Aus, die Saison ist aus! Zum Glück sagen manche, denn die letzten Spieltage der 1. und 3. Fußball-Bundesliga der Herren hinterließen für viele Menschen aus dem Nordwesten einen bitteren Beigeschmack. Die Meisterschaft des FC Bayern und der Abstieg des VfB Oldenburg waren zwei echte Downer. Und jetzt, in der fußballfreien Zeit? Hilft nur eins: Ab auf die Gegengerade!
Für alle, die es bisher nicht in ein Fußballstadion geschafft haben: Die sogenannte Gegengerade befindet sich gegenüber der Haupttribüne, daher der Name. Sie ist eine B-Lage innerhalb der Arena: Auf ihr sitzen oder stehen nicht Sponsoren und lokale Prominenz, sondern: die Fans. Das macht sie zu einem Ort großer Leidenschaft und Emotion. Die Tribüne ist ein Spiegelbild der Aufs und Abs im Leben, komprimiert auf neunzig Minuten plus Nachspielzeit.
Was man dort soll, wenn der Ball gar nicht mehr rollt? Etwa dem Platzwart bei der Rasenpflege zuschauen (was übrigens interessanter ist, als man zunächst denkt)? Nein, es gibt einen besseren Grund: Die Gegengerade gibt es nämlich nicht nur im weiten Rund des Marschwegstadions, es gibt sie auch im Oldenburger Kulturkalender: Seit 2021 organisiert Werkstattfilm e.V. ein FußballFilmFestival mit diesem Namen - und hat damit überregionale Aufmerksamkeit erzielt. So etwas passiert nicht von allein.
WERKSTATTFILM E.V.
GEGENGERADE FUSSBALLFILMFESTIVAL
31. MAI - 4. JUNI 2023
KULTURZENTRUM PFL PETERSTRAßE 3
26121 OLDENBURG
KINOLADEN
26122 OLDENBURG
UND WEITERE ORTE
Überraschend vielfältig
Wir geben zu: Als wir zum ersten Mal von der Idee hörten, dass sich ein Filmfestival allein mit Fußball beschäftigen sollte, waren wir nichts ganz sicher, ob dieses Format dauerhaft tragen würde. Wie viele erfolgreiche Fußballfilme kennt man denn? In den 80ern gab es mal einen Streifen mit Sylvestern Stallone, vor zwanzig Jahren dann „Kick it like Beckham“ und eine keimfreie Nacherzählung des Wunders von Bern. Aber sonst? Kommt spontan nicht viel in den Sinn.
Bis man einen beliebigen Streamingdienst öffnet und sieht: Fußballfilme und -serien sind überall! Herausragend dabei ist natürlich das Apple TV-Format "Ted Lasso", das selbst viele Fußballverweigerer:innen lieben. Extrem präsent sind aber auch Vereins-Dokumentationen, die ausführliche Blicke hinter die Kulissen bieten. Da ist jeder Spitzenclub dabei, aber auch in Deutschland eher unbekannte Vereine. Ausführliche Spielerportraits runden das Angebot ab.
Sagen wir mal so: es gibt ein gewisses Potenzial. Aber was genau bietet „Gegengerade“? Darüber haben wir mit Jan Krieger gesprochen. Der umtriebige Enthusiast vereint beinahe alle Kompetenzen auf sich, die man braucht, um ein Fußball-/Film-/Festival erfolgreich organisieren zu können. Er ist nämlich nicht nur für Werkstattfilm aktiv, sondern auch für den Verein „VfB für alle“. In der Corona-Phase hat er sogar ein Buchprojekt („Apfelmus zur Apokalypse“) initiiert, in das Teile des Kulturschnacks involviert gewesen sein sollen. Kurzum: Jan ist genau der richtige Ansprechpartner für alle Fragen, die man zur Gegengerade haben könnte. Hier lest ihr seine Antworten.
Jan, ihr feiert schon die dritte Auflage des Festivals. trotzdem wird es Menschen geben, die euch noch nicht kennen. Wie würdest du die „Gegengerade“ Festival in wenigen Worten beschreiben?
Bei dem Festival handelt es sich um ein Fußballkulturfestival, welches von Werkstattfilm e.V. und VfB für Alle e.V. in Kooperation mit dem städtischen Fanprojekt veranstaltet wird und aufzeigen soll, dass Fußball mehr ist als Konsum und Kommerz. Es findet bereits zum dritten Mal statt und setzt sich mit den unterschiedlichen Menschen im Sozialraum Stadion und mit gesellschaftspolitischen Fragen rund um den Fußball auseinander und schafft zudem interessante Begegnungen.
Warum ist Oldenburg genau der richtige Standort dafür?
Das „Gegengerade“ Festival ist ein ganz besonderes Festival, da es in dieser Form nicht nur in Oldenburg, sondern auch in Niedersachsen einmalig ist. Einen guten Nährboden für das Festival bilden die Fans des VfB Oldenburg, die sich seit vielen Jahren sozialpolitisch engagieren, was in Fanszenen nicht immer selbstverständlich ist.
Muss man Fußballfan sein, um Spaß daran zu haben? Oder stimmt es, dass Fußball mehr ist als nur Sport?
Das Festival lebt davon, dass es nicht nur von Fußballfans besucht wird, sondern auch von vielen anderen Menschen, die sich zuvor noch nicht viel mit Fußball auseinander gesetzt haben.
Es verbindet die unterschiedlichsten Menschen, die beim Festival miteinander ins Gespräch kommen und lädt dazu ein, sich über aktuelle gesellschaftspolitische Themen im Zusammenhang mit Fußball auszutauschen.
Durch die besonderen Begegnungen konnte in der Vergangenheit schon das eine oder andere Vorurteil über Fußballfans widerlegt und sogar Menschen dafür begeistert werden, sich auch mal ein Fußballspiel anzuschauen. Wir freuen uns über alle, die vorbei kommen möchten.
Gib es überhaupt genug Fußballfilme für ein jährliches Festival?
Der Fußballfilm als solcher ist tatsächlich noch eine Nische. In den letzten Jahren sind aber vermehrt Filme und auch ein paar internationale Fußballfilmfestivals entstanden, von denen wir uns auch haben inspirieren lassen. Nicht zuletzt konnten wir in den letzten Jahren auch ein Netzwerk aufbauen, auf das wir bezüglich unserer Programmgestaltung jederzeit zurückgreifen können. Insofern müssen wir uns was zukünftige Filme betrifft keine Sorgen machen.
Gibt es auch ein Rahmenprogramm?
Das Festival wird am Mittwoch, den 31. Mai um 19:00 Uhr im PFL durch die Bürgermeisterin Nicole Piechotta eröffnet. Anschließend zeigen wir die Premiere des Films „Another Way“ über den englischen Verein Forest Green Rovers, der von sich selbst behauptet, der erste klimaneutrale Verein der Welt zu sein. Das Programm an den folgenden vier Tagen beinhaltet Filme, Vorträge, Workshops, eine Ausstellung, eine Podiumsdiskussion, ein Fußballspiel sowie eine Party.
Besondere Festivalhighlights sind der Film „Frontline Hooligans“ über antfaschistische ukrainische Hooligans, die sich jetzt im Krieg gegen Putin befinden. Im Film„Freedom fields“ geht es um das Leben von drei Frauenfußball-Spielerinnen in Lybien und ihre Erfahrungen mit dem IS.
Festivalhighlight: „Freedom Fields“ wirft einen Blick auf die schwierige Sitiuation von Frauen in Libyen. (Still: Scottish Documentary Institute)
Eine Ausstellung vom Fanprojekt Köln beschäftigt sich mit Fluchturasachen in Zusammenhang mit Fußball. Alina Schwermer stellt mit „Futopia“ ihre Utopie von einem besseren und nachhaltigen Fußball vor. Anne Hahn und Frank Willmann berichten über die Rolle von Fußballfans und Ultras in der Zeit des Jugoslawien Kriegs.
Mit Roter Stern Leipzig gastiert ein Verein, der seit vielen Jahren für sein gesellschaftspolitisches Engagement bekannt ist. Auch die aktuelle Debatte um einen möglichen Stadionbau in Oldenburg werden unter Gesichtspunkten des Klimaschutzes, Nachhaltigkeit, Inklusion und Soziale Gerechtigkeit im Rahmen einer Podiumsdiskussion aufgegriffen. Vielleicht wird es auch noch eine Überraschungsveranstaltung geben. Das gesamte Programm des Festivals kann auf der Webseite sowie auf den Social Media Kanälen angesehen werden.
Nun ist euer Heimatverein VfB Oldenburg kurz vor Festivalstart aus der 3. Bundesliga abgestiegen. Schadet euch das? Oder kann „Gegengerade“ darüber hinwegtrösten?
Wir bedauern den Abstieg des VfB Oldenburg. Die Saison hat aufgezeigt, was für ein Potential der Fußball in Oldenburg hat. Es gab sehr viel Publikumszulauf in der vergangenen Saison und wir erhoffen uns, dadurch vielleicht auch noch bei unserem Festival das eine oder andere neue Gesicht begrüßen zu können.
Schaden wird der Abstieg dem Festival als solches aber definitiv nicht. Das Publikum besteht ja nicht nur aus VfB Fans, sondern wie bereits beschrieben auch aus Menschen, die keinen direkten Fußballbezug haben.
Zudem haben wir in den letzten Jahren ein Netzwerk über die bundesdeutschen Grenzen hinweg aufbauen können, welches von Jahr zu Jahr größer wird. Dementsprechend haben wir aus diesem Netzwerk auch Gäste zu Besuch. Zudem haben wir unsere Stammgäste, die seit dem ersten Anlauf dabei sind. Allen gilt ebenso unser Dank wie unseren Sponsor*innen. Ohne euch gäbe es das Festival nicht!
Schluss ist, wenn der Schiri pfeift
Die Erkenntnis aus dem allerersten Satz bleibt richtig: die Saison ist aus und vorbei. Und tatsächlich verlief das Ende für viele nicht so wie gewünscht. Aber trotzdem - bzw. gerade deswegen - lohnt es sich, weiter am Ball zu bleiben. Das „Gegengerade“-Festival besetzt eine Nische, die bisher (zu) wenig Beachtung gefunden hat - die letztlich aber für ganz große Erzählungen taugt.
Das betrifft nicht nur die wachsende Zahl und Qualität an Produktionen im Fußballkontext. Das betrifft auch die vielen direkten Verknüpfungen mit den großen Themen der Zeitgeschichte und Gesellschaft. Wieder einmal zeigt sich: Bei Fußball geht es nicht um Leben und Tod, sondern um sehr viel mehr. Auch - oder gerade - in der Nachspielzeit.
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