Diesen Eindruck kann man leicht gewinnen, wenn man einen Blick in aktuelle Nachrichten wagt. Krieg, Leid und Unzufriedenheit scheinen zunehmend zu wachsen. Gesellschaften werden fragiler, bisherige Gewissheiten wirken aus der Distanz bloß noch wie große Fragezeichen. Wie kann man diese Fragilität, wie kann man das gefühlte Chaos, das uns umgibt, künstlerisch verarbeiten? Eoghan Ryan hat sich mit dieser Frage in seiner aktuellen Ausstellung "Against The Day" im Edith-Russ-Haus beschäftigt.
EOGHAN RYAN - AGAINST THE DAY
BIS 24. MÄRZ 2024 DI. - FR. / 14:00 - 18:00
SA., SO. & FEIERTAGE / 11:00 - 18:00
EDITH-RUSS-HAUS
KATHARINENSTRAßE 23 26121 OLDENBURG
EINTRITT:
2,50€ / 1,50€ ERMÄßIGT
Der klassische, intellektuelle Kunstbetrieb, geprägt von etablierten alteingesessenen Strukturen, bildet einen scheinbar stabilen Rahmen für die Kreation und Präsentation von Kunstwerken. Alles hat seine klaren Gesetze und Regeln. Galerien, Museen und traditionelle Kunstinstitutionen fungieren als Hüter dieser künstlerischen Ordnung dabei im wahrsten Sinne. Denn wer ein Museum betritt, den erwarten zumeist aufgeräumte, klar strukturierte Räume, wenig Ablenkung, aller Fokus und Schutz gilt den geschaffenen und vielgeschätzten Werken der Künstlerinnen und Künstler. Oft ist hierbei vom sogenannten "White Cube" die Rede, also dem Raum als Metapher für die weiße Leinwand.
Doch dieses Selbstverständnis steht in starkem Kontrast zu den künstlerischen Momenten der Revolte, die in dem Werk eines Künstlers wie Eoghan Ryan Einzug halten, der mit "Against The Day" gerade seine aktuelle Ausstellung im Edith-Russ-Haus für Medienkunst zeigt. Wenn Chaos auf der Welt herrscht, wenn dieses Gefühl seinen Ausdruck letztlich auch im künstlerischen Schaffen wiederfindet, muss dann nicht auch der Schauplatz dieser Werke ein Ort der Unruhe, der Unsicherheit sein oder zumindest werden?
Wände voller Chaos
So ist es eigentlich nur die logische Schlussfolgerung des Ganzen, dass Eoghan Ryan genau dies versucht an die Besucherinnen und Besucher zu vermitteln, wenn man beim Herabschreiten in das Untergeschoss des Gebäudes langsam und Stück für Stück in eine Flut aus Nachrichtenfetzen, reißerischen Schlagzeilen und Bildern hineingleitet, die die Wände zieren und einen förmlich erschlagen. Eine riesige Collage, in der sich popkulturelle Referenzen und Textelemente an Fotos von hilfesuchenden Menschen auf Rettungsbooten und Politikerinnen und Politikern nahtlos aneinander reihen. Diese vergrößerten Ausschnitte sind aus einem stetig wachsenden Archiv aus Tausenden von Bildern ausgewählt, die Ryan seit fünfzehn Jahren alle zwei Wochen von seinem Vater erhält. Ryans Vater klebt diese Ausschnitte oft auf Papier auf und collagiert sie gemäß einer internen Hierarchie und Relevanz, die er in Gesprächen mit seinem Sohn festlegt.
Ein diffuses Gefühl des Unwohlseins macht sich unweigerlich breit. Eine Überforderung, wie man sie vielleicht ansonsten nur vom sogenannten "Doomscrolling" kennt. Man wischt und swiped durch zahllose Nachrichten-Apps, die einen letztlich in Anbetracht der abgebildeten Weltlage verzweifelt hinterlassen. Diese bewusste Einführung von Unordnung in der künstlerischen Ausdrucksform schafft einen Dialog zwischen dem festen Gefüge der Kunstinstitutionen und der kreativen Ungebundenheit, die nach neuen Wegen der Selbstdarstellung und Gesellschaftskritik sucht.
Aufstand als Ausstellung
Doch noch bevor einen dieses Erlebnis erwartet, betritt man die große Eingangshalle des Edith-Russ-Hauses und steht einem kreisrunden, deckenhohen Turm aus schwarzem Vorhang gegenüber, die Eoghan Ryans neue Videoinstallation Circle A beherbergt und im Rahmen seines Stipendiums der Stiftung Niedersachsen am Edith-Russ-Haus entstand.
Auf den ersten Blick ist jedoch nicht ersichtlich, ob der Turm überhaupt einen Zugang bietet. Neugierig schleicht man an seinen Rändern entlang und entdeckt schließlich doch einen Eingang. Zu sehen ist dort die Unterhaltung zwischen fünf Fremden innerhalb einer Kunstbuchhandlung. Ihre Gespräche drehen sich allesamt um den Begriff der "Anarchie", seine abstrakten Aspekte und die Frage, wie dieses Wort sowohl in der realen als auch in der imaginären Welt funktioniert. Was bedeutet der Begriff am Ende in seiner Konsequenz? Die Installation lädt dazu ein, in einem Gedankenexperiment genau darüber nachzudenken und wie man beginnen könnte, ein System aufzulösen.
Und auch seine früheren Installationen Truly Rural (2019), A Sod State (2021) und Doggerel (2022), die sich über die unterschiedlichen Räume des Untergeschosses verteilen, widmen sich immer wieder beunruhigenden, die Gesellschaft zersetzenden Themen, die in ihrer Gesamtheit den Geist des Aufbegehrens und der Auflehnung versprühen. Abseits ihrer eigentlichen Inhalte, erzählen die Werke vor allem etwas über denjenigen, der sie geschaffen hat und zeichnen dieses Bild mit jeder Videoinstallation etwas detaillierter. Wer hierzu einen Einblick bekommen möchte, findet nachfolgend kurze Auszüge aus den Werken: |
TRULY RURAL (Excerpt) |
A SOD STATE (Excerpt) |
DOGGEREL (Teaser) |
Es entsteht ein Bild, das Eoghan Ryan als Künstler präsentiert, der seinen Weg der Rebellion in der Kunst gefunden hat und dabei seine Umwelt so zeigt, wie er sie zu sehen scheint.
In Flammen, mindestens metaphorisch.
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