KOLUMNE: DAS LEBEN, EINE TRAGÖDIE?
- Thorsten Lange
- 20. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 1 Tag
Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Theaterzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie zum Nachblättern unter www.staatstheater.de. Oder: hier.

Ich fange mit einer Warnung an: Das hier ist kein leichtes Sommerthema. Eigentlich wollte ich über den Schnittpunkt der Spielzeiten am Staatstheater schreiben, Blicke zurückwerfen und nach vorn. Doch nun kehre ich zurück zum 19. November des letzten Jahres. Ich weiß noch genau, was ich an diesem Tag gemacht habe. Ich erinnere mich zwar nicht, welcher Wochentag es war, welche Nachrichten die Welt bewegten oder welches Wetter herrschte. Aber eines ist mir im Bewusstsein geblieben: Ich habe auf dem Kulturschnack einen Text über das „Death Café“ veröffentlicht, das die Sparte 7 des Staatstheaters gemeinsam mit der Stiftung Hospizdienst veranstaltet. Er war offen und positiv, mit einer unschuldigen Faszination für Format und Thema, wie auch der Titel zeigte: „Let’s talk about Death“. Der Tod war nichts, mit dem ich zu jenem Zeitpunkt direkt zu tun hatte, deshalb konnte ich ihm locker begegnen.

Das Ende der Unschuld
Vier Wochen später erhielt mein Papa eine Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sechs schmerzvolle Monate später ist er nun daran verstorben. Sein Tod ist mit Abstand das Schlimmste, was mir in meinem Leben widerfahren ist. Es zerreißt mich förmlich – auch jetzt, in diesem Moment. Die Tränen fließen ungebremst, der Bildschirm verschwimmt. Dabei war ja klar, dass es eines Tages passieren würde. Doch vorbereiten kann man sich nicht, selbst wenn das Unvermeidbare so lange und so klar am Horizont dräut.
Was meine Befindlichkeiten hier verloren haben, fragen Sie sich? Gar nichts, könnte man vielleicht antworten und läge damit nicht mal falsch. Man könnte aber auch genauer hinschauen. Denn was ich im November letzten Jahres niemals erwartet hätte, nun aber am eigenen Leib erfahre:
Der Artikel über das Death Café und die damit verbundene Auseinandersetzung mit dem Thema Tod waren sehr wohl eine Form der Vorbereitung. Nicht, dass sie mich nun vor etwas schützen würde. Aber sie nimmt dem Thema ein wenig von seiner bleiernen Schwere, von seiner absoluten Schwärze, weil man schon vorab versucht hat, dem Tod ins Auge zu blicken.
Dies ist nur ein Beispiel für die vielen Wirkungsweisen des Theaters. Es widmet sich jenen Themen, die uns bewusst oder unterbewusst beschäftigen, verunsichern oder an uns nagen, die uns Hoffnung geben oder Wege aufzeigen. Es liefert uns Anlässe zum Kontemplieren, zum Reflektieren, oder zum wilden Drauflosdenken über all die kleinen und großen, unschuldigen oder schmutzigen Fragen des Lebens. Und das Beispiel Death Café zeigt: Das Theater erspürt, was uns bestimmt, berührt, bewegt, bevor wir selbst davon wissen. Es hilft beim Bewusstwerden, beim Gedankenordnen, beim Gefühlesortieren.
Die Lehre, die ich im Laufe der Jahre im Theatersaal am häufigsten hatte, war übrigens: Momento Mori – bedenke, dass du stirbst! Oder positiver formuliert: Carpe diem – nutze den Tag! Nicht zuletzt sie hat dafür gesorgt, dass ich mit meinem Vater in den letzten Jahren viele wunderbare Momente erleben durfte. Dafür bin ich gerade sehr dankbar.
Zwischen Trauer und Trost
Meine ursprüngliche Idee von einer Kolumne an der Schnittstelle der Spielzeiten musste ich leider verwerfen. Ich bin gerade nicht in der Lage über etwas anders nachzudenken als das, was in mir passiert. Aber immerhin kann ich feststellen, dass alles, was ich eben beschrieben habe, auch in den letzten Monaten auf den Oldenburger Theaterbühnen zu finden war. Bleiben wir mal beim Staatstheater: Es heißt ja, dass die erste Spielzeit einer neuen Intendanz in erster Linie der Orientierung dient und nur erste Akzente setzt. Nach dem ersten Heckel-Jahr in Oldenburg darf man aber feststellen, dass es einige Glanzlichter bot, die mehr waren als eine erste Standortbestimmung. Das macht Hoffnung, dass wir auch in den kommenden Jahren all jene Wirkungsweisen des Theaters erleben werden, die ich eben beschrieben habe.
Ich hatte am Anfang gewarnt: Dies wird keine Sommerkolumne. Und man muss leider feststellen: Das Leben ist tatsächlich eine Tragödie. Für mich fühlt es sich gerade so an, als befände ich mich in einem Dauerzustand aus Konflikt und Katastrophe und warte vergeblich auf eine Katharsis. Doch ein Trost bleibt: Unser Dasein hält für uns alle auch Momente der Leichtigkeit, der Lockerheit, der Liebe bereit. Sie werden wiederkommen – für mich ebenso wie für alle, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Und wenn die Erinnerung daran mal in Vergessenheit gerät, sollte man vielleicht den Weg ins Theater suchen. Denn wie gesagt: Dort gibt es das pralle Leben, mit all seinen Tiefen, aber auch all seinen Höhen. Und mein persönlicher Weg wird sicher ins Death Café führen – auch wenn’s weh tut.
PS: Danke für alles, Papa! Für mich bleibst du für immer: der Beste!