Es klingt kurios: Da schreiben sich die isländische Künstlerin Björk und der amerikanische Literaturwissenschaftler und Philosoph Timothy Morton ein paar Emails - und diese Konversation wird danach zur Kunst? Ja, tatsächlich: Die beiden tauschten sich im Vorfeld einer Björk-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art aus - und die Unterhaltung wurde Bestandteil der Ausstellung und des dazugehörigen Buchs „Archives“. Was das alles mit Oldenburg zu tun hat? So einiges, wie wir erfahren haben.
Würde man in einer Umfrage herausfinden wollen, wer der berühmteste Mensch aus Island ist, was wäre wohl das Ergebnis? Kulturschnack-Leser:innen würden vielleicht Jon Gnarr nennen, Historiker:innen natürlich Leif Eriksen, einige Fußballfans womöglich Eidur Gudjohnsen, aber die allermeisten dürften für Björk votieren. Nicht von ungefähr: Die eigenwillige Künstlerin bewegte sich immer seit dem Beginn ihrer Kariere in den frühen Neunzigern gekonnt im Grenzbereich zwischen Avantgarde und Pop. Obwohl sie auf diese Weise weltweit über 20 Millionen Tonträger verkaufte, blieb sie zu jedem Zeitpunkt rätselhaft genug, um nicht von der globalen Vermarktungsmaschinerie verbraucht zu werden.
Im Gegenteil: Björk macht stets ihr eigenes „Ding“, widmete sich selbstbewusst ihrer Kunst - und etwaiger Erfolg war kollateraler Natur, das heißt er war nicht explizit gewollt, aber akzeptiert. Das Publikum schrieb diese nonchalante Eigenwilligkeit niemals gänzlich ihrer Person zu, sondern immer auch ihrem Herkunftsland: Island. Denn dort scheint eine stimulierende Atmosphäre zu herrschen, die nicht nur viele Künstler:innen hervorbringt, sondern eben auch herausragende Kunstwerke. Die Alleinlage im Nordatlantik hat sicherlich einige Nachteile - aber eben auch den Vorteil, sich sehr fokussiert mit den Fragen beschäftigen zu können, die einen bewegen. Björk ist das beste Beispiel dafür.
I: Kontraste
Und so ist es auch kein Zufall gewesen, dass es im Jahr 2014 zu einem regen Email-Austauch zwischen Björk und dem amerikanischen Philosophen Timothy Morton kam. Beide eint ein intensiver und emotionaler, gleichzeitig aber forschender und analytischer Blick auf die Welt; beide sind aber auch auf der Suche nach einer gewissen Leichtigkeit im Umgang damit. Dabei ergibt sich ein ähnliches Spannungsverhältnis wie jenes zischen Avantgarde und Pop - also eines, das Björk durchaus zu beherrschen weiß.
Dass beide aus verschiedenen, mitunter gegensätzlich wirkenden Disziplinen kommen, macht ihren Austausch naturgemäß noch spannender: Wie fühlt es die Kunst, wie versteht es die Philosophie? Im Laufe ihrer Unterhaltung beschäftigen sich die beiden durchaus auch mit Alltäglichkeiten, vor allem aber mit großen Fragen zu Gesellschaft und Zusammenleben, zur Welt und ihrer Zukunft; und all das zwar intelligent, aber überraschend offen, locker und unterhaltsam.
Aber wie setzt man solch eine Konversation in ein Kunstprojekt um? Das Museum of Modern Art hat es sich im Jahr 2015 vergleichsweise leicht gemacht: Die Texte blieben Texte und wurden zu Bestandteilen von Ausstellung und Buch. Doch mit dem New Yorker Ansatz gibt sich Oldenburg nicht zufrieden, die Kulturetage geht mit ihrer Inszenierung des ungewöhnlichen. Stoffs eine Schritt weiter als das MoMA. In „Björk meets Timothy“ wird nicht nur abgebildet, hier wir weiterentwickelt - und so entstand eine szenische Lesung mit neuen inhaltlichen Akzenten.
BJÖRK MEETS TIMOTHY
ODER: KÖNNEN KUNST UND PHILOSOPHIE UNSEREN PLANETEN RETTEN?
SAMSTAG, 1. OKTOBER, 20 UHR (TICKETS)
SONNTAG, 2. OKTOBER, 20 UHR (TICKETS)
SAMSTAG, 8. OKTOBER, 20 UHR (TICKETS)
SONNTAG, 9. OKTOBER, 20 UHR (TICKETS)
TREFFPUNKT:
KULTURETAGE
26122 OLDENBURG
II: Erweckungen
Zunächst musste man natürlich die nie als Theaterstück gedachten Texte zum Leben erwecken, ihnen also eine theatralische Dimension verleihen. Wie muss sich das vorstellen? Sind Emails von Björk etwa so interessant, dass man sie ohne weiteres auf die Bühne bringen kann? Oder kommt sie vielleicht höchstselbst zur Premiere?
Genau das haben wir Markus Weiß gefragt. Der muss es wissen, denn er führt die Regie bei diesem Stück. „Nein, weder Björk noch Timothy Morton treten auf“, zerstreut er allerdings sogleich jede Hoffnungen auf eine große Überraschung. Dennoch macht er neugierig: „Die Texte werden von Schauspieler*innen gelesen, welche Personen verkörpern, die in einer anderen Zeit und in einer ungewöhnlichen Umgebung leben. Diese Menschen bringen ihr Leben und ihre Beziehung mit in den Briefdialog.“
Es gibt also durchaus kreative Abweichungen vom Ausgangsmaterial - und da kommen noch mehr. Eine wichtige Rolle spielt nämlich auch der Reisebegleiter Anton Tausendwassa, der in der Lage ist, durch die Zeiten zu reisen und die Menschen dabei mitzunehmen. „Theater lebt vom Spiel, der Atmosphäre und vom Bühnenbild“, stellt Markus fest. „Das ist hier unbedingter Teil der inszenierten Lesung.“
Aber wie steht es um die Inhalte? Wenn sich eine bisweilen exzentrische Künstlerin mit einem bekannten Philosophen austauscht, ist das für die Allgemeinheit überhaupt noch verständlichen? „Oh ja“, stimmt Markus zu, “es ist tatsächlich eine sehr komplexe Konversation über Kunst, Musik, Ökologie, das Anthropozän und über Hoffnung in der Apokalypse.“ Doch gleichzeitig gibt er Entwarnung, was das Verständnis angeht: „Es ist eben auch ein durchaus humorvolles Miteinander.“
Es muss sich also niemand Sorgen machen. Die Zuschauer:innen erwartet eine spannende, inszenierte Lesung an einem interessanten Ort der Vergangenheit und Zukunft mit Musik und Gesang. „Und es ist wieder ein Stationstheater“, ergänzt Markus. „Die Zuschauer*innen sind mit den Protagonisten, die in verschiedenen Kulissen lesen und spielen, unterwegs.“
WER IST BJÖRK? Björk Gudmundsdóttir wurde am 21. November 1965 in Rejkjavik geboren. Seit ihrem sechsten Lebensjahr wurde ihr musikalisches Talent systematisch gefördert. Schon als Elfjährige nahm sie eine erste Langspielplatte auf. Wenige Jahre später gründete sie eine Mädchen-Punkband. Ein längerer Weg durch verschiedene musikalische Gefilde, darunter Jazzrock und Gothic, wobei sie selbstverständlich auch mit weiteren Kunstformen wie Literatur und Malerei in Berührung kam, führte ab 1988 zu ersten internationalen Erfolgen mit der Alternativ-Rock-Band Sugarcubes. Man hörte, dass sie schon jetzt ihren individuellen Gesangsstil gefunden hatte. Klänge von höchst verletzlicher Zartheit wechselten mit vor Lebensfreude überschäumenden, kraftvollen Ausbrüchen. Bald stimmten Björks musikalische Ambitionen - sie begeisterte sich zunehmend für House-Musik - nicht mehr mit denen ihrer Mitstreiter überein. Nachdem ihr erstes Soloalbum "Debut" auf positive Reaktionen stieß, entschied sie, fortan als Solistin zu arbeiten. Als Inspirationsquellen dienten isländische Landschaften ebenso wie ein neu aufgekommener melancholischer Abkömmling des House, der Trip Hop. Spätestens mit "Homogenic" wurde Björk 1997 zum Weltstar. Erfolgreich war sie u.a. aber auch als Schauspielerin und wurde bereits zweimal mit dem „Europäischen Filmpreis“ geehrt. WER IST TIMOTHY? Timothy Morton (* 19. Juni 1968) ist ein US-amerikanischer Publizist, Philosoph und Literaturwissenschaftler. Er ist Hochschullehrer für englische Literatur an der Rice University in Houston, Texas. Seine Forschungsschwerpunkte betreffen Percy Bysshe Shelley und Mary Shelley und die Romantik. Jenseits der Sprach- und Literaturwissenschaften fallen seine Veröffentlichungen in den Bereich der Ökologie sowie in die Philosophie, wo seine Schriften eine Rolle in der sogenannten objektorientierten Ontologie spielen. In diesem Kontext prägte Morton den Terminus der Hyperobjekte als Objekte, deren Ausdehnung über das Verständnis von Raum und Zeit hinausgeht. Die Möglichkeit des Menschen, darüber nachzudenken, ist dadurch begrenzt und nur im metaphysischen Sinne möglich. Und wer jetzt ganz genau weiß, was damit gemeint ist, möge uns das gern erklären.
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III: Ortswechsel
Eine großes Geheimnis ist bisher noch der Ort des Geschehens. Nach den „Visionen“ ist dies nun schon das zweite Projekt, das nicht auf der angestammten Bühne im Bahnhofsviertel realisiert wird. Hat das Theater k etwa Fernweh? Markus winkt ab: „Es ist nicht das Fernweh, das uns nach draußen treibt. Die Etage ist schon immer gerne mit bestimmten Stücken an besondere Orte gegangen; an Orte, zu denen die wenigsten Zuschauer einen Zugang haben“, erklärt er die Philosophie. Eine Lesung der Texte hätte man auch im Studio machen können, aber dann wäre es eben eine Lesung gewesen. „Wir wollten etwas anderes und trauen uns Anfang Oktober mit den Zuschauer*innen nach draußen. Es ist eine unbekannter Text an einem unbekannten Ort.“
Aber welcher ist es denn nun? Dass die Oldenburger:innen ein Faible für die raren Lost Places in der Stadt haben, zeigten schon unsere Vorab-Berichte über den GleisPark und Ein außergewöhnliches Ereignis: Beide wurden vielfach geklickt.
Markus will mit der Sprache aber noch nicht rausrücken. Stattdessen macht er mit einer Umschreibung sehr neugierig: „Wir haben den betreffenden Ort aus zwei Gründen gewählt", erzählt er. „Die Inszenierung ist Teil der Island-Begegnungen. Und für viele Menschen ist Island das Ideal der heilen Welt, worauf Björk auch in einer Mail zu spechen kommt. Unser Ort setzt dieser heilen Welt eine andere entgegen.“ Man darf also gespannt sein, was sich Markus und sein Team haben einfallen lassen.
„Außerdem können wir dort auf unsere Vergangenheit treffen und zugleich einen Blick in die Zukunft wagen“, fährt Markus fort. „Mit ein bisschen Theatermagie und Phantasie hoffen wir, den Gästen ein mögliches Zukunftsszenario zu zeigen.“ Dass der Ort geheim bleibe, sei Teil der Reise ins Ungewisse. Markus war einen Vergleich: „Theater ist wie Leben: man weiß nicht, wo es hingeht.“
IV: Begegnungen
Die Kulturetage engagiert sich jetzt schon zum wiederholten Mal bei der Begegnungen-Reihe des städtischen Kulturbüros. Warum eigentlich? “Es stimmt, wir waren schon Teil der Begegnungen mit Polen und England“, erinnert sich Markus Weiß. Die Kulturetage werde gern von der Stadt angefragt, zu diesem Format einen theatralen Beitrag zu leisten. „Die Begegnungen erweitern natürlich auch unseren Horizont und wir werden auf Themen aufmerksam, die uns sonst nicht untergekommen wären. Der Mail-Wechsel hätte ohne diese Begegnungen wahrscheinlich keinen Einzug ins Theaterleben gefunden.“
Anno 1993: Der Song Human Behavior von Björk „Debut“-Album lief damals auf MTV rauf und runter - und wirkt im Nachhinein durchaus programmatisch.
Doch zum Glück hat er das. „Björk meets Timothy“ ist mit Sicherheit nicht der naheliegendste Stoff, um sich dem Phänomen Island anzunähern. Er bedient nur wenig Klischees und erfüllt nicht unseren Wunsch nach ungetrübter Idylle. Doch das ist kein Manko, das ist eine Qualität.
Die vielschichtige Persönlichkeit Björk ist zwar eine Ausnahmeerscheinung, sie steht aber doch stellvertretend für den hohen Stellenwert künstlerischen Denkens und Handlelns in der isländischen Gesellschaft. Dass dort auch die Kultur Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher oder politischer Aufgaben liefert, haben wir schon von Jon Gnarr erfahren. Dieses Prinzip erfährt hier eine Fortsetzung - und ist mindestens ebenso unterhaltsam wie das Hotel Volkswagen. Und außerdem bekommt man nicht alle Tage Emails von Björk!
Wie der Zufall so will, erscheint Björks neues Album „Fossora“ in diesen Tagen, nämlich am 30. September. Physisch bestellen kann man es hier.
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