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KEIN AUSSERGEWÖHNLICHES EREIGNIS

Festivals haben es nicht leicht in Oldenburg: Bisher konnte sich noch keines dauerhaft etablieren. Umso bemerkenswerter ist es, wenn sich ein neues Format auf Anhieb durchsetzt - so wie "Ein außergewöhnliches Ereignis". In den Jahren 2021 und 2022 wurde das "Festival für elektronische Tanzmusik" zu einem wahren Magneten, zuletzt reisten etwa 2.000 Besucher:innen aus dem gesamten Nordwesten an. Und dieses Mal?


Symptomatisches Bild aus dem alten Klärwerk: Kulturakteure agieren häufig in unsicheren Umgebungen - finanziell, rechtlich, organisatorisch. (Bild: Kulturschnack)

Erinnert sich noch jemand an die Corona-Pandemie? An FFP2 und 3G+? Der globale Ausnahmezustand scheint inzwischen weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt worden zu sein (was vermutlich an einem inneren Schutzmechanismus liegt). Tatsächlich aber ist es kaum mehr als ein Jahr her, dass all die Vorsichtsmaßnahmen, Regeln und Beschränkungen aufgehoben wurden.


Für etwas anderes galt das jedoch auch. Während der Pandemie wurden für die Kulturszene viele neue Förderformate geschaffen, die Nachteile durch die Pandemie zumindest teilweise ausgleichen sollten. Was aus der Not geboren war, erwies sich letztlich als Glücksfall. Kulturförderung war endlich so, wie die Kulturschaffenden sie sich wünschen: positiv, flexibel, großzügig, mutig, unterstützend, Doch mit dem Ende der Pandemie liefen auch viele Hilfsprogramme aus. Es entstand eine Lücke.

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WAS IST DAS EAE?


Anstatt hier nochmal ausführlich darauf einzugehen, was das Besondere an diesem Festival ist und warum es eine so hohe Bedeutung hat, verweisen wir auf zwei ausführliche Artikel, die zu diesem Thema bereits auf dem Kulturschnack erschienen sind:

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TATSÄCHLICH AUSSERGEWÖHNLICH

Im Vorfeld zur zweiten Auflage des EAE berichteten wir im August 2022 vom Gelände des alten Klärwerks. Zu sehen sind u.a. Bilder vom Urzustand des Geländes.


TATSÄCHLICH EIN EREIGNIS


Am Tag nach dem zweiten EAE erschien dieser Nachbericht, der das Geschehen nochmal einfängt und der zudem ein Vor-Ort-Interview mit Gesine Geppert vom Freizeitlärm e.V. bietet.


Veränderte Umstände


Was das mit dem EAE zu tun hat? Mehr als man zunächst denkt. Den Veranstalter:innen vom Freizeitlärm e.V. war es nämlich gelungen, das erfolgreiche Festival mitten in der Pandemie zu realisieren. Im September 2021 standen die härtesten Lockdowns noch bevor, am alten Klärwerk in Oldenburg wurde aber erstmals ausgelassen gefeiert. Nicht zuletzt mithilfe einer Förderung durch Neustart Kultur, dem „Rettungsprogramm für den Kultur- und Medienbereich“. Das war für genau solche Fälle gedacht: für Formate, die in Lücken springen und die den Menschen das geben, was ihnen so gefehlt hat: gemeinsame Glücksmomente.


Tanzende Menschen in der Nacht beim EAE in Oldenburg
Außergewöhnliches Ereignis: Das EAE wurde seinem Namen tatsächlich mehr als gerecht (Bild: Kulturschnack)

Doch schon im zweiten Jahr standen diese Mittel nicht mehr zur Verfügung. Dafür hätte der Verein zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre existiert haben müssen, was aber nicht der Fall war. Die Stadt Oldenburg sprang ein und übernahm zumindest eine finanzielle Grundausstattung. Dennoch musste das Festival ausverkauft werden, um auf die schwarze Null zu kommen. Aufwandsentschädigungen für die vielen Beteiligten waren ebenfalls nicht möglich, alles wurde rein ehrenamtlich realisiert.


Immerhin konnte auf diese Weise am ersten Septemberwochenende 2022 das zweite EAE gefeiert werden. Das hatte zwar nicht mehr den Bonus, als eine Art Lichtblick in pandemischer Finsternis stattzufinden. Dafür aber war es eine rundum gelungene und erfolgreiche Veranstaltung mit herausragendem Line-up, prächtiger Stimmung und - anders als bei der Premiere - sogar perfektem Wetter.



Kunst kontra Kommerz?


Keine Frage: Das EAE war angekommen - in der Stadt, in der Szene. Dass im Spätsommer 2023 das dritte Festival stattfinden würde, stand deshalb völlig außer Zweifel. Zumindest eine Zeit lang. Doch als es daran ging, die dritte Auflage zu planen, stieß das Freizeitlärm-Team auf immer mehr Hindernisse. Dass kein Geld mehr von Neustart Kultur kommen würde, war schon lange klar. Dass die Stadt nicht dauerhaft große Summen in das Festival stecken kann ebenso. „Deswegen war eine Neuaufstellung nötig“, erklärt Gesine Geppert stellvertretend für das Kollektiv.


„Wir mussten uns die Frage stellen, ob wir Großsponsoren wollen, die überall ihre Marke präsentieren, und wie teuer Tickets eigentlich sein dürfen.“

Dem Ansatz eines Kommerzfestivals oder Luxusvergnügens wurde allerdings schnell eine Absage erteilt: „Für uns war klar, dass wir niemanden ausschließen wollten“, erklärt Gesine die politischen Motive des Vereins. Die Ticketpreise anzuheben und damit für mehr Einnahmen zu sorgen, gleichzeitig aber auch sozial auszulesen, war für die Mitglieder kein gangbarer Weg. Genauso wenig kam infrage, das Ereignis stärker zu kommerzialisieren und Sponsoren einzubinden, deren Werte nicht unbedingt deckungsgleich mit jenen des Festivals sind. „Für uns stand deshalb eine Verkleinerung im Raum. Ein Übergangsfestival, bis wir uns für die Zukunft aufgestellt haben.“


Zwischen Entspannung und Enthusiasmus: Im letzten Jahr war Ein außergewöhnliches Ereignis eine rundherum wunderbare Veranstaltung. (Video: Kulturschnack)


Die Rückkehr der Leerstelle


Doch daraus wurde nichts. Nach dem Versiegen der Fördermittel und der bewussten Entscheidung gegen den Einstieg zahlungskräftiger Geldgeber folgte ein weiterer Rückschlag: Nachteilige Veränderungen in der Niedersächsischen Versammlungsstättenverordnung (NVStättVO) und in der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) machten es dem Team aus ehrenamtlichen Enthusiasten unmöglich, eine kleinere Variante des EAE auf die Beine zu stellen.


„Die neuen Anforderungen hätten es nötig gemacht, einen ganz neuen Bauantrag zu stellen - mit Schallschutzgutachten, Parkplatzkonzept, Entwässerungsplan", berichtet Gesine. Obwohl vieles bereits aus den Vorjahren vorlag und damals bereits hohe Kosten verursacht hatte, hätten die Nachweise neu erbracht werden müssen, weil die Ausnahmen nicht auf das EAE zutrafen. „Dafür hätten wir Beträge im hohen vierstelligen Bereich gezahlt. Das ist für eine kleine Veranstaltung nicht zu rechtfertigen und nicht zu finanzieren.“ Zumal das Erstellen der Gutachten nicht zwangsläufig bedeutet, dass das Festival auch stattfindet. Im Zweifel bleibt man auf den Kosten sitzen.


„Ohne diesen enormen Genehmigungsaufwand hätte das Festival stattgefunden“, vermutet Gesine. „Nur eben etwas kleiner.“ Auf gut Glück zu planen, sei aber niemandem zuzumuten. Dafür seien die Verfahren zu aufwändig, die Kosten zu hoch, das Frustpotenzial zu groß.


„Es tut dem gesamten Team unglaublich Leid, dass wir das Erlebnis in diesem Jahr nicht ermöglichen können,“ gibt Gesine einen Einblick in die Gefühlswelten der Veranstalter:innen. Die empfundene Leerstelle, die einst Anlass für das Festival war, sei nun wieder da. „Uns blutet das Herz! Aber das bedeutet nicht, dass es das Festival nie wieder geben wird“, betont sie weiter. „Wir haben jetzt die Chance, mit noch mehr Energie an die Planungen für das nächste Jahr zu gehen.“ Sowieso sei die Stimmung im Verein nicht unbedingt schlecht. Es gebe zwar eine Enttäuschung, aber auch schon wieder viele neue Ideen:


„Wir widmen uns jetzt erstmal kleineren Projekten wie dem frei.zeit.gang, der am 14./15. und 21./22. Juli im Rahmen der Kultursommers stattfinden wird.“


Latente Unsicherheit


Wäre das alles vermeidbar gewesen? Möglicherweise. Gesine behauptet nicht, dass sie oder ihre Mitstreiter:innen die jeweilige - sich ständig verändernde - Rechtslage richtig interpretiert hätten. Oft ergänzt sie Sätze mit Einschränkungen wie „So habe ich das verstanden.“ Das zeigt ein Dilemma auf: Rechtsnormen erklären sich nicht von selbst. Zur Zeit ist es so, dass Kulturakteure bei ihren Planungen vor allem auf eines stoßen: Unsicherheit.


„Es wäre gut gewesen, wenn es schon sehr früh ein Treffen mit Fachleuten gegeben hätte, auf dem uns übersetzt wird, was die Veränderungen für uns bedeuten“, erklärt Gesine. Die Kommunikation mit dem Bauamt sei zwar gut gewesen und die Haltung dort durchaus konstruktiv, „Die wollen auch keine Verhinderer sein“, ist sich Gesine sicher. Das volle Ausmaß der rechtlichen Anforderungen habe die Freizeitlärm-Gruppe aber trotzdem kaum erfassen können. Gesine hat deswegen einen Vorschlag:


„Es bräuchte eigentlich Dolmetscher:innen, dieLaien dabei helfen, die rechtlichen Rahmenbedingungen richtig zu verstehen.“

Ansonsten brauche es mindestens einen Halbtagsjob, um alle baurechtlichen Fragen klären zu können; mit einem Ehrenamt ist das indes kaum vereinbar. Solange es solche Dolmetscher:innen noch nicht gibt, lautet ihr Rat deshalb: So früh wie möglich in den persönlichen Austausch mit den Expertinnen vom Fachdienst Bauordnung gehen.


Verschiedene Schalter und Skalen im alten Klärwerk in Oldenburg
All Systems off: Im Kontrollraum des alten Klärwerks bleibt es dieses Jahr still. (Bild: Kulturschnack)

Zurück in die Zukunft


In dieser Geschichte gibt es eine bittere Ironie: Während die Stimmung im Freizeitlärm-Lager im März immer schlechter wurde und die Absage innerlich bereits beschlossen war, besserte das zuständige Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bau und Digitales nach und versetzte die Kommunen in die Lage, wieder flexibler sein zu können. Dem EAE nutzte das zu diesem Zeitpunkt nichts mehr, andere Veranstaltungen konnten bzw. können davon aber noch profitieren.


Unabhängig davon zeigt dieses Beispiel, in welch unsicheren Gefilden sich Teile der Kulturszene nach wie vor befinden. Selbst große Erfolge sind kein Garant für einen Fortbestand eines Formats. Zwar könnte man argumentieren, dass die Corona-Förderprogramme Sonderfälle waren und Veranstaltungen nun eben auf eigenen Füßen stehen müssten. Dann sollten aber nicht zeitgleich weitere Verschärfungen hinzukommen, wie nun durch die Veränderungen in der Versammlungsstättenverordnung und der Bauordnung.


So musste das EAE trotz immenser Nachfrage im Vorjahr und trotz des hohen Engagements der Beteiligten in diesem Jahr die Notbremse ziehen und gezwungenermaßen eine Pause einlegen. Wie die Situation im kommenden Winter aussieht, wenn der Verein die Planungen für das Jahr 2024 aufnehmen müsste? Das kann derzeit niemand sagen. Zu hoffen ist jedoch, dass der Freizeitlärm e.V. zusammen mit seinen Partner:innen, Sponsor:innen und der Stadt Oldenburg eine langfristige Lösung findet. Dann heißt es dieses Jahr hoffentlich nur einmal und nie wieder: Kein außergewöhnliches Ereignis.


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