Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Spielzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie unter www.staatstheater.de. Oder: hier.
Normalerweise bilde ich mir ein, die Oldenburger Kulturszene halbwegs im Blick zu haben. Mir ist natürlich bewusst, dass ich niemals alles mitkriege, dafür passiert viel zu viel – und das ist ja auch gut so. Aber im Großen und Ganzen meine ich, das meiste mitzukriegen. Doch in den letzten Wochen beschlich mit immer wieder das Gefühl, diesen Überblick allmählich zu verlieren.
Kulturelle Jahresendrallye
Deutlich wurde das nicht zuletzt am Staatstheater: Eine Premiere jagte die nächste, teilweise zwei an einem Wochenende. Insbesondere die Schauspielsparte war geradezu hyperaktiv. Allein im November gingen mit „Die Reise der Verlorenen“, „Amsterdam“ und „Mats Hummels auf Parship“ drei Produktionen an den Start. In den anderen Sparten wurden weitere Premieren gefeiert, so etwa „Interaction I / Recycling“ im Ballett und „Die vier neuen Jahreszeiten“ im Technical Ballroom.
Wer alles sehen wollte, brauchte gut trainierte Sitzmuskeln und eine enorme Verarbeitungsausdauer.
Und das war nur eines von fünf Theatern in der Stadt. Auch anderswo wurden und werden gelungene Premieren und Wiederaufnahmen gefeiert (z.B. „Land unter“ im Theater k und „Spring Awakening“ im Unikum) oder spannende Gastspiele im theater wrede + und im Theater Hof/19. Und das wiederum sind ja nur die Theater. Die Kulturszene bot ja zeitgleich noch so viel mehr: Innovative Konzerte wie „In Tokio ist es still“ von Lars Unger und Gästen im Wilhelm13, Installationen/Performances wie die beiden „Short Stories“ der Loge an der Cäcilienbrücke und in der Haarenstraße oder Ausstellungen wie „Grand Boulevards“ im Landesmuseum, „Oldenburg ums Eck“ im ehemaligen Photo Dose in der Staustraße, „Reverse“ vom Hidden Art Project, „L’Amour Change Tout“ im Oldenburger Kunstverein und noch vieles, vieles, vieles mehr.
Lieber den Überblick verlieren
Schwirrt Ihnen auch der Kopf? Mir auf jeden Fall. Und der Dezember – und damit die kulturelle Jahresendrallye – kommt ja erst! Immerhin: Auf dem Kulturschnack kann ich aktiv daran arbeiten, etwas Abhilfe zu schaffen. Alles werden wir auch dort nicht abbilden können. Über unsere Artikel können wir aber neugierig machen auf Veranstaltungen, die man sonst übersehen hätte – und Hintergründe erklären, die zum Reiz beitragen. Vielleicht weiß man nach der Lektüre aber auch, dass man etwas ganz bestimmt nicht sehen will. Auch das hilft ja bei der subjektiven Entscheidungsfindung.
Sowieso sollten wir das üppige Angebot positiv sehen und uns über die Möglichkeiten freuen. Mir ist es allemal lieber, etwas zu verpassen, was ich gern gesehen hätte – als überhaupt keine Möglichkeiten zum Verpassen zu haben, weil nichts stattfindet. Schöne Grüße an den letzten Winter.
Insofern also ist es aktuell in der Tat schwierig, die Orientierung zu behalten. Aber das ist letztlich ein kleiner Preis für das, was wir im Gegenzug bekommen: Ein prallgefülltes Kulturprogramm voller attraktiver, inhalts- und wirkungsstarker Veranstaltungen. Wenn das bedeutet, das ich die Kulturszene eben nicht mehr halbwegs im Blick habe oder nicht mehr das meiste mitkriege, dann kann ich letztlich gut damit leben. Denn lieber verliere ich den Überblick, als dass ich ihn gar nicht erst brauche.
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