „Unserer Meinung nach hat Oldenburg tatsächlich Besonderes zu bieten, weil es für die Größe unserer Stadt eine ungewöhnlich hohe Dichte an Street Art gibt“, beschreibt die Tourismusexpertin.


„Die lebendige Kulturszene verleiht Oldenburg seine Urbanität. Mit ihr schafft die Stadt gekonnt den Spagat zwischen geschichtsträchtigem Lebensraum und dem bunten Treiben und Lebensgefühl einer modernen Universitätsstadt. Das macht die Stadt aus - und dazu zählt auch das Thema Street Art.“

Für die Tourinitiatorin Martina gibt es dabei auch eine persönliche Ebene: „Street Art ist für mich ein Aufruf: Schau hin, hier sind Künstler:innen am Werk, die nicht immer die Meinung der Mehrheit teilen, die aber etwas zum Ausdruck bringen wollen.“ Das finde sie einfach genial, gerade weil sich die Szene auch immer verändere. „So bunt wie die Graffiti sind, so bunt ist doch auch das Leben.“


Street Art Mural von Victor Ash in Oldenburg
Große Sache: Auch Szene-Star Victor Ash hat sich mit einem, Werk in Oldenburg verewigt. (Bild: OTM)

Alles ist möglich


Ist Oldenburg tatsächlich eine neuer Hotspot der Street Art Szene? Für die einstige Beamten- und Bankenstadt ist diese Vorstellung vorerst noch ungewohnt. Doch die Weichen sind gestellt - und was möglich ist, zeigt das Beispiel aus Belgien. Denn wer hätte vor zwanzig Jahren gedacht, dass Gent einmal zu den angesagten Street Art Metropolen Europas zählen würde? Eben.


Fest steht: Die Oldenburger Graffiti-Geschichte wird ständig weitergeschrieben - und der Spannungsbogen ist intakt. Wer weiß? Vielleicht wird eines Tages neben Melbourne und Gent tatsächlich Oldenburg als Beispiel dafür genannt, welche Bedeutung und Wertschätzung Street Art mittlerweile genießt. Nicht, dass es darum ginge - aber ein feines Kompliment wäre es trotzdem. Unabhängig davon ist jedoch die Erkenntnis, dass wir Kunst nicht mehr nur in Museen und Galerien finden - sondern auch auf der Straße.

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