Wenn man ein Magazin oder Blog betreibt, dann sind herzliche Weihnachtsgrüße an die werte Leserschaft obligatorisch. Deshalb jetzt und hier: Frohe Weihnachtstage euch allen - bzw. viel Freude bei euren Feiern, egal was, wie und wann! Etwas mehr Inhalt darf es bei uns aber schon sein, Und deshalb gibt es noch eine kleine Zugabe.
Dieser Text erschien ursprünglich vor genau sechs Jahren, am 23. Dezember 2016, auf einem kleinen Internet-Portal namens Facebook. Er ist im Kontext der damaligen Zeit zu sehen, hat größtenteils aber nichts von seiner Aktualität verloren. Wenn man dieser Tage also in den Schlangen der Supermärkte verbringt, kommen euch vielleicht auch Gedanken wie die folgenden.
Alle Jahre wieder: Schlangestehen im Supermarkt. Jede Minute eine gefühlte Stunde. Und nur ein Gedanke: Wie schön das ist! Weil man nicht für eine Wasserration ansteht und nicht für medizinische Hilfe. Und weil man nicht damit rechnen muss, dass man beim Warten bombardiert wird. Und weil man dabei nicht Spielball irgendwelcher weit entfernten Mächte ist, die sich nicht für unser Schicksal interessieren. Und weil man danach wieder in ein Zuhause zurückkehren kann, das ein Dach und vier Wände hat. Das sogar beheizt ist. Wo Haustiere leben, die keinen praktischen Nutzwert haben und die wir trotzdem füttern. Und wo der Rest der Familie wartet, ohne zwischendurch irgendwelchen Gefahren ausgesetzt gewesen zu sein. Und weil ich dort dauerhaft bleiben kann und keine Flucht in ein anderes Land antreten muss, wo es Menschen gibt, die meine Not nicht akzeptieren und mich wieder loswerden wollen. Weil es nur wenige Meter und Minuten bis hierher waren und kein beschwerlicher Tagesmarsch. Weil ich vor Hunger nicht schon halb wahnsinnig bin, sondern bestenfalls einen Appetit verspüre. Weil in den Regalen nicht nur etwas vorhanden ist, sondern weil ich sogar eine Auswahl habe. Weil nicht nur das reine Überleben, sondern auch Geschmack und Genuss eine Rolle spielen. Und weil wir uns dafür entscheiden können, das Doppelte für ein Produkt auszugeben, weil es ökologisch sinnvoller ist als ein anderes oder weil es die artgerechte Haltung eines Tieres verspricht. Weil ich all diese Waren tatsächlich bezahlen kann. Weil sogar die weniger Wohlhabenden von uns in einem Reichtum leben, der in anderen Teilen der Welt vollkommen unvorstellbar ist. Weil wir nicht nehmen müssen, sondern auch geben dürfen. Weil die Menschen um mich herum vielleicht genervt sind, aber keine Not leiden. Weil sie möglicherweise im Stau standen, aber in einem Gefährt, das luxuriöser ist als die meisten Häuser auf diesem Planeten. Weil sie sich vielleicht ärgern, dass Weihnachten auf ein Wochenende fällt, aber das Glück haben, so etwas wie Weihnachten feiern zu dürfen und so etwas wie ein Wochenende zu kennen. Und weil wir - wenn uns alles zu viel wird - medizinisch versorgt und therapiert werden, anstatt zu siechen, zu sterben und liegengelassen zu werden, weil niemand mehr die Kraft hat, uns zu begraben. Weil bei unseren Festessen kein Stuhl leer bleibt, weil wir in Kämpfen und Kriegen um unsere Heimat einen nahen Angehörigen verloren haben. Weil wir über Gin- und Whiskysorten diskutieren können, deren Flaschenpreis über dem durchschnittlichen Jahreseinkommen in manchen Regionen liegt. Oder über Fußballspieler, deren Einkommen sich auf dem Niveau der Bruttoinlandsprodukte mancher asiatischer oder afrikanischer Staaten bewegen und deren Berufskleidung von Kindern aus diesen Regionen genäht wurde. Weil viele von uns nach dem Fest verreisen können, ohne durch vermintes Gebiet zu müssen oder von Partisanen oder einer Guerillatruppe angegriffen zu werden. Weil wir über Dinge wie Klimawandel und Erderwärmung Bescheid wissen und die Option haben, unser Verhalten zu ändern, ohne unser Leben zu riskieren. Und weil wir trotzdem verreisen können, weil wir uns so einen Luxus wie kognitive Dissonanz erlauben. Und weil wir in der Lage sind zu wissen oder herauszufinden, was eine kognitive Dissonanz eigentlich ist. Weil wir uns bei den guten Vorsätzen für das neue Jahr mit Dingen wie Sport, Gesundheit oder Bildung beschäftigen dürfen. Weil wir überhaupt die Gelegenheit haben, Vorsätze fassen zu können anstatt einfach nur überleben zu wollen. Weil unser größtes Problem die Zeit ist, die uns fehlt - obwohl wir sie doch haben und nur nicht richtig nutzen. Aber zum Glück kann man das beim Schlangestehen im Supermarkt. Wo jede Minute eine gefühlte Stunde dauert. Und wo ich heute denke: Wie schön das ist!
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