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EIN FEST

Der Gang ins Theater ist selbst für die größten Routiniers immer wieder ein Abenteuer. Nicht nur, weil es stets Neues zu sehen gibt, sondern weil man darauf auch reagiert - und sich dabei selbst überrascht. Das ist beim „Richtfest“ nicht anders, das am 22. April im Oldenburgischen Staatstheater seine Premiere feierte - und das ihr nicht verpasst solltet. Denn es ist: ein Fest!


Szene aus „Richtfest“ im Oldenburgischen Staatstheater.
Das Ende der Harmonie: Beim furiosen Finale kommt es zum Tumult - in Zeitlupe (Bild: Stephan Walzl)

Was ist das größte Smalltalk-Thema aller Zeiten? Zumindest für alle ab 30? Genau: die Frage, wie man wohnt - und wie man gerne wohnen würde. Wohnung oder Haus, Altbau oder Neubau, Raumaufteilung, Interior Design: Die Möglichkeiten sind endlos - und ebenso die Meinungen dazu. Gefühltermaßen ist die Präsenz des Themas in den letzten Jahren der kontinuierlichen Preissteigerungen sogar noch gewachsen und hat dabei vieles zugespitzt: Hoffnungen, Zweifel, Frustration. Beste Voraussetzungen also für eine theatralische Aufbereitung - und Zeit für ein Richtfest!


Überraschenderweise ist der so zeitgemäße Stoff gar nicht brandaktuell. Das Auftragswerk für das Schauspielhaus Bochum aus der Feder von Lutz Hübner und Sarah Nemitz stammt bereits aus dem Jahr 2012. Doch es ist hervorragend gealtert, nämlich: gar nicht. Alles, was wir in den rund zwei Stunden im Kleinen Haus zu sehen bekommen, wirkt wir just erdacht, voll auf der Höhe der Zeit. Und genau das gilt auch für die Art der Inszenierung von Regisseurin Swaantje Lena Kleff. Aber der Reihe nach.


 

OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER:


RICHTFEST

VON LUTZ HÜBNER UND SARAH NEMITZ


SAMSTAG, 13.05., 20 UHR (KARTEN)

DONNERSTAG, 25.05., 20 UHR (KARTEN)

MITTWOCH, 31.05., 20 UHR (KARTEN)

SONNTAG, 11.06., 20 UHR (KARTEN)

SONNTAG, 18.06., 15 UHR (KARTEN)

SAMSTAG, 08.07., 20 UHR (KARTEN)


OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER

KLEINES HAUS

26122 OLDENBURG

 

Mount Everest des Wohnens


Die Handlung des Stücks ist vergleichsweise schnell erzählt: Fünf recht unterschiedliche Parteien wollen unter der Leitung eines ambitionierten jungen Architekten gemeinsam ein Haus bauen. Ein Grundstück in der Goethestraße! Diese einmalige Gelegenheit muss man nutzen, da sind sich alle einig (und sie wäre auch in Oldenburg keine schlechte Option). Doch dafür werden letztlich mehr Zugeständnisse gemacht und mehr Unterscheide übersehen als die Gemeinschaft und die Individuen aushalten können.


Gehupft wie gesprungen? Judith (Charlotte Wollrad) hat schon früh keine Lust mehr. (Bild: Stephan Walzl)

Dass die bunte Konstellation aus jungen Eltern, alleinstehenden Damen, biederen Best Agern mit aufmüpfiger Tochter, freischaffenden Musiker:innen und einem gleichgeschlechtlichen Paar aus dem gehobenen Bürgertum nicht konfliktlos ablaufen würde, ahnt man von Beginn an - auch wenn zunächst noch eine vermeintliche Harmonie alle Differenzen überdeckt.


Man sonnt sich in der wohligen Progressivität der eigenen Entscheidung für diese Wohnform. Generations- und Sozialmilieu-übergreifend ein Haus zu bauen, ist wohl der Mount Everest des Wohnens: Technisch ist die Sache nicht allzu schwer, aber dennoch ist sie mit etlichen Gefahren verbunden, wenn man allzu naiv an sie herangeht. Und deswegen selten.


Im Laufe des Stücks entdeckt die Wohngemeinschaft in spe, wie brüchig und flüchtig ihre notariell beglaubigte Zukunftsvision letztlich ist. Verschiedene Entwicklungen verändern die Statik der Gemeinschaft, das Miteinander gerät zunehmend aus den Fugen. und das einst herbeigesehnte Richtfest gleicht zunehmend einer Drohkulisse. Es reicht eben nicht zu wollen - man muss auch können.



Optimismus contra Realismus


Das Gerüst des Stücks setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Da ist zum einen der bissige Kommentar zum Zeitgeist. Dass viele Häuslebauer:innen sich in erster Linie von Optimismus leiten lassen als von Realismus und mehr faule Kompromisse eingehen als eine Ampelkoalition, ist in jedem Bekanntenkreis zu beobachten. Entlarvend ist dabei, dass Wohnträume heutzutage nicht mehr - wie früher - Träume bleiben dürfen, sondern sich in Stein und Zement manifestieren sollen. Koste es, was es wolle! Diese Überambition bringt - man ahnt es - nicht nur im realen Leben einige Komplikationen mit sich, sondern auch auf der Theaterbühne.





Das „Richtfest“ ist aber natürlich auch ein Spiegel fürs Publikum. Und das gilt nicht nur für das Thema Wohnen, selbst wenn es der große Bezugspunkt ist. Entlarvend sind aber auch die Formen der Kommunikation zwischen den Akteuren, in denen sich viele Besucher:innen selbst erkennen dürften. Dazu gehören z.B. die Unfähigkeit die eigenem Wünsche zu artikulieren - oder sich ihrer bewusst zu werden. Aber auch die fehlende Aufmerksamkeit und Sensibilität, den jeweils anderen zu hören und zu verstehen. Der „Traum vom Haus“ wirkt wir ein Gravitationsfeld, das alle Gedanken magnetisch anzieht und verformt. Diese genauen Beobachtungen sind eine große Stärke des Stücks.


Und dann ist da ja auch das Wohnen selbst. Zwar bekommt man im Laufe des Stücks keine guten Tipps, wie man angesichts der aktuellen Marktlage noch Schnäppchen in bester Lage findet. Schade! Es gibt jedoch viel Reibungsfläche, an denen man seinen eigenen Vorstellungen vom Wohnen überprüfen kann. Wäre so eine WG etwas für mich? Welche der so unterschiedlichen Parteien verstehe ich am besten? Und was bedeutet das eigentlich für mich? Was ist mir wichtig? Es ist immer wieder wunderbar inspirierend, auf diese Weise zu tieferen Gedanken provoziert zu werden - und das passiert hier im Minutentakt.



Der innere Konflikt


Wir haben eine Weile mit uns gerungen, ob wir das alles so positiv - oder sogar euphorisch - formulieren. Denn wenn man ins Theater geht und einfach nur Spaß hatte, fürchtet man ja stets, man hätte ein banales Stück gesehen, das nicht ernst zunehmen ist - oder nur die Hälfte verstanden. Das „Richtfest“ aber beweist das Gegenteil, nämlich dass sich Inhaltschwere und Leichtigkeit nicht gegenseitig ausschließen.


Szene aus „Richtfest“ im Oldenburgischen Staatstheater
Kluger Einfall: Mitbewohnerin Charlotte (Heidi Züger) ist phasenweise nicht ansprechbar, symbolisiert durch einen Kunststoffball. (Bild: Stephan Walzl)

Denn obwohl die Dialoge - auf verschiedenen Ebenen - messerscharf formuliert sind, bleibt genug Raum für ironische Übertreibungen. Das grenzt natürlich bisweilen an Klamauk, wie immer in solchen Fällen. Das Richtfest bleibt aber meist auf der richtigen Seite, selbst dann, wenn die WG-Bewohner:innen ins spe ihre Bedürfnisse ins Mikrofon singen (!). Dass es dieses Element geben würde, war uns im Vorfeld bekannt - und wir wären jede Wette eingegangen, dass es an dieser Stelle arg „cringt“. Aber nein: Die bewusst schnulzigen Songs funktionieren überraschend gut und sorgen selbst für viele Lacher.



Keine Zweifel


Und am Ende steht die Frage: Wenn ich mich so prächtig unterhalten habe wir hier, wenn ich laut gelacht habe und leise geaschmunzelt, wenn ich also aus dem Theater gehe mit dem Gefühl, einfach eine gute Zeit gehabt zu haben - kann das alles dann relevant gewesen sein? Substanziell? Intelligent?


Unsere Antwort lautet: Ja, kann es. Noch nie haben sich diese Dinge gegenseitig ausgeschlossen, oft waren die Kombinationen aus Humor und Inhalt aber unstimmig. Nicht jedoch das „Richtfest“! Hier bilden Zeitgeist, Zuspitzungen und Witz eine mitreißende Mischung, die zwar bestens unterhält, aber dennoch Relevanz besitzt, Das ist Theater für Menschen, die es lieben - und für Menschen, die damit bisher nichts anfangen konnten. Dass dieser Spagat gelingt, ist bemerkenswert und spricht für die Umsetzung in Oldenburg. Nehmt auch also die Zeit und besucht die illustre Wohngemeinschaft im Kleinen Haus. Wir versprechen: Das wird ein Fest!


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