Seit 2020 sind die „Einfach Kultur“-Konzerte aus dem Oldenburger Sommer nicht mehr wegzudenken. Nach der erfolgreichen Premiere zeigte auch der Nachfolger, welche Magie ein Hinterhof im Bahnhofsviertel kreieren kann, wenn man ihn - und das Programm - mit Herzblut gestaltet. Was dürfen wir in diesem Jahr erwarten? Wir haben uns das mal angeschaut - und natürlich die Akteure befragt
Wenn man fragen würde, was es braucht, um ein neues Festivalformat erfolgreich zu launchen, könnte man darüber wahrscheinlich stundenlang referieren. Aber bricht man es auf das absolut Nötige herunter, dann sind die Zutaten für den großen Erfolg ganz einfach. Man nehme:
Einen ungewöhnlichen Ort mit charakteristischer Atmosphäre
Ein Team, das gemeinsam an die Grenzen geht
Ein bisschen Ahnung von diesem oder jenem
Eine gute Mischung aus Acts zwischen Newcomer, Geheimtipp und persönlichen Lieblingen (der eigene Geschmack ist ja in der Regel ganz gut, sagen Betroffene)
Etwas Rückenwind durch Zuschüsse und Sponsoring
Talent für Marketing und Social Media
Et volia - schon ist da ein neues sommerliches Kulturhighlight.
Doch Halt! Was hier so simpel klingt, ist in Wahrheit kein sonntäglicher Spaziergang durch Pfarrers Garten, sondern vor allem harte Arbeit. Vor allem dann, wenn man bis zur Premiere kaum Erfahrung in der Konzeption von Open Air-Veranstaltungen besitzt. Zumindest nicht im Kollektiv. Denn als „Einfach Kultur“ im Sommer 2020 startete, waren zwar Kenner ihrer Materie versammelt. Doch die Akteure bedienten jeweils ihre Nische - sei es Ton und Licht, Gastronomie oder Medien. Ein komplettes Festival hatte die Crew bis dahin noch nicht gestemmt. Und deshalb brauchte es damals, als Corona gerade die ganze Welt lahmlegte, noch etwas anderes: Mut. Und zwar: viel davon.
EINFACH KULTUR FESTIVAL
3. BIS 13. AUGUST 2022
HINTERHOF DER BAHNHOFSTRASSE 10 26122 OLDENBURG
TICKETS AB 13,20 EUR FESTIVALTICKET FÜR ALLE ABENDE: 120,- EUR
Wie sich die Situation für die Truppe anfühlte, mit welchen Fragen und Hindernissen sie sich rumzuschlagen hatten und warum trotzdem alles ganz fantastisch war - das lässt sich heute noch gut nachvollziehen. In Form des Films "Weiß zu Gelb" hat Kolja Zinngrebe die Entstehung des Festivals für die Ewigkeit festgehalten. Gut erkennbar ist dort, mit wie viel Details man bei der Planung und Realisierung konfrontiert ist - vor allem mit solchen, die man vorab niemals bedacht hätte. Zu sehen ist aber auch, wie gut es sich anfühlt, wenn man die Lösung findet und am Ende alles glatt geht. Schaut euch das unbedingt an:
Im Zeichen des Klappstuhls
Im zweiten Jahr machte man die Not zur Tugend. „Einfach Kultur“ wurde Teil der Klappstuhltage, die substanziell aus dem Neustart Kultur-Programm der Kulturstiftung des Bundes gefördert wurden. Trotz der soliden finanziellen Ausstattung und des dadurch verminderten Risikos brauchte es auch hier Mut - zur Planung bei Unsicherheit. Der Klappstuhl war hier nicht nur Sitzgelegenheit, sondern auch Symbol: für die Flexibilität, die man als Veranstalter haben musste. Ob das Publikum stehen durfte oder sitzen musste - oder mal das eine, mal das andere - war oft erst kurz vor der Veranstaltung klar. Damit einher gingen auch die verfügbaren Plätze. Solche Ungewissheiten muss man aushalten können - umso wichtiger die Förderung durch den Bund.
Blutet einem Veranstalter eigentlich das Herz, wenn die Leute auf Stühlen ausharren müssen anstatt zu tanzen und zu springen? „Nein, überraschenderweise nicht“, erinnert sich Jannik Kirchner zurück. Er hat damals zusammen mit anderen - wie Jan Thie (Amadeus), Bernd Feeken (Umbaubar), Mathias Wulf (TENO) und vielen weiteren - den Startschuss für „Einfach Kultur“ gegeben. „Ich hatte nämlich den Eindruck, dass sich die Gäste mehr auf die Musik konzentrieren. Das war auch cool mit anzusehen.“
Jetzt aber richtig
Trotzdem ist die Freude groß, nach zwei besonderen Jahren im Zeichen der Pandemie nun zum ersten Mal ein normales "Einfach Kultur"-Festival durchführen zu können. Droht den Akteuren mangels Herausforderungen jetzt gar die große Langeweile?
„Nein, sicher nicht“, schmunzelt Jannik. „Es ist zwar richtig, dass hier und da Routine reinkommt. Aber da bleiben noch genug Dinge, die uns auf Trab halten.“ Gemeint sind damit nicht zuletzt Hürden bei der Planung. Viele Acts, die man sich gewünscht hätte und die auch kommen würden, dürfen nicht. Entweder wegen übereifriger Agenturen oder wegen des Gebietsschutzes für Festivals wie dem Hurricane oder dem Deichbrand. Wer dort auftritt, darf in einem bestimmten Zeitraum und Umkreis kein anderes Konzert spielen. Die Veranstalter wollen Exklusivität. Deshalb muss Oldenburg vorerst ohne Kraftklub und Kings of Leon auskommen.
„Die ersten fünf, sechs Zeilen aus den Festival-Lineups brauchen wir gar nicht anfragen“, berichtet Jannik. Zum Glück gibt es aber auch unterhalb davon viele spannende Bands, die noch vor dem endgültigen Durchbruch stehen. Daraus hat sich eine Spezialität von Einfach Kultur entwickelt: Dort zu suchen, wo Chancen warten. Mit guten Gespür und Timing kann man die Helden von morgen heute noch günstig buchen. Auch Annemaykantereit haben mal im Cadillac gespielt (und waren eigentlich für die Umbaubar gebucht). Wer weiß? Vielleicht wiederholt sich diese Geschichte mit einem der folgenden Acts nochmal?
Size matters
Was ebenfalls Einfluss auf die Programmplanung hat, ist die Größe des Geländes. Zwar hat der Hinterhof im Bahnhofsviertel jede Menge Charakter und Atmosphäre. Er erinnert an einen Ort, an dem man mit Freund:innen zusammenkommt, um gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Das schätzen nicht nur die Gäste, sondern auch die Künstler:innen. Außerdem ist der Platz nach Abschied der Klappstühle auf bis zu 400 Plätze angewachsen. Für manche Acts ist er damit aber weiterhin zu klein. „Gut wäre eigentlich einer 800er-Größe. Erst dann kommt Oldenburg für bestimmte Acts in Frage“, kennt Jannik eine Lücke in der hiesigen Veranstaltungslandschaft, die auch andere Akteure beklagen.
Und so kommt zwar nicht die allererste Liga nach Oldenburg, dafür aber - um mal im Bild zu bleiben - aufstrebende Zweitligisten und Durchstarter aus der dritten. Jannik freut sich insbesondere auf Audio88 & Yassin und Soeckers, aber auch über etwas anderes: In diesem Jahr sind besonders viele Frauen im Line-Up. „Darauf haben wir bewusst geachtet“, betont er. „Wir wollten weiblichen Acts mehr Raum geben. Das ist gar nicht so leicht, weil es schlicht weniger Bands mit Frauen gibt als mit Männern. Aber ich glaube, wir haben den Anspruch gut erfüllt.“ Dass im letzten Jahr bereits die Abschlussveranstaltung der Klappstuhltage fest in weiblicher Hand war, sei ebenfalls kein Zufall gewesen. Auch hier könnte man sagen: mutig, diesen Akzent zu setzen. Ein anderes Wort passt aber noch besser: richtig.
Was macht das Publikum?
Ansonsten bleibt die Lage unübersichtlich. Der bange Blick auf die Inzidenzen fällt zwar weg, doch Corona ist nach wie vor ein Thema. Zwar drohen weder Absagen noch Einschränkungen, doch bei Inzidenzen jenseits der Tausender-Marke wird es im Publikum die eine oder andere Krankmeldung geben.
Zudem hat das Team von „Einfach Kultur“ erst vor kurzem die Erfahrung gemacht, dass Mut sich manchmal eben nicht auszahlt. Im Frühjahr mussten sie das Aquanautik Festival zunächst vom Beach Club Nethen in die Oldenburger Innenstadt-Clubs verlegen - und schließlich ganz absagen. Der Grund: Trotz starken Line-Ups mangelte es an Nachfrage. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Einer dürfte aber die allgemeine postendemische Zurückhaltung sein. Sie ist im gesamten Kultursektor spürbar - und die jüngsten Formate trifft es traditionell am heftigsten.
„Man kann einfach nicht den Finger drauflegen“, ist auch Jannik ratlos. „Vielleicht liegt es auch am Überangebot in diesem Sommer. Alles, was im Winter ausgefallen ist, findet jetzt statt. Manche Leute sitzen auf zehn, zwölf Konzerttickets.“ In so einer Situation überlegt man natürlich genau, welche weiteren Veranstaltungen man besucht - wenn überhaupt. „Mit dem Wissen von heute würden wir auch einen Termin im Herbst statt im Frühjahr wählen“, erklärt Jannik weiter. „Dann gibt's weniger Probleme mit dem Gebietsschutz.“ In diesem Fall hat sich der Mut leider nicht ausgezahlt - aber vielleicht bilden die Erfahrungen die Basis für einen erfolgreichen nächsten Versuch.
Das Kultur-Startup
„Einfach Kultur“ scheint dagegen schon gesetzt zu sein im Oldenburger Veranstaltungskalender. Zwar galt es auch dort erstmal eine Nische zu finden - denn der ist inzwischen ja deutlich voller als früher. Aber nach Kultursommer und N!CE, in Abstimmung mit dem Kulturplatz des Cine k und vor Stadtfest, Filmfest und Co. wurde ein guter Spot gefunden. Dass es innerhalb er Sommerferien liegt, stört Jannik nicht.
Bleibt die Frage: Warum tut man sich das an? Woher nimmt man den Mut? „Ich würde am ehesten sagen: es ist Leidenschaft“, antwortet Jannik. „Wenn man mit einer Situation nicht zufrieden ist oder etwas anderes möchte - dann hilft es nicht, nur zu meckern. Dann muss man halt was ändern." Das ist beinahe schon ein Startup-Spirit. Aber vielleicht kann man das Team von „Einfach Kultur“ auch so bezeichnen? Als ein Start-Up für Veranstaltungen - das viel Mut und Leidenschaft mitbringt, das aber natürlich auch noch das eine oder andere lernen muss auf dem Weg nach oben.
Fest steht: mit der Konzertreihe im Bahnhofsviertel ist der Oldenburger Sommer noch deutlich attraktiver geworden als zuvor. Insbesondere jüngere Menschen finden dort Acts, die sie sonst nicht in Oldenburg sehen würden, schon gar nicht in dieser Dichte. Genaue Beobachter mögen eventuell die fehlende Vielfalt monieren, in diesem Jahr gibt es keine Ausreißer aus Bereichen Metal oder Punk und auch keine externen Formate wie den Hörsaal-Slam. Wer sich aber mit Hip Hop und Indie Pop anfreunden kann - und das sollten einige sein - kommt hier voll auf seine Kosten. Und das Beste: für die Konzerte und den Freudentaumel braucht man nicht einmal Mut, sondern einfach nur Lust!
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